Kapitel 38

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Wincent

Mit leicht zittrigen Knien betrete ich mit Fine den leicht verschneiten Friedhof. ,,Da müssen wir hoch", sagt sie leise und deutet auf einen kleinen Berg, neben der kleinen Kapelle. ,,Alles gut?", frage ich leise und lege einen Arm um sie. ,,Ja, ich glaube schon", lächelt sie leicht. Oben angekommen, steuert sie ein wunderschönes Grab an. ,,Hallo Mama und Papa", flüstert sie. Automatisch gehe ich einen Schritt nach hinten und lasse sie einen kurzen Moment für sich. Ich erkenne wie sie die Augen geschlossen hat und ihren Gedanken versunken ist. Die ganze Zeit beobachte ich sie, um sie im nächsten Moment emotional auffangen zu können. ,,Darf ich euch jemanden vorstellen", lächelt sie und hält mir ihre Hand hin. Ich greife nach ihrer kalten Hand und trete neben sie. ,,Hallo ihr beiden", sage ich leise und hauche Fine einen Kuss auf die Schläfe. ,,Ihr hättet mir keinen besseren Mann schicken können und ich bin mir sicher, ihr habt da eure Finger mit ihm spiel", flüstert sie und ihre Stimme wird zum Ende hin immer leiser. Leicht überfordert von der Situation lege ich einen Arm um sie. ,,Ich vermisse euch so sehr", haucht sie und ich höre wie ihre Stimme zittert. Plötzlich entweicht ihr ein herzzerreißender Schluchzer und sie sinkt auf ihre Knie. ,,Hey Schatz, steh auf. Der Boden ist zu kalt", flüstere ich und ziehe sie hoch. Sie kämpft leicht dagegen an, lässt sich aber an meine Brust ziehen. Dort weint sie hemmungslos weiter. ,,Shh", flüstere ich und streichle ihr durchs Haar. Irgendwann wird ihr Schluchzen immer leiser und plötzlich kommt die Sonne durch die Wolken. Lächelnd blicken wir nach oben und denken in diesem Moment genau das selbe. ,,Bist du oft hier?", frage ich leise. ,,Nein, ich schaffe es nicht oft. Ich bekomme es einfach nicht in den Kopf, das sie da unten liegen. Oder eher gesagt, will ich es nicht wahrhaben", murmelt sie und lehnt sich an mich. ,,Warst du eigentlich bei der Beerdigung dabei? Du sagtest ja, du lagst im Koma. Aber ehrlich gesagt, habe ich gar keine Ahnung wie lange das so dauert." ,,Ich war nicht dabei. Da lag ich tatsächlich noch im Koma. Mama und Papa wurden paar Tage nach dem Unfall schon beerdigt.

Vielleicht ist es deswegen so schwer zu verarbeiten. Ich hatte ja gar keine richtige Chance mich von den beiden zu verabschieden.
Weißt du, mir kann jeder sagen, sie liegen da unten, aber ich habe es einfach nicht mit meinen eigenen Worten gesehen. Weißt du was ich meine?" Nickend lege ich meinen Kopf auf ihrem ab und starre auf dem Grabstein. ,,Und die restliche Familie konnte sich ja nochmal richtig von ihnen verabschieden. Oma sagte, sie sahen so friedlich aus, als würden sie einfach nur da liegen und schlafen", haucht sie. Nun ist es bei mir auch vorbei und mir läuft eine Träne die Wange hinunter. ,,Für mich waren sie einfach weg und ich habe Angst sie zu vergessen. Wie sie waren, wie sie rochen, wie sie aussahen, wie sie gesprochen haben", flüstert sie und vergräbt sich wieder in meiner Jacke. ,,Das wirst du nicht, da bin ich mir sicher." ,,Ich bräuchte sie einfach so sehr", haucht sie und schaut mich mit verweinten Augen an. ,,Ich weiß", murmle ich und hauche ihr einen Kuss auf die Stirn. ,,Kann ich vielleicht einen Moment für mich sein?", fragt sie leise. ,,Natürlich. Soll ich gehen oder willst du vor gehen?" ,,Ich gehe vor, wenn die das recht wäre." ,,Klar, hier", sage ich und reiche ihr den Autoschlüssel. Kurz schaue ich ihr nach, bevor ich mich nochmal zu dem Grab ihren Eltern herumdrehe. ,,Danke, das ihr so eine wundervolle Tochter geboren und aufgezogen habt. Sie ist einfach wundervoll und so stark. Ihr wärt unfassbar stolz auf sie. Ich werde auf sie aufpassen, dass verspreche ich euch", flüstere ich in die Stille, warte einen Moment und verlasse ebenfalls den Grab. Dabei spüre ich ein wohliges Gefühl in meiner Bauchgegend, das musste ich eben einfach loswerden. Als ich zum Auto komme, lehnt sie ihren Kopf an die Fensterscheibe und lächelt mich leicht an.

,,Geht es?", frage ich und greife nach ihrer Hand. ,,Ja, muss", haucht sie und dreht ihren Kopf zu mir. Zurück im Hotel gehen wir gleich zu ihren Großeltern und finden Shay schon vor. ,,Was machst du denn hier?" ,,Habe Elisabeth getroffen und die hat mich mitgenommen." ,,Wo wart ihr denn? Ihr schaut durchgefroren aus", sagt Trixie und stellt Teller auf den Tisch. ,,Wir waren bei Mama und Papa", antwortet Fine leise und rutscht auf der Eckbank neben Shay. ,,Oh wirklich?", fragt Daniel überrascht. ,,Ja, ich hatte heute irgendwie das Bedürfnis", lächelt sie leicht und schenkt sich Wasser ein. ,,Wincent, kannst du mir vielleicht kurz helfen?", ruft Trixie aus der Küche. ,,Ja klar", sage ich und gehe zu ihr. ,,War alles okay?", fragt sie leicht besorgt. ,,Sie hat kurz geweint, aber sonst ging es eigentlich", antworte ich und lehne mich an den Küchenschrank. ,,Sie ist nicht oft dort. Wir sind wirklich regelmäßig dort. Meine Mama ist fast täglich dort und schaut nach dem rechten. Aber Fine schafft es nicht. Ist ja auch nicht schlimm, aber das überrascht mich jetzt doch. Sie liebt dich wirklich sehr", lächelt sie. ,,Ich liebe sie auch. Und ich habe es eben dort schon gesagt und sage es auch dir gerne nochmal, ich werde auf sie aufpassen. Auch wenn es für euch natürlich nicht leicht ist, dass sie in den Norden von Deutschland ziehen möchte, will ich euch ein bisschen beruhigen und euch versprechen, das ich so gut es geht für sie da sein werde. Denn so wie ich für sie fühle, habe ich schon lange nicht mehr und hatte auch schon Angst, dass ich es nicht mehr tun werde." ,,Ich freu mich einfach so sehr für euch", flüstert sie gerührt und zieht mich in eine Umarmung.

Mittlerweile haben wir schon Montagmorgen und wir sind gerade auf dem Weg in den Norden. Trixie, Daniel und Elisabeth begleiten uns. Seppl steht zufrieden im Hänger bei Elisabeth am Auto. Sie haben eine Kamera im Anhänger und Fine beobachtet ihn die ganze Zeit. Wir haben schon mehrere Pausen gemacht und sind schon bald nach Hause. ,,Er macht das wirklich super, hätte ich nicht gedacht", lächelt sie und dreht sich zu Shay um. ,,Was macht er denn?" ,,Frisst", kichert sie und hält mir den Bildschirm hin. Eine weitere Stunde später fahren wir schon auf den Hof. Kaum sind wir ausgestiegen, werden wir von Herrn Simon begrüßt und Seppls Box gezeigt. Da Fine natürlich nicht gut zu Fuß ist, laden ihn Elisabeth und Shay aus und bringen ihn erstmal zu seiner neuen Box. ,,Schau doch mal", flüstert Fine und deutet auf ihn und dem Nachbarspferd wie sie sich beschnuppern. ,,Süß, vielleicht verstehen sie sich ja", schmunzle ich. ,,Ist bei dir eigentlich alles gut?", frage ich besorgt, als sie schmerzerfüllt ihr Gesicht verzieht. ,,Bein Bein." Ich schaue mich um und entdecke einen Stuhl im Gang stehen. Den hole ich und stelle ihn neben Seppls Box. ,,Danke", haucht sie und setzt sich hin. Der Dicke kommt gleich her und legt seinen Kopf auf Fines Bein ab. ,,Willkommen in deinem neuen zu Hause. Dir wird es hier sicherlich gefallen", flüstert sie und haucht ihm einen Kuss auf die Stirn. Währenddessen schleppen die anderen seine Sachen in die Sattelkammer. Auch ich beschließe mich ein bisschen zu helfen. ,,Jetzt bist du ein waschechtes Nordlicht", grinse ich und streichle Seppls Hals. ,,Stimmt das, dass das Meer hier ganz in der Nähe ist?", fragt Fine aufgeregt. ,,Ja, wenn man auf der gegenüberliegenden Seite den Feldweg runter reitet, ist man am Strand", antwortet meine Schwester.

,,Wir werden einfach am Strand reiten Sepp. Das war immer Mamas und mein Traum", haucht sie und lehnt ihren Kopf an seinen. ,,Komm, wir lassen ihr einen Moment", sage ich leise zu Shay und gehe mit ihr nach draußen. Ich habe wirklich gelernt, wann sie alleine sein möchte. Irgendwann kommt auf Fine aus dem Stall gehumpelt. ,,Shay, könntest du ihm vielleicht noch die Decke überziehen?" ,,Klar, einen Moment", lächelt sie und geht wieder rein. ,,Fahren wir dann nach Hause?", frage ich in die Runde und ernte ein einstimmiges Ja. Die drei werden noch ein paar Tage hier bleiben. Als Shay zurückkommt, fahren wir nach Hause. ,,Oh wow", staunt Trixie, als wir das Haus betreten. ,,Ist schön oder?", schmunzelt Fine und setzt sich aufs Sofa. ,,Soll ich euch rumführen?", frage ich und fange die Tour einfach schon an. Als wir wieder im Wohnzimmer ankommen, setzen wir uns zu Fine. ,,Schatz?", fragt sie leise. Fragend schaue ich sie an. ,,Könntest du mir vielleicht die Orthese ausziehen?" ,,Ja klar", antworte ich und ziehe sie ihr aus, doch augenblicklich stutze ich. ,,Fine? Du hast doch Schmerzen oder?" ,,Mmh", murmelt sie und schließt ihre Augen. ,,Die Narbe ist total gerötet", erwidere ich besorgt. ,,Lass mich mal schauen", sagt Trixie und kniet sich neben meine Freundin. ,,Lass das Bein mal frei und wenn es nicht besser wird, fährst du morgen bitte zum Arzt", rät sie ihr und der gleichen Meinung bin ich auch.

,,Fine, willst du die Sachen selbst packen oder sollen wir das in Auftrag geben? Die nächsten Wochen bist du ja eh nicht mobil", wirft Daniel in die Runde. ,,Wenn ihr das machen würdet, gerne." ,,Okay, willst du an Möbel auch etwas hier haben?" ,,Eigentlich haben wir hier ja alles", sagt sie und schaut mich an. ,,Wenn du von deinen etwas hier haben willst, finden wir schon ein Plätzchen", lächle ich. ,,Dann auf jeden Fall mein Bücherregal, die Kommode im Wohnzimmer von Mama und meine Schreibtisch", zählt sie auf und Daniel macht sich gleich Notizen. ,,Sollen wir eigentlich mal was zu Essen bestellen?", frage ich und schalte mein iPad ein. Relativ schnell haben wir uns für etwas entschieden und bestellen es. Während wir auf das Essen warten, planen wir ein bisschen die nächste Tage. Ich möchte Fines Familie ein bisschen die Gegend zeigen und auch Fine hat noch nicht alles gesehen. Gegen 23:00 Uhr verabschieden wir uns alle ins Bett. Als ich aus dem Badezimmer komme, lächelt mich Fine aus dem Bett an. ,,Alles gut?", lächle ich und kuschle mich neben sie. ,,Ja, mehr als perfekt. Ich freu mich so sehr", flüstert sie und kuschelt sich auf meine Brust. ,,Ich mich auch, ich kann es noch gar nicht glauben", lächle ich und lege die Decke über uns. ,,Bin ich müde", seufzt sie und schließt die Augen. ,,Dann schlaf. Ich liebe dich", flüstere ich und hauche ihr einen Kuss auf die Stirn. ,,Schlaf gut, liebe dich auch." Da ich von der Fahrt total erledigt bin, brauche ich nicht lange, bis ich ebenfalls eingeschlafen bin.

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