Ein Dämon der Nacht

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Wenn der Tag zur Ruhe geht,

erwacht die Nacht in stiller Pracht.

Im Schatten des Mondes, sanft und leise,

entfaltet sie ihre geheimnisvolle Weise.

 

Ein Gutenachtlied aus dem Osten

Durch den Vollmond glänzte das Gold der Dächer wie flüssiges Metall. Finnian spiegelte sich mit seiner zerrissenen Kleidung darin. Obwohl es Nacht war, war es noch angenehm warm.

Er saß im Schutz eines Vorsprungs und sah in den Himmel hinauf. Der Mond hing dort, wie eine dicke schwere Kugel. Ganz anders als sein Bruder, der Sichelmond. Einige Luftschiffe und Heißluftballone zogen ihre letzten Runden.

Von der Straße hörte man das Klappern der Rüstungen. Soldaten mit weiß, goldenen Uniformen patrouillierten umher. Das taten sie Nacht und Tag. Keiner konnte nach MiKen kommen oder die Stadt verlassen, ohne, dass sie es merken.

Finnian hielt seinen Beutel fest umklammert und dachte an Yelren. Ob sein Bruder ihn schon gefunden hatte? Oder saß er immer noch da unten, eingesperrt im dunklen Raum? Rufend und schreiend? Mit einer blutenden Wunde am Kopf?

Langsam knüpfte Finnian den Beutel auf uns blickte hinein.

Warten, hatte man ihm gesagt, du musst nur warten.

Und dies tat Finnian auch, doch nichts änderte sich. Alles wurde nur noch schlimmer. Vorsichtig zog er den Gegenstand heraus, den Yelren gesehen hatte. Es war so knapp gewesen. Wäre Finnian nur wenige Minuten später gekommen, hätte der Mann womöglich alles gesehen. Das war das Schlimmste, was passieren konnte. Schlimmer als in der Kanalisation zu leben und schlimmer als durch endlose schwarze Schächte zu klettern.

Er ließ den merkwürdigen Gegenstand zurück in den Beutel fallen.

Ich muss warten, dachte er, aber wie lange noch? Die Frau hätte schon seit Tagen hier sein sollen.

Er spürte Verzweiflung in sich aufkeimen. Mit einem Ruck stand Finnian auf und sprang das Dach hinab. Fast wäre ihm die Kapuze vom Kopf gerutscht. Lautlos landete er auf dem Boden. Zurück zu Yelren und Kazem konnte er nicht. Er musste irgendwo anders unterkommen. Auf keinen Fall wollte er zurück in die Kanalisation, doch etwas anderes zu finden, war schwierig.

Finnian kam an einer Gruppe von Soldaten vorbei. Sie schenkten ihm keine Beachtung. Er war ja auch ein Bettler. Ein Niemand. Er lief weiter. An vielen alten Linden und Brunnen vorbei. Außer den Wachen, war so spät keiner mehr unterwegs. Die Straßen waren menschenleer.

Bis auf drei Gestalten, die sich gegen Hausmauern lehnten und miteinander sprachen. Drei Freunde, reich und wohlhabend, allesamt mit langen weißen Gewändern. Sie waren noch jung und schienen viel Spaß miteinander zu haben. Finnian blieb stehen und betrachtete sie eine Weile. Was für ein unbekümmertes Leben sie doch führten. Nie mussten sie sich um Essen sorgen, nie um einen sicheren Schlafplatz. Sie hatten ein wunderbares Haus, in dem sie alles hatten, was sie brauchten. Ein sorgloses Leben.

Er trat näher, um zu hören, was sie sagten. Er wollte verstehen, was solche Leute miteinander zu besprechen hatten.

„Ich bin dafür, dass es einer der Wachen war. Oder einer der Diener. Sie haben stets Zugang zum Palast. Für sie wäre es leicht sich im Zimmer des Kaisers zu verstecken und einfach zu warten, bis er schläft“, sagte einer von ihnen.

„Ach, und wie sollte er unbemerkt wieder herauskommen? Es sind zehn Soldaten vor der Tür gestanden“, meinte ein anderer, „Außerdem, warum sollten die Wachen oder Diener so was tun? Welchen Vorteil würde es ihnen verschaffen, Kirin Karneol umzubringen? Wir alle haben ihn geliebt!“

Das Schwert des ThanatosWo Geschichten leben. Entdecke jetzt