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Ich hatte es nie begreifen können. Dieses Gefühl, wenn man jemanden tötet. Scham, Angst, Wut, für mich existierte all das nicht.

Vielleicht weil ich damals genau gesehen hatte, wie das Licht des Lebens Pierres Augen verließ.

Vielleicht hat mich das ja verflucht.

So schon etwas zu fühlen war für mich schwer genug. Es war ermüdend, nichts fühlen zu können und in dieses Nichts schlich sich immer wieder dir Schuld ein. Die Schuld, unfähig zu sein, anderer Leute Gefühle nachvollziehen zu können.

Bisher hatte ich immer davon abgesehen, jemanden wirklich zu töten. Lähmung, Bewusstlosigkeit oder die Flucht meiner Gegner hatte mir schon gereicht.

Nicht, weil ich es nicht gekonnt hätte, sondern weil es leichter war, sie am Leben zu lassen.

Aber das war jetzt egal. Ich war feige gewesen, hatte versucht, den einfachen Weg zu gehen.

Damit ist jetzt Schluss.

"Bring die anderen in Sicherheit." verlangte ich von meiner Schwester. Dampf entwich meinen Händen, striff meine Arme entlang, bevor er zu Boden flüchtete.

Sie sah mich an mit einem Gesichtsausdruck der hätte jede Emotion sein können oder auch gar keine.

Meine kleine Schwester war schon immer besser darin gewesen als ich, ihre Gefühle zu verstecken.

Ob sie deswegen Auftragsmörderin wurde? Um etwas zu fühlen?

"Was soll ich mit Lucas Körper machen?" fragte Suzanne schließlich. "Ich werde mich um ihn kümmern." Auf meine Antwort nickte sie verstehend und machte sich auf, die anderen Kämpfer einzusammeln.

Ich verlor mich in meiner Frustration, während ich Eisenkeile aus dem Boden hervor schoss.

Ich verlor mich in meiner Angst, während ich Splitter durch die Luft warf, die alles aufspießten, was sich ihnen in den Weg stellte.

Und ich verlor mich in meiner Trauer, als ich einen Sarg um Luca formte, der ihn vor weiteren Angriffen schützen sollte.

Die Stadt war nicht mehr als ein einziger Friedhof und dann hörte ich die Autos anrollen.

Sechs Stück waren es. Drei schwarze Vans vorne, eine Limousine und drei weitere schwarze Vans.

Dann hat sich der Chef also auch endlich aus seinem Versteck getraut.

Langsam stieg ich über den Schotter, die leblosen Körper von Soldaten beider Seiten.

Der Chef stieg ebenfalls aus seinem Auto, nicht aber seine Wachleute. Ich war bereit, für einen Angriff von jeder Seite, hielt meine Hände kampfbereit aber hielt meinen Blick auf dem Mann, der all das hier zugelassen hatte.

Mein Blick wand sich erst von ihm ab, als die Tür sich öffnete und neben ihm eine weitere Person ausstieg.

"Papa." flüsterte ich, konnte nicht glauben, dass er hier vor mir stand. Wortlos zog er etwas in eine Stofftüte eingewickeltes aus der Tasche und reichte es dem Führungsträger der Menschen.

Jedes mögliche Szenario sprang in Sekunden durch meinen Kopf. Dass er sich mit den Menschen verbündet hatte und jetzt hier war, um mich zu töten, das war noch der logischste Gedanke.

Aber dann zog mein Vater sein Handy hervor und fing an, die Kamera auf den Führungsträger zu halten.

Der zog eine weiße Fahne aus der Tüte und hielt sie in die Luft. "Mein Name ist Maurice Blocheur, ich spreche als Vertreter der gesamten Regierung Frankreichs. Der Krieg, der nun schon bald zwei Monate andauert und mehr Opfer zu verantworten hat, als die größten Unwetterkatastrophen diesen Jahres, soll heute beendet werden." fing er an.

Sie wollten also, dass ich kapituliere. Jetzt, wo Luca tot ist, ist das natürlich die perfekte Gelegenheit.

"Wird sich die Regierung für diesen Krieg verantworten?" fragte ich, wollte den Mann vor mir so damit provozieren.

"Ja." antwortete er zu meiner Überraschung. "Die Regierung erkennt an, dass die Verheimlichung der Elementaristen eine der größten Schandtaten war, die sie in ihrer ganzen Existenzgeschichte begehen konnte. Die strukturelle Unterdrückung soll hiermit aufgegeben werden."

Er hob seinen Arm, hielt die weiße Fahne in die Luft.

"Die Menschen ergeben sich und sehen diesen Kampf nicht nur als ihre Niederlage, sondern auch als ihre Schuld an. Wir sind bereit, jegliche Forderungen der Elementaristen anzunehmen, sofern sie bereit sind, mit uns ins Gespräch zu gehen."

Ha, dumm war er definitiv nicht, das musste ich ihm lassen.

Er lockte mich direkt in eine Falle, denn wenn ich jetzt ablehnte, wenn ich jetzt sage, dass ich nicht bereit war, mit ihm ins Gespräch zu gehen, dann stand weiter der Ruf als Kriegstreiber auf der Stirn eines jeden Elementaristen.

"Ich will ein Krankenhaus, privatisiert für die alleinige Versorgung und Verpflegung meiner Mitstreiter. Wenn das und ihre Sicherheit garantiert werden kann, bin ich bereit an Stelle des Anführers der Rebellenbewegung ins Gespräch mit Ihnen zu treten." erklärte ich. 

"Du hast also wirklich die Seiten gewechselt." bemerkte der Mann vor mir mit dem Anschein eines Grinsens im Gesicht. "Nein, ich war von Anfang an auf keiner Seite. Ich wollte keinen Krieg, ihr habt ihn dazu getrieben." zischte ich. "Das Blut jedes Toten, der in diesem Wahnsinn gestorben ist, klebt an Euren Händen, nicht an meinen." 

Mein Vater nahm das Handy langsam runter, weswegen ich wieder zu ihm sah. "Und du? Was machst du hier?" fragte ich ihn also. "Für meine Kinder da sein." antwortete er. "Ja? Du hättest für Luca da sein können, dann wäre das vielleicht alles nie passiert." 

Feuer, Eis und die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt