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"Kann ich Ihnen noch etwas bringen?", fragte mich die Flugbegleiterin wohl zum gefühlt zwanzigsten Mal und wieder lächelte ich so gut es ging und schüttelte meinen Kopf. Das einzige, was ich brauchen könnte, wären zwei weitere Kissen und selbst dann würde mein Po noch mehr schmerzen als es mein Herz bereits tat.

War es das nun wirklich? Ich würde mit diesem Flugzeug in wenigen Minuten landen, mit all den fremden Menschen aussteigen und dann mein Leben weiterleben, als wäre nie etwas geschehen? Der Gedanke war absurd. Was war mein Leben hier überhaupt gewesen? Meine Eltern waren praktisch nie da und meine einzigen sozialen Kontakte waren Phil, Bea und Karla.

Seufzend lehnte ich mich zurück und zog direkt scharf Luft ein. Dieser Cecil hat meinen Arsch genutzt, um jegliches Trauma seines Lebens aufzuarbeiten, so fühlte es sich zumindest mittlerweile an. Ich spürte, wie sich meine Mundwinkel bei der Erinnerung an vor ein paar Stunden nach oben zogen und schüttelte sofort den Kopf, um mein Gesicht wieder in seine Ursprungsform zu bringen. Das beste was ich tun konnte, war wohl, das alles einfach zu vergessen. 

Ich machte die Musik, die in meinen Kopfhörern spielte, noch etwas lauter und versuchte damit mein Schmerzempfinden auszutricksen, was nur mäßig funktionierte.
"Entschuldigen Sie bitte aber sie müssten das Flugzeug nun verlassen", sprach mich die Flugbegleiterin heute zum Glück zum letzten Mal an.
"Äh ja natürlich, entschuldigung", erwiderte ich ihr und stand dabei sofort auf, um meinen Rucksack zu nehmen und das Flugzeug zu verlassen. Zum Glück noch lange nicht als letzte.

Verdammt schon zwei Anrufe meiner Mutter. Gott, warum mussten sie ausgerechnet heute beide frei haben und auch noch in der Stadt sein? Erschöpft begann ich etwas schneller zu laufen. Erst einmal meinen Koffer. Oh Gott, hatte ich überhaupt einen? Angestrengt versuchte ich mich daran zu erinnern, als Leon mich zum Flughafen gebracht hatte. Aber da war nichts als Leere.

Angestrengt schaute ich auf das Band. Sie wären ja wohl so schlau gewesen, den Koffer irgendwie zu markieren. "Danielis." Natürlich. Augenrollend blickte ich auf die Buchstaben, die nicht wie bei normalen Menschen auf einem Plastik oder Papierschildchen standen, sondern in die obere Ecke des Koffers eingearbeitet schienen. Ich drängte mich an ein paar Menschen vorbei, um ihn an mich zu nehmen und entdeckte einen Umschlag, der an der Rückseite angebracht war.

Mit einer ausgewogenen Mischung an Neugier und Unwohlsein, löste ich ihn vom Koffer und öffnete ihn. 
"Damit du ein paar Sachen hast. Den Rest schicken wir per Post. Ich hoffe du bist gut angekommen -Alexander"

Ich steckte den Brief einfach zurück und folgte der Navigations meines Handys zu dem Parkplatz, auf dem meine Eltern warteten.
"Da bist du ja endlich", rief meine Mutter mir zu, um nicht warten zu müssen, bis ich nah genug war, um in einer normalen Lautstärke mit mir reden zu können.
"Da bin ich", gab ich zurück und zwang mich zu lächeln, was sofort Sorge in den Gesichtern meiner Eltern schrieb.
"Mir geht's gut, ich bin nur einfach sehr müde", erklärte ich mich und ließ mich in eine liebevolle Umarmung mit den beiden ziehen.

"Dann lass uns mal schnell nach Hause fahren", sprach mein Vater mir zu und nahm mir den Koffer ab.
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Die Augen zu öffnen und wieder meine Wände zu sehen war unfassbar seltsam und ließ den Schmerz, den ich sehr gut verdrängte, wieder ein Stückchen hervorkommen. Ich streckte mich und zwang mich, aus dem Bett zu steigen. Meine Eltern schienen tatsächlich weiter hier drin geputzt zu haben. Es war kein einziges Staubkorn zu sehen.

Ich blieb stehen und betrachtete den Koffer, den ich einfach erst einmal in die Ecke gestellt hatte. Nachdem ich mich entschieden hatte, dass mir nichts darin etwas antun konnte, kniete ich mich hin und öffnete den Reißverschluss. Ich lachte als mir als erstes eine Jogginghose entgegenkam. Wie schwer das wohl für ihn war? Oh Gott, von wegen der Inhalt konnte mir nichts. Schnell fing ich die Träne mit der Seite meines Fingers auf und packte weiter aus. Unterwäsche, Röcke und Kleider sowie zwei Jeans. Ob ihm bewusst war, dass ich auch vorher Kleidung besessen habe, die mir in der kurzen Zeit wohl kaum zu klein geworden war?

Ein weiterer Stich. Die Zeit war viel zu kurz gewesen. Anstatt mich weiter damit zu beschäftigen, öffnete ich die andere Seite und hielt inne. Das konnte er nicht ernst meinen. Klar, sie waren reich aber. Ich nahm den Laptop in meine Hände und öffnete ihn, um einen weiteren Zettel zu entdecken: "Ich weiß dass du ihn nicht annehmen willst, aber es ist nun einmal deiner. Ich habe keine Verwendung für ihn, also bitte nutze ihn." Hatte er wirklich geglaubt, dadurch würde ich ihn lieber annehmen wollen? Und überhaupt... Was sollen diese ganzen Nachrichten? Wie soll ich ihn so vergessen?!

Frustriert knüllte ich den Zettel zusammen und schmiss ihn in den Mülleimer, nur um kurz darauf wieder aufzustehen und ihn wieder hervorzuholen. Pack ihn nicht in die Schublade. Lass es sein. Aber ich konnte nicht anders. Gott, was tue ich hier?   

Seufzend ließ ich mich nach hinten auf den Boden fallen und starrte die Decke an.
"Bist du wach?", sprach meine Mutter durch die Tür, worauf ich mich wieder erhob und dies bejahte.

"Dein Vater hat gekocht und wir würden nun essen. Möchtest du dazu kommen?" Ein Nein war keine Antwortmöglichkeit, aber aktuell würde ich mich auch ganz sicher keine halbe Stunde mit ihnen an den Tisch setzen und diese unangenehme Stimmung aushalten.

Also erhob ich mich und beschloss zumindest etwas zu trinken und ein Treffen mit Phil als Ausrede zu nutzen, warum ich nichts essen kann.

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