Im Spiegel blickte mir eine eher fremde Frau entgegen. Ihre Lippen waren zu einem Lächeln verzogen, doch es wirkte aufgesetzt und erreichte ihre Augen nicht, unter denen dunkle Augenringe lagen.
An ihrem abgemagerten Körper hing ein weißes, aus Seide glänzendes Kleid, das ihre helle Haut nur noch mehr betonte und sie weiß wie eine Wand wirken ließ. Die beste Freundin dieser Frau tippte wild an ihrem Handy herum und gab der Mitarbeiterin dieses Brautmodegeschäftes das Okay für dieses Kleid, das an der Frau wie ein zu großer Sack wirkte.
Die Wangenknochen waren eingefallen und die grauen Augen wirkten trüb. Die blonden Haare schienen schon seit Tagen nicht mehr gewaschen zu sein, denn sie glänzten fettig im Licht der wundervollen Lampe über ihr.Die Hände der Frau zitterten leicht, als sie sich eine Strähne hinter ihr Ohr zurückstrich und versuchte das Bild vor sich zu verstehen. Als sie versuchte mit diesem Anblick zu leben. Als Vivian zu dieser Frau trat und ihr eine Hand auf die Schulter legte, die Lippen zu einem breiten Strahlen verzogen, wusste ich wieder, dass diese Frau ich war.
Diese Frau war ein Schatten meiner selbst und hatte nichts mit der July zu tun, die ich vor drei Monaten noch gewesen war. Vor drei Monaten hatte ich noch heiraten wollen. Vor drei Monaten war ich die glücklichste Frau der Erde gewesen.
Jetzt aber? Jetzt aber erkannte ich den Preis, den ich für den teuren Verlobungsring an meinem Finger wirklich gezahlt hatte.
Lange hatte ich mich im Schutz von Joshs selbstgemachter Blase bewegt, hatte mir eingeredet, dass es nichts Schöneres gab als mit 25 Jahren reich zu sein, nicht mehr arbeiten zu müssen und zu heiraten.Die Wahrheit sah anders aus. Sehr anders. Seit Josh die Firma übernommen hatte, war er so selten Zuhause, dass ich, wenn er dann endlich mal um 21:00 Uhr nach Hause kam, manchmal zweimal hinsehen musste um mich zu vergewissern, dass es kein Einbrecher war, der das Haus betrat.
Wir lebten in einer Villa. Am Anfang unserer Beziehung, vor zwei Jahren, war es eine Villa gewesen. Unser zukünftiges Zuhause. Jetzt aber? Jetzt aber war es ein goldenes Gefängnis, das ich nur unter Aufsicht von einem Bodyguard tun konnte.
Das Imperium, das Josh vor fünf Monaten übernommen hatte, war groß und weltweit bekannt. Auf seinen Vater war vor ein paar Jahren ein Anschlag verübt worden. Er besaß eine Investmentfirma.
Und dementsprechend gab es manchmal Menschen, die mit seinen Entscheidungen nicht einverstanden waren.
Nun war er zurückgetreten, um seinen Sohn die Möglichkeit zu geben, das Geschäft zu leiten. Josh war... Meister in seinem Werk. Er trieb die Firma voran und hatte gute Visionen. Nur in diesen Zukunfsvisionen kam ich nicht mehr vor.Josh hatte mir zwei Monate nach der Übernahme keinen wirklichen Antrag gemacht. Wir hatten am Tisch mit seinen Eltern gesessen und er hatte einfach verkündet, dass er und ich heiraten würden. Anfangs hatte ich das noch überspielt und gesagt, dass er so oder so wüsste, dass ich ja sagen würde, jetzt aber, zurückblickend, hatte er mich danach nie gefragt ob ich das wirklich wollte. Er hatte es angenommen.
Genauso wie er angenommen hatte welche Feier ich mögen würde, welchen Ort ich bevorzugen würde, welche Leute ich dabei oder nicht dabei haben wollte, welche Deko es geben würde und das Wichtigste: Welches Kleid ich wollte.
Denn das hier war kein Kleid, das ich ausgesucht hatte. Keines der Kleider hatte ich ausgesucht. Er hatte sie ausgesucht und für mich zurecht legen lassen.
Josh schien seit vier Monaten zu wissen, was ich wollte und was nicht. Er hatte mich gebeten mit dem Arbeiten aufzuhören. Da ich meinen Job eh nicht sonderlich gemocht hatte, hatte ich nicht lange widersprochen, mit dem Wissen, dass ich mir ja eh einen neuen Job hatte suchen wollen.Nur das er meine Suche unterbunden hatte und überall, wo ich mich beworben hatte, im Voraus angerufen, damit sie mich nicht nahmen.
Das alles hatte ich erst etwas spät herausgefunden. Das Haus hatte ich auch kaum noch verlassen können ohne einen Bodyguard und mittlerweile lauerten überall Paparrazi, da sie wussten, dass Josh Mc'Allestair mich als seine Verlobte hatte und nun fragten sie sich natürlich, ob ich schwanger sei.
Das zumindest hatte ich noch selbst in der Hand. Und ich war nicht schwanger. Was in meiner Verfassung auch nicht gut gewesen wäre.
Denn nachts konnte ich schlecht schlafen und weinte mich oft in den Schlaf. Josh hörte nicht mehr zu, war kaum noch da. Er betrog mich nicht. Das nicht. Er versuchte sogar mit mir zu schlafen, auch wenn er müde war und er sorgte sich sehr um mich. Er kümmerte sich darum, dass ich genug zu Essen hatte. Er rief manchmal auch an und erkundigte sich danach, wie mein Tag so gewesen sei bis jetzt und manchmal da kam er auch früher nach Hause, damit wir zusammen Abendessen konnten.
Doch es war nicht mehr die Beziehung, die vor sieben Monaten noch gehabt hatten. Meine Freiheit war... verschwunden. Es gab sie nicht mehr.
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Her Destiny
WerewolfJuly war sich in ihrem Leben eigentlich immer sicher: Josh würde ihr Ehemann werden. Doch am Anprobetrag ihres Kleides fühlt sich plötzlich nichts mehr gut an. Sie fühlt sich eingeegnt und Fehl am Platz. Alles wird anders und dann steht Kane Bennett...