Kapitel 47

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Wincent

Ich versuche zu atmen, aber meine Lunge lässt es einfach nicht zu. Zu tief ist der Schmerz und zu groß ist die Angst wieder alleine zu sein. Und augenblicklich ist da auch wieder die Angst, die ich vor Monaten dank Fine überwunden habe. Diese Leere in mir und diese Angst alles zu verlieren. Irgendwann schaffe ich es aufs Sofa, aber auch da wird es nicht besser. Stundenlang liege ich da und weine leise oder auch mal laut vor mich her. Aber ich muss irgendwann eingeschlafen sein, denn ich werde durch das Klingeln an der Haustür wach. Irgendjemand scheint ungeduldig zu sein, denn es wechselt zu einem Sturmklingeln. ,,Ich komm ja schon", murmle ich und schlürfe zur Haustür. Als ich diese öffne sehe ich Mum und Shay davor stehen. ,,Was macht ihr denn hier?" ,,Wince, was ist passiert?", fragt Mama besorgt und zieht mich augenblicklich in ihre Arme. Und ab da, brechen bei mir alle Dämme. Wie ein weinendes Kleinkind liege ich in ihren Armen und schluchze wie ein kleines Baby. ,,Shh, alles ist gut", flüstert Mama und streichelt durch mein Haar. ,,Nichts ist gut", wimmere ich und klammere mich noch mehr an sie. ,,Komm, wir gehen erstmal rein", sagt sie leise und löst sich leicht von mir. Ich lasse mich von ihr und meiner Schwester ins Haus ziehen und sofort verkrümle ich mich aufs Sofa. ,,Und jetzt erzählst du mal in aller Ruhe was passiert ist?", spricht sie einfühlsam und greift nach meiner Hand. ,,Sie ist weg", schluchze ich und reibe mir die Tränen von der Wange. ,,Fine?" ,,Ja, s..sie ist e..einfach gegangen", wimmere ich und schaue die beiden aus einem Tränenschleier an. ,,Aber warum? Sie liebt dich doch?", erwidert Shay sanft und streichelt über meinen Rücken. ,,Auf dem Tisch", hauche ich und schließe meine Augen. Ich spüre wie meine kleine Schwester aufsteht und zum Tisch läuft. Stumm liest sie den Brief und reicht ihn dann an Mama weiter. ,,Sie haben es wieder kaputt gemacht. Ich kann das alles nicht mehr Mama. I..ich würde am liebsten alles hinschmeißen."

,,Schatz, du liebst deinen Job", antwortet sie und schaut mich besorgt an. ,,Ja, aber deswegen wird meine Freundin psychisch kaputt gemacht. Sie wird bedroht, beleidigt und aufgefordert sich am besten umzubringen! Das ist doch nicht mehr normal", sage ich aufgebracht, springe auf und fuchtle mit meinem Armen herum. ,,Ist es so schlimm?", fragt sie fassungslos und schüttelt den Kopf. Kommentator gehe ich zu meinem Handy, worauf ich alle Kommentare, Nachrichten oder auch Beiträge gegenüber Fine gespeichert habe. Ich reiche ihr mein Handy und beobachte sie ganz genau, wie sie alles liest. ,,Da gibt es 2/3 Seiten, die sich speziell gegen sie gestellt haben. Von ihnen kommen auch die schlimmsten Nachrichten. Das sind richtige Habenseiten", murmle ich und setze mich wieder zu ihnen. ,,Wince, damit müsst ihr zur Polizei. Das geht doch nicht", spricht Mum und gibt mein Handy an Shay weiter. Ich zucke mit den Schultern und wickle mich in der Decke ein. ,,Irgendwie passt das alles nicht zu Fine", murmelt Shay leise und sperrt mein Handy. ,,Was meinst du?", fragt sie Mum. ,,Das sie einfach so abhaut. Das würde sie doch nie machen. Irgendwie passt das nicht zu ihr. Ja, vielleicht kennen wir sie nicht gut genug, aber wir haben uns doch noch nie so in ihr getäuscht." ,,Was genau willst du jetzt damit sagen?", frage ich und setze mich leicht auf. ,,Da muss doch noch was spezifisches passiert sein", spricht Shay weiter. ,,Hast du mal versucht ihre Großeltern zu erreichen? Vielleicht ist sie zu ihnen", wirft Mum ein und legt eine Hand auf meinen Unterarm. ,,Nein", seufze ich leise und nehme mein Handy in die Hand.

Nach mehrmaligen Tuten geht Trixie endlich ans Telefon. ,,Servus Wincent, na wie gehts euch?", fragt sie, worauf ich meine Mum verwirrt anschaut. ,,Hallo Trixie. Ich rufe wegen Fine an." ,,Ist etwas passiert?" ,,Ja, ich dachte, sie wäre bei euch", murmle ich leise. ,,Wie meinst du das? Warum sollte sie hier sein?", fragt sie verwirrt. ,,Hat sie von den Nachrichten erzählt?" ,,Ja, das hat sie. Ist es schlimmer geworden?" ,,Ja und gestern Nacht bin ich nach Hause gekommen und sie war weg, einfach weg. Sie hat mir nur einen Brief hinterlassen, dass sie das alles nicht mehr kann und sich trennt", hauche ich und meine Stimme wird immer brüchiger. Kurz antwortet sie nichts, bis sie wieder ihre Stimme findet. ,,Wincent, pass auf. Ich trommle mal alle zusammen und frag sie ob sich Fine bei ihnen gemeldet hat. Das kann ja nicht sein. Wo soll sie denn bitte sein?" ,,Danke, meldest du dich bitte?" ,,Natürlich und bleib bitte ruhig okay? Wir und vor allem ihr, schafft das. Ihr braucht euch doch." ,,Ja", flüstere ich und verabschiede mich. ,,Also so langsam mache ich mir ernsthafte Sorgen", erwidert Mum und schaut besorgt aus dem Fenster. ,,Was machen wir jetzt", wimmere ich und schaue hilflos zu ihr. ,,Ich habe keine Ahnung", erwidert sie ehrlich und das macht mir angst. Mamas haben doch immer eine Lösung....

Spät am Abend liege ich im Bett und starre die Wand vor mir an. Den ganzen Tag über haben wir versucht Fine zu erreichen, aber es nicht geschafft. Mein Herz tut unfassbar weh und ich habe das Gefühl zu ertrinken. Meine größte Angst, mich zu verlieben und sie zu verlieren ist wieder eingetreten. Auch wenn jeder sagt, wir finden wieder zueinander, glaube ich das gerade eher nicht. Und ich weiß nicht wieso. Trixie hat vor einer halben Stunde auch nochmal angerufen, aber bei ihnen hat sie sich auch nicht gemeldet. Sie muss ja nicht mehr zu mir zurückkommen, aber sie könnte sich doch wenigstens melden, sodass wir uns nicht solche Sorgen machen müssen. Was ist, wenn ihr etwas passiert ist?! Nein, diesen Gedanken darf ich einfach nicht haben. Schluchzend drehe ich mich auf die andere Bettseite und atme automatisch ihn Duft ein. Aber das sorgt dafür, dass sich mein Herz immer mehr verkrampft. Ich drohe wieder in diese beängstigte Dunkelheit zu fallen, aber vorher höre ich stumpf meinen Namen. ,,Wincent, beruhig dich", höre ich jemand immer und immer wieder sagen. Irgendwann dringt es durch mich hindurch und ich erkenne Mum, die an der Bettkante sitzt. ,,Es tut so weh", hauche ich und kralle mich in das Kissen. ,,Ich weiß", murmelt sie und streichelt über meine Schulter. ,,Weißt du, vor ein paar Wochen waren wir noch so glücklich. Fine hat sich so unfassbar auf den Job gefreut und wir waren so glücklich", hauche ich. Mama will gerade etwas erwidern, als wir unten die Haustür hektisch aufgehen hören. Langsam setze ich mich auf und schaue zur Schlafzimmertür.

,,Mama, Wincent, wo seid ihr?", höre ich Shay rufen. ,,Schlafzimmer", antwortet Mum und kurz darauf steht meine kleine Schwester schweratmend bei uns im Zimmer. ,,F..fine", haucht sie und bei mir läuten sofort alle Alarmglocken. ,,Was weißt du?" ,,Ich war eben bei Seppl. Dort habe ich mich kurz mit Herrn Simon unterhalten. Sie wäre gestern Abend noch bei ihm gewesen. Er hätte sie kurz bei seinem letzten Rundgang gesehen, als sie bei ihm an der Box gestanden hätte. Sie hätte sich auch kurz mit Linda unterhalten. Ihr gehört das Pferd neben Seppl. Ich habe sie heute gesucht, also Linda, aber sie war nicht bei ihrem Pferd", rattert sie runter und ich muss erstmal alles verdauen. ,,Also ist sie noch hier im Norden", schlussfolgere ich. ,,Ja." ,,Und es scheint ihr gut zu gehen", murmle ich. Während Mum uns etwas zu Essen macht, setzt sich Shay zu mir. ,,Ich bin mir sicher, sie kommt wieder zurück", sagt sie leise und streichelt mir über den Rücken. ,,Ich glaube nicht", brumme ich und schaue zu ihr. ,,Ach Wince", seufzt sie und zieht mich in ihre Arme. Eigentlich müsste ich doch derjenige sein, der für sie da ist. Ich bin doch der große Bruder? Warum muss sie für mich da sein? Für sie wollte ich doch immer der Starke sein und nicht so zerbrechlich wie gerade...

Da ich keinen Appetit habe, stochere ich einfach nur im Essen herum. ,,Schmeckt es dir nicht?", fragt Mama und schaut von ihrem Teller auf. ,,Doch, hab nur keinen Hunger", murmle ich und lehne mich auf dem Stuhl zurück. ,,Ach Schatz", seufzt sie und legt eine Hand auf meine Schulter. Relief früh verabschiede ich mich an diesem Abend ins Bett, da ich einfach nur kaputt bin. ,,Wince, bist du noch wach?", fragt Shay irgendwann und steckt ihren Kopf zur Tür rein. ,,Ja." ,,Darf ich zu dir kommen?", fragt sie und ihre Stimme klingt leicht gebrochen. ,,Ja klar, ist alles okay?" ,,Ich mach mir so Sorgen um Fine. Warum meldet sie sich nicht bei uns. Ich dachte, wir haben sie so gut aufgenommen", murmelt sie und kuschelt sich zu mir ins Bett. ,,Das habt ihr auch. Und zu deiner Frage, das weiß ich selbst nicht", flüstere ich und ziehe meine kleine Schwester in meine Arme. Wir lassen uns noch ein bisschen von einer Serie berieseln, bis wir es irgendwann schaffen einzuschlafen. Jedenfalls bis ich durch ein Gespräch wach werde. Verschlafen öffne ich meine Augen und sehe Shay telefonierend auf dem Bett sitzen. Ich schaue verwirrt aufs Handy und stutze. Wer ruft sie bitte mitten in der Nacht an? Doch bei dem Satz: ,,Okay, ich werde meinen Bruder wecken und dann kommen wir", schrecke ich sofort auf...

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