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Aus den Unterkünften zu verschwinden, in denen die ganzen jungen Frauen untergebracht waren, war wesentlich einfacher als aus dem inneren Teil des Palastes. Dort hatte ich mich gestern Abend an unzähligen Wachen vorbeischleichen müssen, während ich hier geradewegs zur Vordertür hinausspazieren könnte.

Ich hatte trotzdem einen Seiteneingang genommen, um mich aus dem Palast hinaus zu schleichen und mich zum Hauptquartier des Rebellen im Zentrum der Hauptstadt zu begeben, nachdem ein Bote mir heute morgen mitgeteilt hatten, dass die Rebellen mich treffen wollten.

Mittlerweile mussten sie sich überlegt haben, was sie mit meiner Stellung anfangen wollten.

Ich betrachtete das goldgerahmte Gemälde einer Schlacht, das den Flur des Hauptquartiers schmückte. Noch immer wartete ich darauf, dass jemand mich in einen der Konferenzräume führen würde.

"Ruelle." ich drehte mich herum und entdeckte die rechte Hand von Enno. Eine Frau Mitte vierzig mit hellblonden Schulterlangen Haaren. Ich hatte jahrelang zu ihr aufgeschaut. Tat es immer noch. Eine Frau an zweiter Stelle. Kein Mann. Kein männlicher Beta.

"Joyce, wie schön dich zu sehen."

Sie hatte mir das Du angeboten, nachdem wir bei einer Mission vor einem Jahr Seite an Seite gekämpft und überlebt hatten. Als einzige überlebt. Von einem Dutzend Kämpfer.

"Die Freude ist ganz meinerseits. Es müssen Monate gewesen sein, seit ich dich das letzte Mal gesehen habe. Enno hat mir erzählt, dass du dich bereit erklärt hast, in den Palast zu gehen."

Sie kam einige Schritte auf mich zu.

"Und jetzt sieh dich an. Die Gefährtin des Königs."

Ich schnaubte verächtlich.

"Eines Königs, den weder du noch ich akzeptieren."

"Aber dennoch eines Königs." Sie blieb einige Schritte vor mir stehen.

"Ich wusste, dass wir auf deine Loyalität würden zählen können Ruelle. Es gibt nur wenige, deren Loyalität ich mir sicherer bin."

Stolz. Das war es vermutlich am ehesten, was mich bei ihren Worten erfüllte.

"Ich brenne für diese Sache. Seit dem Tag, an dem ich das erste Mal einen Rebellenstützpunkt betreten hatte." Ich hatte im Bruchteil einer Sekunde entschieden, dass ich hierfür geschaffen war. Für das Kämpfen. Das Unterwandern unserer Feinde. Die Intrigen.

"Ich bin froh, dass du es bist Ruelle." Ich wusste, was sie meinte. Sie war froh, dass ich die Gefährtin des Königs war. Dass diese Bürde auf meinen Schultern lasstete.

"Ich auch."

"Komm, Enno und die anderen erwarten dich bereits." Ich folgte ihr durch den Gang bis zu dem Zimmer am Ende, wo ich mich auf einen der Stühle an dem ovalen Holztisch fallen ließ, dessen andere Sitze bis auf den von Joyce bereits alle besetzt waren.

"Wir haben eine Entscheidung bezüglich des weiteren Vorgehens getroffen", eröffnete Enno das Gespräch, nachdem auch Joyce Platz genommen hatte.

Abwartend schaute ich ihn und seine engsten Vertrauten an.

"Wir haben sorgsam erwogen, wie wir deine Position am besten nutzen können, haben uns mit dem König von Cardum in Verbindung gesetzt und sind zu dem Schluss gekommen, dass es der richtige Zeitpunkt ist, um den König zu stürzen", fuhr er fort.

"Wie du weißt sind bisherige Anschläge ausnahmslos fehlgeschlagen. Der König ist beinah immer von Beratern, Wachen oder seinem Beta umgeben. Es gibt kaum einen Moment, in dem er wirklich allein ist." Das wusste ich nur zu gut. Ich war dabei gewesen. Vor fünf Jahren. Als meine Schwester bei einem Angriff auf den Alpha verhaftet wurde. Der Mittäterschaft verdächtigt. Und anschließend hingerichtet. Der Tag des Anschlags war der Tag gewesen, an dem ich sie das letzte Mal gesehen hatte.

Meine Schwester war keine Rebellin. Sie war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Nichts weiter als ein Bauernopfer im grausamen Rachezug des Alphas.

"Wir wissen, dass es sich dabei um ein sensibles Thema handelt Ruelle. Wir erwarten auch nicht von dir, dass du es bist, die den Anschlag ausführt. Wir werden lediglich deine Stellung als seine Gefährtin ausnutzen, um ihn unbewacht umbringen zu können."

Ich schluckte. Umbringen.

"Ein Bote wird dir in wenigen den vorbereiteten Ort nennen. Deine Aufgabe wird es sein dafür zu Sorgen, dass ihr ungestört seid. Wenn du verstehst was ich meine."

"Ihr wollt, dass ich mit ihm schlafe." Keine Frage. Eine Feststellung.

"Du musst es nicht vollziehen. Aber er muss abgelenkt genug sein, um alles andere zu vergessen", versuchte Joyce es zu erklären. Ich sollte ihn also verführen. Mit meinen Reizen spielen und ihn dazu bringen mir zu Folgen. Und dann mit ihm schlafen, damit er wirklich alles um sich herum vergaß, sich nur noch auf seine Gefährtin konzentrierte. Und nicht auf den Pfeil, der sich in seinen Körper bohren würde.

Ich werde keine Beobachter haben wollen, wenn ich meine Königin beanspruche.

"Bereitet diesen Ort für Vollmond vor. Seine Instinkte werden übernehmen."

Und ich würde ihn liebend gern in die Falle führen. Würde seine Triebe ausnutzen, die er gestern Abend auch nicht unter Kontrolle hatte.

Enno nickte.

"Das wird sich einrichten lassen, es sind noch fast zwei Wochen bis dahin."

Zwei Wochen. Zwei Wochen, in denen ich weiter an seiner Seite stehen musste.

Und dann? Dann war ich frei. Würde mein Leben wieder leben können. Ihn vergessen. Er würde tot sein und wir alle würden in einer freieren, einer besseren Welt leben. Ohne den Krieg, der so viele sinnlose Leben forderte.

"Das Problem wird durch den Anschlag allein nicht gelöst sein", wandte ich ein.

"Deswegen haben wir uns bereits mit dem König von Cardum in Verbindung gesetzt. Er wird bereit sein das entstehende Machtvakuum auszunutzen, um die Macht zu übernehmen."

Ein neuer König. Vielleicht war es das, was dieses Land so dringend brauchte. Nach Jahren der Herrschaft von Arden und davor seinem Vater war es an der Zeit für diesen Machtwechsel.

"Wieso keine Rebellenregierung? Wieso ein anderer König?", fragte ich nach.

"Der König von Cardum hat Männer. Eine Armee. Das, was uns fehlt. Er wird unseren Putsch unterstützen. Im Gegenzug werden wir ihn unterstützen den Thron zu besteigen und unsere Länder zu vereinen. Er hat bereits begonnen seine Armeen in die Berge an der südlichen Grenze von Cantula zu verschieben, sodass sie die Hauptstadt schneller erreichen können."

Ich schluckte. Armeen. Die bereits in unserem Land stationiert waren.

Nicht alle Rebellen wussten von der Zusammenarbeit mit dem König von Cardum. Ich wusste es ja selbst erst seit wenigen Tagen, obwohl ich in der Hierarchie der Rebellen nicht gerade weit unten stand.

Ich wusste, dass der König von Cardum es sich nicht leisten konnte mit den Rebellen von Aldoran in Verbindung gebracht zu werden. Aber so etwas schwerwiegendes wie fremde Armeen. Das sollte das Volk wissen.

"Und sobald er die Herrschaft übernommen hat, wird er den Krieg mit Molonar beenden. Mit seiner Hilfe werden die Armeen von Aldoran in deren Hauptstadt einmarschieren und Frieden zwischen unseren Reichen erzwingen."

Frieden. Nach Jahren des Krieges würde dieses Land wieder atmen können.

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Ich hoffe jedenfalls ihr freut euch über das neue Kapitel. Ab jetzt wieder regelmäßiger, weil ich die Klausurenphase überlebt habe!

Mated GamesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt