3.

182 5 21
                                    

„Und die Nacht trug hasserfülltes Verhängnis und schwarzes Schicksal
Und den Tod und den Schlaf und die Brut der Träume".

Ich konnte mich noch gut an diese Zeilen erinnern. Diese Zeilen schrieb einst ein griechischer Dichter genannt Hesiod. Meine Mutter hatte mir seine Gedichte damals oft vorgelesen und das Gedicht über die Abstammung von Thanatos brannte sich besonders in mein Gedächtnis. Es ist fast schon absurd, dass ich ausgerechnet jetzt darüber nachdachte.

Thanatos war der griechische Gott des Todes und wurde aus der Vereinigung von Nacht und Dunkelheit geboren. Er wurde oft als schöner Gott beschrieben und wurde mit Eros dem Gott der Liebe verglichen, aber der Tod war in der griechischen Mythologie kein beliebtes Thema und so glaubten die meisten das Thanatos für einen grauenvollen und schmerzhaften Tod stand, doch der Dichter Hesiod beschrieb es ganz anders. Er erzählte das Thanatos' Schwester Keres diejenige wäre, die für einen blutrünstigen Tod stünde und er hingegen einen friedlichen Tod verkörperte.

Es hatte keinen bestimmten Grund, weshalb ich ausgerechnet an dieses Gedicht denken musste. Ich schätze, weil mir vermutlich selbst noch nicht klar war, ob ich in den Nächsten Stunden leben oder sterben würde.

Seitdem Harry und die anderen wieder gegangen waren saß ich hier alleine fest. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Ich wusste nicht wie lange ich ohnmächtig war und ob bereits ein neuer Tag angebrochen war oder nicht. Meine Handgelenke brannten wie Feuer und auch wenn ich sie nicht sehen konnte, wusste ich das ich sie mir wund gerieben hatte. Die Glühbirne, die von der Decke baumelte, flackerte leicht gefolgt von einem leisen knistern.

Ob Maya sich bereits wunderte, wo ich war?

Niemand wusste, wo ich bin und durch was für eine Hölle ich gerade ging. In einem Moment wie diesem war es ziemlich unvorteilhaft so gut wie keine Freunde zu haben, denn da gab es niemanden der sich fragt, aus welchem Grund ich nicht erreichbar bin.

Vorausgesetzt es hat überhaupt jemand versucht mich zu erreichen.

Maya war es schon von mir gewohnt das ich ihr nie von alleine schrieb, da sie wusste, dass ich eine Person bin, die es genoss alleine zu sein und seitdem ich vor zwei Jahren von zu Hause ausgezogen bin habe ich auch zu meiner Mutter nur einmal die Woche Kontakt und da ich erst vor zwei Tagen mit ihr telefoniert habe, könnte das noch eine Weile dauern, bis ihr auffallen sollte das etwas nicht stimmt.

Nur weiß ich nicht, ob es bis dahin schon zu spät ist

Meine jüngere Schwester studiert irgendwo in einer Stadt die über zwei Stunden von hier entfernt ist und da ihre Nase ständig nur hinter einem Buch steckt, habe ich auch mit ihr kaum Kontakt. Sie ist so mit lernen beschäftigt ihr würde nicht einmal auffallen, wenn ihr Telefon fehlen würde.

Würde mich jemand vermissen, wenn ich tot wäre?

Eine weitere Frage, die sich in meinen Kopf schlich und jedes Mal, wenn ich dabei war, eine Antwort zu finden tauchte auch schon die nächste frage auf die mir Kopfschmerzen bereitete.

Ob ich meinen Opa wiedersehen würde, wenn ich sterbe?

Ein Schmunzeln schlich sich auf meine Lippen. Er starb vor vielen Jahren da war ich ungefähr neun Jahre alt. Ich würde mich wirklich freuen ihn endlich wiederzusehen. Es würde mich ein bisschen beruhigen, wenn ich die Gewissheit hätte das er bereits mit offenen Armen auf mich wartet und ich endlich meinen Frieden finden könnte an dem Ort an dem er gerade war, wo auch immer das ist. Ich bin kein religiöser Mensch das war ich noch nie, aber wenn ich an Gott glauben würde wäre jetzt der Moment gekommen, an dem ich an meinem Glauben zweifeln würde.

Captivated by shadows [h.s.]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt