Hohe Wellen auf dunkler See,
der Wind, der die Gischt verweht,
Schiffe an rauen Felsen zerschellen,
bis Blitze die Dunkelheit erhellen.
Piratenlied
Je weiter sie kamen, desto kälter wurde es. Man spürte den Herbst deutlich. Vor ein paar Tagen waren sie in die breite Mündung der Ondra gefahren. Ein großer Fluss in Asurien, er würde sie direkt nach Samoria bringen. Um sie herum erhoben sich jetzt große Ahornbäume mit roten, gelben und orangen Blättern. Sie wirkten wie gigantische Fackeln aus Feuer. Auf dem anderen Flussufer jedoch stand die Mauer des Ostens. Auf Harmadans Rat fuhren sie deshalb dicht an den Bäumen vorbei, um nicht von den Wächtern erspäht zu werden. Einige Blätter schwammen im Wasser und auch die tiefhängenden Zweige boten eine gute Tarnung. Trotzdem sah man gelegentlich ein schwaches Aufblitzen der Rüstungen.Seit Beginn der Fahrt war das Wasser trüber geworden, stellte Juna fest. Nebelschwaden zogen umher. Ab und zu bemerkte sie klobige graue Fische mit weißen Augen unter der Oberfläche, sonst nichts. Als gebe es sonst nichts im weiten Flussbett.
Letzte Nacht hatte sie erneut schlecht geschlafen, nachdem sie stundenlang über das Schwert und die Wahrheit nachgedacht hatte. Sie hatte von der Felsenkathedrale geträumt. Von den dunklen Säulen und den Gemälden der Morganen. Juna war durch die finsteren Hallen gewandert, bis sie sich verirrt hatte. Sie hatte einen Ausweg gesucht, ihn aber nicht gefunden. Es war wie ein Labyrinth aus Finsternis und Pfeilern gewesen.
Ein einzelner Fisch schwamm unterm Schiff hinweg. Genauso wie er fühlte sich Juna im Moment. Einsam, in einer trüben hoffnungslosen Welt.
Mit einem Mal, bemerkte Juna jemanden hinter sich. Es war der Fremde. Wie lange er schon dastand, wusste sie nicht. Sie war ihm während der Fahrt so gut wie nie über den Weg gelaufen.
„Schleichst du mit Absicht immer so rum?“, fragte sie, „Du könntest jemand ernsthaft erschrecken.“
Der Fremde neigte seinen Kopf schief. Er war barfuß, das fiel Juna erst jetzt auf.
„Dieses Schwert“, begann er, „Woher hast du es?“
„Du weißt, was es wirklich ist?“, Juna schluckte.
Über dieses Schwert zu sprechen war ihr stets unangenehm. Sie fühlte sich für etwas schuldig, das sie überhaupt nicht getan hatte. Trotzdem waren das Schwert und der Schlüssel das Einzige, was sie noch aus dem alten kalten Haus verband. Das Einzige, was sie von ihrem zuhause, von Onkel Phil hatte.
„Ja“, das war alles, was der Fremde sagte.
Juna beugte sich unauffällig ein wenig vor, um einen besseren Blick auf sein Gesicht zu erhaschen. Sie erkannte nur die Umrisse von zwei dunklen Augen.
„Ich habe es gefunden.“
„Im Osten?“
„Nein… ähm irgendwo anders.“
„Wo?“
Juna waren diese Fragen nicht behaglich. Was wollte er? Sie sah sich hilfesuchend nach Adara um. Sie stand neben dem Piraten Harmadan am Steuer und unterhielt sich mit ihm. Sie verstanden sich überraschenderweise sehr gut, nachdem was in Avalion geschehen war.
„Dieser Ort ist sehr weit weg. Du kennst ihn nicht.“
Der Fremde schwieg wieder. Er war echt seltsam. Hatte er in dieser zerrissenen braunen Kleidung nicht zu kalt?
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Das Schwert des Thanatos
FantasyWird überarbeitet Juna Montera, ein Mädchen, das nichts kennt außer dem Alleinsein und der ewigen Einsamkeit. Nichts außer unerfüllter Hoffnungen und verlorengegangener Träume. Ihr strenger Onkel verbietet ihr nämlich unter jeglichen Umständen das...