Prolog

130 9 0
                                    

Es waren erst wenige Tage vergangen, seitdem Ron die Gruppe wütend verlassen und Harry und Hermine allein zurück gelassen hatte. Die Stimmung wurde immer gedrückter, bis Harry eines Abends beschloss, die negativen Gefühle zu bekämpfen. Er forderte Hermine zum Tanzen auf und während sie beide wussten, dass die schreckliche Wirklichkeit außerhalb der Zeltwände auf sie lauerte und sie eigentlich wichtigeres zu tun hatten, nahmen sie sich zum ersten Mal seit Wochen Zeit für sich und leckten ihre psychischen Wunden. Es befreite sie, und als sie später bei einem kargen Abendessen zusammen saßen, kramte Hermine ein Buch aus ihrer Tasche, das überraschenderweise keinerlei praktischen Nutzen hatte.


"'Der Hobbit'", las Harry den Einband und sah Hermine verwundert an. "Ist das nicht ein Muggelbuch? Eines der Bücher von Dudley, die in meinem Zimmer geblieben sind, hieß glaube ich so, ich habe es jedoch nie gelesen, weil die Hälfte der Seiten herausgerissen war." Ihnen allen war bekannt, dass Hermine ein Bücherwurm war, aber dennoch hätte er nicht erwartet, dass sie Unterhaltungsliteratur auf die Flucht mitnehmen würde.

"Ich habe es eingesteckt, bevor ich meine Eltern in Sicherheit gebracht habe, und wollte es noch einmal lesen, bevor all das passiert ist. Es ist mir gerade erst wieder eingefallen und ich dachte, vielleicht könnte es uns beiden etwas Mut verleihen. Der Hobbit, um den es geht, gerät nämlich in ein Abenteuer, dass eigentlich viel zu groß für ihn ist - und dennoch gelingt es ihm und seinen Freunden, ihr Ziel zu erreichen." Hermine hielt da Buch an sich gedrückt wie einen kostbaren Schatz - eine glückliche Kindheitserinnerung, die sie tatsächlich stärkte. Natürlich war es nur eine ausgedachte Geschichte, aber war ihre Welt nicht ebenso phantastisch und unglaubwürdig für die Muggel? Da Harry ihr nicht widersprach, sondern sich zurück gelehnt hatte und sie nur still ansah, begann sie, mit ruhiger Stimme vorzulesen. "In einem Loch im Boden, da lebte ein Hobbit..."

Sie hörte erst auf zu lesen, als sie begann, die Essgewohnheiten der Zwerge zu beschreiben und warf Harry einen traurigen Blick zu, den er verständnisvoll erwiderte.
"Die Zwerge scheinen sogar noch schlimmer als Ron zu sein, Bilbo kann einem richtig leid tun", murmelte er, woraufhin Hermine nickt.

"Als ich es zum ersten Mal gelesen habe, hätte ich ihnen gerne eine Standpauke gehalten, dafür, dass sie seine Speisekammer einfach leeren und überhaupt total unhöflich sind. Inzwischen... Ich glaube, wenn ich jetzt in einer Hobbithöhle stünde, würde ich es auch nicht anders machen. Es wird Zeit, dass wir unsere Vorräte aufstocken." Tatsächlich war das Essen immer eintöniger und rationierter geworden, je länger sie durch die Gegend zogen, und sie hatten zu viel Angst davor, von Greifern erwischt zu werden, sollten sie sich in der Zaubererwelt blicken lassen. Das Muggelgeld, das Hermine vorsorglich eingesteckt hatte, ging jedoch langsam zur Neige und es hatte nie einen Grund für sie gegeben, neben ihrem Gringottsverließ auch ein Muggelkonto zu eröffnen. Mundraub klang daher gar nicht mehr so abwegig, wie es normalerweise für zwei junge Menschen, denen es an Geld nicht mangelte, sein sollte.

Sie lasen noch das erste Kapitel zu ende und als Bilbo sich mit dem Zwergenlied im Ohr ins Bett legte, taten sie es ihm gleich, denn inzwischen war es spät geworden und sie beide müde.

Als Hermine von Harry wachgerüttelt wurde, hatte sie nicht das Gefühl, lange geschlafen zu haben und die leuchtenden Zahlen der Uhr, auf deren Nutzen sie bestanden hatte, zeigten ihr, wie Recht sie damit hatte. Es war noch mitten in der Nacht.

"Was ist denn los, Harry?", zischte sie leise, da er bedeutsam einen Finger an seine Lippen hielt. Sie lauschte angespannt, konnte jedoch nichts beunruhigendes hören. Harry hatte derweil ein Stück Pergament heraus gekramt und schrieb hastige Worte.

'Ich weiß nicht, was mich geweckt hat, aber kurz darauf habe ich Flügelschlagen gehört, als ob ein ganzer Scharm Vögel aufgeschreckt worden wäre. Ansonsten war nichts zu hören, kein Raubtier, dass die Schutzzauber ausgelöst hat oder ähnliches.' Obwohl ihr Zelt ein magisches mit größerem und luxuriöserem Innenraum war, so fehlten ihm Fenster, die es ihnen ermöglicht hätten, hinaus zu sehen um festzustellen, was das seltsame Verhalten der Vögel hervorgerufen hatte, und Hermine konnte Harry nur zustimmen, dass es in ihrer Situation besser war, allem seltsamen zu misstrauen. 'Ständige Wachsamkeit' war zwar der Ausspruch des paranoiden Mad-Eye Moody, aber deswegen nicht weniger angebracht.

"Bleib hier", kritzelte sie auf das Pergament und wartete nur, bis Harry widerstrebend, aber zustimmend nickte. Auch wenn es ihm nicht gefiel, dass Hermine sich in Gefahr begeben wollte, um zu prüfen, was draußen vor sich ging, so waren sie sich doch beide bewusst, dass Harry derjenige war, dem auf keinen Fall etwas zustoßen durfte. Und das nur wegen eines Wahnsinnigen und einer schlechten Wahrsagerin. Jedes Mal, wenn sie darüber nachdachte, ärgerte Hermine sich, dass Voldemort aufgrund einer Prophezeiung losgezogen ist und nur deswegen eben jene überhaupt wahr werden konnte. Ein klarer Fall von selbst erfüllenden Prophezeiungen - doch andererseits konnte niemand sagen, ob andernfalls die gute oder die böse Seite gesiegt hätte, wenn Harry nicht gewesen wäre.
Leise öffnete Hermine die Zeltplane, die den Eingang verdeckte und sprach noch ein "Protego", um sich vor möglichen Flüchen zu schützen. Dann trat sie geduckt aus dem Zelt, ihre dunklen Kleider mit der Nacht verschmelzend. Nichts ungewöhnliches war zu sehen, kein Laut zu hören, doch als sie sich einige Meter vom Zelt entfernt hatte, traf sie plötzlich ein Zauber in den Rücken und noch während sie fiel konnte sie die weiße Maske eines Todessers neben dem Zelt stehen sehen. "Verschwinde, Harry!", rief sie, noch während sie schwächer wurde und nur noch mit ansehen konnte, wie der Todesser begann, die auf dem Zelt liegenden Schutzzauber zu entfernen. Das laute "Plop", dass sie vernahm, bevor sie das Bewusstsein verlor, gab ihr jedoch Hoffnung, dass Harry entkommen war, auch wenn ihr eigenes Schicksal sehr wahrscheinlich schrecklich werden würde.

Von dem seltsamen Lichtblitz, der entstand, als sich der Todesser und sein Begleiter darum stritten, ob man sich nicht erst mit ihr vergnügen sollte, bevor man sie an Voldemort auslieferte und zwei verschiedene Zauber aufeinander prallten, bevor sie sie trafen, bekam sie nichts mehr mit. Auch nicht von dem darauf folgenden Entsetzen der Todesser, als diese bemerkten, dass Hermine verschwunden war und sie mit leeren Händen zu ihrem Lord würden zurückkehren müssen.

The Story of a Witch in Middle EarthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt