Das Volk der Formoris

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Ihre Lieder und Stimmen verzauberten mich,

es kam mir vor wie in einem Traum.

Ich wanderte mit Ehrfurcht durch ihre Städte,

erklomm tausende von Stufen und bestaunte die Säulen und Statuen.

Doch so schön es hier auch war, dieses geheimnisvolle Volk und diese unheilvollen Klänge,

sind mir nach wie vor ein Rätsel.

Die Entdeckungsreisen des großen Mandulin

Aus der kaiserlichen Bibliothek des Östlichen Reiches

Juna lag in eine Decke gewickelt auf dem weichen Moosboden, während die Angst und die Verzweiflung sie nicht einschlafen ließen. All das war zu viel für sie. 
Warum habe ich nur dieses Schwert mitgenommen?, fragte sie sich verzweifelt und zog die Decke enger um sich.

Hätte sie es doch nur liegen lassen, wäre sie nur nicht durch diese Tür gegangen, dann, dann wäre sie noch beim ihm...

Sie drehte sich auf die andere Seite und dachte an Onkel Phil, auch wenn er nie Zeit für sie hatte, vermisste Juna ihn jetzt. Sie versuchte sich sein Gesicht vorzustellen, wenn er erfuhr, dass sie verschwunden war. Versuchte in die strengen eisblauen Augen vor sich zu sehen, würde sie Freude oder Enttäuschung in ihnen erblicken?

Juna setzte sich auf. Ob sie versuchen sollte davonschleichen?
Geflüster aus einer Sprache, die sie nicht verstand, tönte leise zu ihr herüber. Vorsichtig sah Juna sich um.
Sie saß vor einer abbröckelnden Ruine auf dem weichen Moosboden. Dahinter erhoben sich schon die großen Nadelbäume. Als Juna zwischen ihren Stämmen hindurchspähte, erklang wieder die unheilvolle Melodie und ihre dunklen Klänge lockten sie fort. In die Dunkelheit, endlos tief in den Wald hinein. Dorthin, wo die Bäume so dicht waren, dass kein Licht jemals hell genug wäre, um alles zu erleuchten. Dorthin, wo ihre Äste so verzweigt wie ein Netz waren, das alles fing, aber niemals wieder losließ.
Als Juna erschauderte, verstummten die Klänge.

Es war kühl, doch nicht kalt und ein frischer Geruch lag in der Luft. Neben ihr stand eine orange Laterne, die schwach leuchtete. Juna nahm sie in die Hand und stand leise auf.

Davonschleichen... sie wusste nicht, ob sie es wagen sollte.

Aber wenn diese Leute jemanden kannten, der Juna helfen konnte...
Wenn sie wirklich jemanden kannten, der sie zurück nachhause bringen konnte... war es besser hier zu bleiben.
Juna zögerte, dann setzte sie sich entmutigt wieder hin.

Ich hätte mich ohnehin im Wald verlaufen, dachte sie und stellte die Laterne neben dem Schwert wieder auf den Boden. Dann wickelte sie erneut die Decke um sich und lauschte auf die unheilvollen Klänge, die aus den Tiefen der Wälder kamen.

 

Juna schreckte auf und stellte erschrocken fest, dass sie tatsächlich eingeschlafen war. Dabei war sie sich sicher gewesen, dass sie kein Auge zutun würde.
Ein grau grünes Licht lag über dem Wald und es war immer noch nebelig. Juna hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie konnte nicht sagen wie viele Stunden oder sogar Tage schon vergangen waren. Die Zeit schien in diesen Wäldern gänzlich anders zu verlaufen, wenn diese hier überhaupt existierte, wenn man das Land um sie herum betrachtete.

Es kam Juna alles so unwirklich vor, als sie später erneut am dunklen See, unter der Trauerweide stand.
„Einer von uns wird dich bis zum Rande unserer Wälder begleiten", erklärte die Herrin der Formoris, „Weiter nicht, denn uns ist es verboten die Grenze unseres Landes zu überschreiten. Dann musst du allein zurechtkommen."
Juna nickte unsicher. Avalion, Ajin, Formoris, sie hatte Mühe sich diese ganzen Namen zu merken.
„Folge dem Weg, der weiter nach Avalion führt. Vertraue niemanden und pass auf die Menschen des Südens auf. Es wimmelt dort nur von Räubern und Piraten. Und das Wichtigste, du darfst nie jemanden das Schwert zeigen. Außer den Ajin, hast du mich verstanden?"
Abermals nickte Juna, während die Angst größer wurde. Dieses Volk verlangte etwas Unmögliches von ihr. Nicht nur, dass sie in einer fremden Welt zurechtfinden musste und dieses Schwert zerstören sollte. Nein, das war nicht das Schlimmste.

Das Schwert des ThanatosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt