Hüte dich vor den Menschen,
die ihre eigenen Lügen für die absolute Wahrheit halten.
Überführst du sie der Lüge,
drehen sie dir das Wort noch im Mund um.
Sprichwort der Ajin
Adara konnte diese Frau nicht ausstehen. Sie mochte weder Lügner noch eingebildete Personen. Diese Dorothea war beides davon. Wenn sie nur in ihr von der Sonne gebräuntes Gesicht blickte und ihre selbstverliebten Augen sah, würde Adara sie am liebsten aus Avalion vertreiben, genauso, wie es mit den Räubern getan hatte. Solche Menschen widerten sie einfach an. Und dann war auch noch dieser unerträgliche Geruch von Parfüm, von dem ihr fast schlecht wurde.
„Was glaubst du, woher wusste sie, dass wir kommen?", fragte Juna.
Sie saß am Boden, vor Dorotheas buntem Haus und streichelte die kleine Ziege. Das Tier schmiegte sich an Junas Hände. Sein weißes Fell, wirkte so flauschig wie die Wolken. Juna kicherte.
Adara wandte den Blick ab. Wie gern würde sie von hier verschwinden, doch solange diese Wahrsagerin ihr nicht verriet, wie sie sie gefunden hatte, konnte sie schlecht einfach abhauen. Es beunruhigte sie, dass diese Frau von ihrer Flucht und ihrem Vorhaben wusste. Niemand hatte Juna und sie verschwinden sehen. Nicht einmal die Ajin. Sie waren sofort nach dem Feuer abgehauen. Und Adara glaubte nicht an Wahrsager oder an die Raelyn.
„Keine Ahnung", antwortete Adara, „Aber ich denke sie wusste es gar nicht. Sie hat sich das Ganze nur ausgedacht. Jedes Wort, das sie von sich gibt, ist eine Lüge. Das sehe ich in ihren Augen."
Adara straffte die Schultern. Sie kannte die Geschichten nur zu gut, die die Menschen in Avalion über die Ajin erzählten. Es waren nichts als Unwahrheiten. Esst ihr wirklich Augen?, hatte sie mal jemand gefragt, als sie in einem Dorf ihr Wasser nachgefüllt hatte. Haben sie deshalb so eine komische Farbe? Könnt ihr damit Gedanken lesen? Adara hatte nicht geantwortet. Augenfresserin! Augenfresserin!, hatte dann jemand anders gerufen. Schaut sie nicht an! Ihre Augen werden uns alle verfluchen!
Juna stand auf und kam auf Adara zu. Die kleine Ziege folgte ihr. Unter ihrem Mantel trug sie immer noch das silberne Schwert von Thanatos. Die Erinnerungen kamen auf. Das Feuer, die Morganen, ihr Großvater... Adara verdrängte den Gedanken.
„Ich verstehe das nicht", sagte Juna, „Erst findet sie uns, obwohl niemand außer uns zwei weiß, dass wir hier sind. Dann trinkt sie mit uns Tee, als wäre sie nie gemein zu dir gewesen. Am Ende sagt sie uns nicht einmal, was sie von uns will."
„Sie ist eben eine Verrückte, die die gleiche Idee hatte wie wir und die wir nur zufällig getroffen haben."
„Das glaubst du doch nicht wirklich, oder?"
„Es wäre die einfachste Erklärung."
„Was ist Raelyn?"
„Die Raelyn?", manchmal vergaß Adara, dass Juna nicht aus dieser Welt kam, „Das sind nur so alte Geschichten. Nichts wichtiges."
„Erzähl es mir, bitte."
Adara seufzte. Die kleine Ziege schnupperte an ihren Füßen. Sie verpasste ihr einen sanften Stoß. Als Tier würde Adara auch nicht gern an ihren Füßen riechen.
„Die Raelyn sind in den Legenden Menschen, die mit ihren Fähigkeiten deinen Verstand manipulieren und Dinge kontrollieren können. Sie werden auch Hexen genannt. Wahrscheinlich ist Raelyn die Bezeichnung aus der Sprache der alten Zeit dafür. Es heißt, dass sie sehr gefürchtet wurden und sich verstecken mussten, damit anderen Menschen sie nicht aus Angst umbringen."
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Das Schwert des Thanatos
FantasyWird überarbeitet Juna Montera, ein Mädchen, das nichts kennt außer dem Alleinsein und der ewigen Einsamkeit. Nichts außer unerfüllter Hoffnungen und verlorengegangener Träume. Ihr strenger Onkel verbietet ihr nämlich unter jeglichen Umständen das...