'48'

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"Das wars also? Du gibst auf. Einfach so?" Elliots kleine Schwester Suzanne sah mich an, die Arme an die Hüfte gestemmt. Ich wusste nicht, seit wann sie dort stand und mein Gefühl sagte mir, sie würde es mir nicht verraten, auch wenn ich Suzanne fragen würde.

"Nein, nicht einfach so." antwortete ich und setzte mich ins Gras, meinen Rücken gegen den Stamm gelehnt. "Es sieht für mich aber sehr danach aus." meinte sie, erinnerte mich mehr und mehr an ihren Bruder. "Weil du es nicht so sehen kannst, wie ich." 

Suzanne setzte sich neben mich, die Beine ineinander verschränkt. Sogar ihre Art zu sitzen wirkte streng. Als würde sie sich keinen einzigen Makel erlauben wollen. 

Es muss anstrengend sein, so zu leben. Vielleicht ist Suzanne deswegen das Leben als Auftragsmörderin ausgesucht. Ein solches Leben strotzte nur so vor Imperfektion.

"Dann erklär es mir." bat sie. Ihre Augen sahen voller Desinteresse ins Leere, nur ihre Hände verrieten mir, dass Suzanne wirklich Interesse an diesem Gespräch hatte. Ihre Hände, die sie immer wieder ineinander faltete, nur um sie kurz darauf wieder zu lösen. 

"Weißt du, Elliot ist echt klasse. Er ist ein großartiger Kämpfer, könnte der Stärkste seiner Art werden. Er verdient jemanden, der genauso cool ist, wie er." meinte ich und schnaubte über meine eigenen Worte.

Hätte Suzanne mich gefragt, wie ich mich gerade fühle, hätte ich ihr keine Antwort geben können. Ich konnte, was gerade in meinem Herzen passiert, nicht beschreiben. Mir war kalt und ich zitterte. 

Aber trotzdem war ich irgendwie ruhig. 

Auch wenn alles in mir eigentlich schreien wollte, ich schaffte es nicht, diese Unruhe nach außen zu zeigen.

"Ihr passt gut zusammen, du und er. Ihr seid beide Idioten." Leise lachend legte ich den Kopf in den Nacken. "Er ist fast für dich gestorben und du, du bist wirklich für ihn gestorben. Auch wenn du wiedergekommen bist." fügte Suzanne ihren Worten hinzu.

"Hat außer mir noch jemand überlebt? Das Inferno, meine ich." wollte ich wissen. "Zoe wurde gestern Abend beerdigt, neben ihrem Sohn." Ich hatte nur Gerüchte gehört, dass Zoe eine Abtrünnige war, die versucht hatte, mit ihren Kräften ihren verstorbenen Sohn wieder zum Leben zu erwecken.

Aber ich hatte Gerüchten noch nie großen Glauben geschenkt und wirklich interessiert hat es mich damals auch nicht. 

"Und Pierres Vater?" Nur schwer kam sein Name über meine Lippen. Wenn ich ganz ehrlich war, inzwischen schämte ich mich ziemlich für mein Verhalten. Ich bereute es nicht, trotzdem schämte ich mich.

Und ein kleiner Teil in mir hoffte, ich hätte dieser ganzen Familie noch so viel mehr angetan.

"Er hätte vielleicht noch leben können, aber über die Hälfte seines Körpers war bis auf die Knochen verbrannt. Er wäre sein Leben lang an eine Maschine gebunden gewesen. Seine Frau hat sich dagegen entschieden." erzählte Suzanne. 

Ich wollte wirklich, das mir das ganze leid tut. Mir war klar, dass Alice das nie gewollt hätte. Sie war, auch wenn sie eine Killerin war, ein herzenslieber Mensch. 

"Papa ist fast ausgerastet, als er erfahren hat, was seine Kinder so hinter seinem Rücken treiben. Mama war eher weniger überrascht." meinte Suzanne dann plötzlich. "Aber am allermeisten hat Papa für dich geweint. Selbst, als er wusste, dass du noch weitaus mehr getötet hast als ich, da hat er für dich Tränen vergossen, dass es einem schon peinlich war."

Aufmerksam blickte ich sie an, wartete darauf, dass sie erklärte, warum gerade das jetzt wichtig zu erzählen war. 

"Er hat dich ins Herz geschlossen. Auch wenn Papa wie ein Schwächling wirkt, das macht er nicht mit jedem." erklärte Suzanne schließlich. "Also egal, was du jetzt tun willst, ich finde, er verdient es, dass du dich wenigstens bei ihm bedankst." 

Diese Familie war ja schon putzig. Nur, wenn ich mich jetzt von ihnen einlullen lasse, dann werde ich mich niemals losreißen können. Ich kann es Elliot nicht antun, irgendwelche Hoffnungen aufleben zu lassen. 

"Wie lange werden eure Verhandlungen noch dauern?" fragte ich.

"Nicht mehr lange. Elliot setzt sich da drinnen wirklich ein. Du wärst sicher beeindruckt." antwortete Suzanne, worauf ich nur Schmunzeln konnte.

Das bin ich so oder so, weil ich mir sehr gut vorstellen kann, wie mein Elliot da drinnen alle in Grund und Boden diskutiert.

"Ich werde nie das Glück haben, jemanden so zu lieben, wie du oder Elliot es tun und damit habe ich meinen Frieden gefunden. Trotzdem stört es mich, zu sehen, wenn du diese Liebe einfach aufgibst."

Dass Suzanne so offen mit mir sprich bewies mir, wie ernst es ihr mit ihren Worten war.

Unter anderen Umständen hätte sie mir all das wahrscheinlich nie erzählt.

"Ich glaube nicht, dass du nie lieben wirst." meinte ich und stand vom Boden auf.

"Ich habe geliebt." meinte sie dann, wirkte fast schon eingeschnappt darüber, dass ich ihr keinen Glauben schenkte.

Mit sanften Lächeln sah ich das Mädchen vor mir an.

"Das hab ich auch. Und ich liebe wieder, so wie du wieder lieben wirst. Manchmal überraschen wir uns selbst."

Mit klopfendem Herzen lief ich auf das Gebäude zu, riss die Türen auf und suchte nach dem Versammlungsraum.

Manchmal überraschen wir uns selbst.

Was spontan über meine Lippen gekommen war, bedeutete für mich vielleicht sogar noch ein bisschen mehr, als für Suzanne.

Vor der Tür standen, anders als bei der letzten Verhandlung, keine Wachen.

Dennoch fühlte es sich so an, als würden zehn Waffen auf mich gerichtet sein, als ich den Raum betrat.

"Ihr hattet doch nicht gehofft, ich bin schon tot, oder?"

Feuer, Eis und die LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt