Ein Kuss!

646 39 12
                                    

Nervös strich Charlie sich eine lose Strähne aus dem Gesicht, starrte ungeduldig auf die vor ihr liegende Tür, während sich ihr Griff an der Papiertüte in ihrer Hand unbewusst verstärkte. Tatsächlich hatte sie im Laufe des Abends, im Laufe der Nacht nichts von Patryk gehört. Keine Nachricht, kein Anruf. Nichts!

Schlagartig machte Charlies Herz einen Satz, als sie leise Geräusche hinter der Tür vernahm, dicht gefolgt von einem kaum überhörbaren Rumpeln, was Charlie unwillkürlich schmunzeln ließ. - Filip: „Ich mache auf", hallte die gut gelaunte Kinderstimme durch den Flur, bevor sich die Tür vor ihr schwungvoll öffnete und Filip in einer hellblauen mit Haien bedruckten Boxershorts und einem weißen Unterhemd im Türrahmen erschien. „Charlie!", entfuhr es ihm überrascht, seine Augen funkelnd. „Hallo kleiner Mann, ist dein Papa... ", begann sie ruhig, bevor ihr eine kühle, ihr nur allzu bekannte Stimme das Wort Abschnitt: „Was tust du hier?". Erschrocken sah Charlie auf, atmete tief durch, versuchte so dieses seltsam beklemmende Gefühl in ihrer Brust beiseite zu schieben, bevor sie bemüht selbstsicher auf Patryk zutrat, ihm mit einem zarten Lächeln die mitgebrachte Bäckertüte entgegenstreckte: „Frühstück...Du hast mir nicht geantwortet...". „...Was vermutlich seinen Grund hatte...", ergänzte Patryk mit ernster Miene, was Charlie unbewusst schlucken ließ. Selbst in seiner verwaschenen hellblauen Jeans und einem einfachen weißen Shirt wusste er, wie einschüchternd er wirken konnte, aber nein, sie wollte sich nicht beirren lassen, schüttelte zaghaft den Kopf: „Ich habe langsam eine Ahnung, woher der kleine Mazur seinen Starrsinn hat", witzelte sie bemüht ruhig, sah ihm dabei unvermittelt in seine hellgrauen Augen, der Ausdruck darin undefinierbar: „Ich...ich decke den Tisch", bemerkte Filip eifrig, lächelte über beide Ohren und hechtete schnurstracks in die Küche. Patryks Kiefermuskulatur verhärtete sich sichtbar: „Schlauer Schachzug, Kleines...", knurrte er, trat tatsächlich einen Schritt zur Seite und deutete in die Wohnung.

Charlie atmete auf, lächelte, während sie Filip dabei beobachtete, wie er gewissenhaft den Esstisch für drei Personen deckte, erschauderte jedoch regelrecht als Patryk neben sie trat, sie die Wärme seines Körpers dicht an ihrem spürte, ihr mit seiner bloßen Anwesenheit eine unbändige Gänsehaut bescherte. „Ich habe dir Unrecht getan, Patryk...", flüsterte sie leise und schob sich unbewusst dichter an seinen Körper. Sie atmete tief ein, genoss dabei seinen angenehmen Duft, welcher sie an der Nase kitzelte, lauschte aufmerksam seinem unerwartet ruhigen, gleichmäßigen Atem.

„Filip ist noch zum Spielen verabredet", brach er unerwartet, ihre Worte vollends ignorierend die Stille, warf ihr einen nahezu provokanten Blick zu, trat an ihr vorbei und verschwand in der Küche. „Schämst du dich etwa für mich?", feixte Charlie, gespannt, ob sie ihn mit ihrer kleinen Stichelei aus der Reserve locken konnte und tatsächlich. – Er lachte leise: „Das ist eher dein Stil, Kleines...Nicht meiner...", konterte er. Ein Seitenhieb, welcher Charlie leise schnauben ließ.

Noch immer schweigend schielte Patryk auf sein Smartphone, sah auf die Uhr, bevor er sich seinem Sohn zuwandte, welcher sich genüsslich das letzte Stück seines mit Schokocreme bestrichenen Croissants in den Mund schob: „Filip, ziehst du dich bitte langsam an" „Warum?", erkundigte sich der kleine Junge nuschelnd, sah seinen Vater mit große Augen an. „..weil du Besuch bekommst.... Da zieht man sich nun einmal etwas an." Nachdenklich hob Filip eine Augenbraue: „Charlie ist auch Besuch..." „Nicht diskutieren...Abmarsch", mahnte Patryk nachdrücklich und deutete auf das Badezimmer.

Charlie atmete tief durch, vergewisserte sich, dass Filip sich tatsächlich außer Hörweite befand: „Hattest du, seit wir uns kennen, Sex mit einer anderen Frau...oder einem Mann?", fragte sie unvermittelt, hob ihren Blick und sah ihrem Gegenüber entschlossen in die Augen. Perplex runzelte Patryk die Stirn, sein Kiefer angespannt: „Was? Ist das grade....", begann er verbissen, bevor Charlie ihm mit fester Stimme ins Wort fiel: „Antworte mir einfach, Patryk". „Das ist ....", schnaubte er, während Charlie ihn weiter erwartungsvoll ansah: „...Bitte, gib mir eine Chance dir zu vertrauen." Patryk zögerte, atmete tief durch: „Nein, hatte ich nicht...aber das..." „Okay", erwiderte Charlie, unterbrach ihn, bevor er sich weiter rechtfertigen konnte, auf ihren Lippen ein sanftes Lächeln. „Okay?", hakte er verwirrt nach, was Charlie mit einem knappen Nicken bestätigte: „Okay". Patryk holte tief Luft, wollte grade etwas sagen, als ihn das Läuten der Haustür unterbrach. „Super Timing", knurrte er sarkastisch, erhob sich von seinem Stuhl und verließ das Esszimmer.

Verdutzt sah Charlie auf, als sie eine weibliche Stimme im Flur vernahm. Eine Stimme, welche ihr seltsam bekannt vorkam. „Siiiiiiiiiiiimon", rief Filip aus, bevor die Badezimmertür aufschwang, er lediglich halb angezogen über den Flur huschte. Was?! - Bitte nicht!

„Schön, dass es mal geklappt hat, Patryk", bemerkte Marit, als sie das Esszimmer betrat, hielt jedoch abrupt inne, als sie Charlie am Esstisch erblickte, sie jedoch erst beim zweiten Hinsehen zu erkennen schien: „Oh du hast Be...Charlie?" „Vorstellen brauche ich euch wohl nicht", zwinkerte Patryk verschmitzt und deutete auf die Kaffeemaschine „Kaffee?". Mit großen Augen sah Marit zu Patryk, bevor sie sichtlich irritiert den Blick zwischen ihm und Charlie wechselte: „Ähm...ja...gerne", erwiderte sie zögerlich, lächelte knapp und ließ sich auf dem Stuhl neben Charlie nieder, während Patryk ihr eine Tasse Kaffee einschenkte. „Guten Morgen", grüßte Charlie bemüht selbstsicher, schluckte jedoch. Nun wusste sie, worauf Patryk angespielt hatte. ER schämte sich nicht für sie!

Unbewusst straffte Charlie ihre Schultern, als sie zum wiederholen Mal Marits verdutzten Blick auf sich spürte. Sollte das nun die ganze Zeit weitergehen? -Nein- entschied sie für sich selbst, stapelte vollkommen selbstverständlich ihr, wie auch Filips Geschirr neben ihr, schob ihren Stuhl zurück und erhob sich: „Ich sehe mal nach den Jungs", bemerkte sie ruhig, trat dicht neben Patryk, hauchte ihm, als wäre es das Normalste der Welt, einen sanften, innigen Kuss auf die Lippen und ließ ihn ohne ein weiteres Wort allein mit Marit im Esszimmer zurück. Ihr Herzschlag beschleunigt, ihre Atmung unruhig, ihre Finger schwitzig, benetzt von kaltem Schweiß. Außer Sichtweite angekommen lehnte sie sich tiefatmend gegen die Küchenablage, schloss für einen Augenblick ihre Augen. Ein Kuss – Eine Botschaft an Patryk, welche deutlicher nicht hätte sein können!


DarkSide - Femme FataleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt