Kapitel 6

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Thorin war entsetzt, wütend, geradezu rasend als er sah, wie die junge Frau mit den Elben anbandelte und auch schon ihre traditionelle Kleidung trug. Es kostete ihn einiges, nicht auf und über den Tisch zu springen und sie zur Rede zu stellen, aber auch ein aufbrausender, sturer Zwerg verstand es manchmal, den Anschein zu wahren. Was sollte er auch als Grund nennen, würde jemand fragen, warum es ihn erzürnte? Verbrüderung mit dem Feind, obwohl er genau genommen keinen Einfluss darauf hatte, wie ihr weiterer Weg aussehen würde? Sie gehörte nicht zu ihnen, sie war ein Mensch, natürlich war sie begeistert von den Elben. Alle sahen nur das gute in ihnen, aber er, er wusste, dass sie nicht die edelmütigen Wesen waren, für die sie sich ausgaben. Es würde ihn nicht wundern, sollte sie sich plötzlich entschließen, die Gruppe zu verlassen.

Derweil hatte Bilbo sich von der kleinen Gruppe gelöst und einen Stuhl gefunden, der offenbar für ihn vorgesehen war, da er höher war, um es ihm zu ermöglichen, an dem eigentlich zu großen Tisch zu essen und zudem eine Querstange zwischen den Beinen besaß, damit er auf den Stuhl hinauf gelangen konnte. Die Zwillinge hingegen hatten Hermine mit zum Kopfende des Tisches gebracht, an dem natürlich kein anderer als Lord Elrond saß.

"Vater, wir möchten dir Hermine vorstellen. Sie ist mit Gandalf und den Zwergen angereist, stammt jedoch nicht von hier, und ist auf der Suche nach einem Weg nach Hause. Außerdem trägt sie einen Gegenstand mit sich, dessen Geschichte uns daran erinnert hat, was wir über den einen Ring wissen." Bevor Elrond oder einer der Elben, die seinen Worten gelauscht hatten aufspringen konnten, sprach er rasch weiter. "Sie ist auf der Suche nach einem Weg, ihn zu vernichten, um großes Unheil von ihrer Heimat abzuwenden." Die unruhig gewordenen Elben entspannten sich bei dieser Erklärung wieder und Elrond sah Hermine nachdenklich an.

"Willkommen in meinen Heim, Hermine. Falls wir bei eurer Aufgabe oder Heimkehr behilflich sein können, so müsst ihr es nur sagen, und wir werden tun, was in unserer Macht steht. Zuerst einmal jedoch setzt euch und esst. Eurer Reisebegleitung nach zu urteilen waren die Mahlzeiten in letzter Zeit nicht ausreichend." Mit leicht hochgezogener Braue warf er einen Blick auf das Fußende des Tisches, an dem die Zwerge das Essen geradezu in sich hinein schaufelten, obwohl sie über das viele Gemüse murrten. "Da meine Söhne eure Aufgabe an mich herangetragen haben, würde ich ein Treffen am morgigen Tag vorschlagen, im Anschluss an jenes, dass mir mit eurem starrsinnigen Anführer bevorsteht."

Damit war sie entlassen und suchte sich einen freien Platz, den sie neben Bilbo und ihrem Appetit zugunsten auf der elbischen Seite des Tisches fand. Während sie aß, sah Hermine sich um, wobei sie es vermied, in Richtung der Zwerge zu Blicken. Die meisten der Elben hatten dunkle Haare, so wie das Elronds und seiner Söhne, und nur einige wenige waren blond. Sie alle trugen Roben die zwar bunt, nicht jedoch farbenfroh waren, sondern entweder dunkle Herbstfarben umfasste oder Pastelltöne, wobei die Farbwahl in direktem Zusammenhang zu ihrer Haarfarbe zu stehen schien, mit nur sehr wenigen Ausnahmen. Ob die Elben sich dieser Kulturunterschiede der einzelnen Stämme bewusst waren, oder ob es sich für sie um eine simple Frage der Abstimmung von Kleidung zu Äußerem handelte, würde sie vermutlich nie erfahren. Immer wieder begegnete einer der Elben ihrem Blick und jedes mal, wenn es sich um einen der blonden Elben handelte, zuckte sie leicht zusammen. Die Haarfarbe zusammen mit ihrer Länge und eine Aura, die bei weniger freundlichen Personen als Arroganz bezeichnet werden würde, zusammen mit ihrem - und sie würde sich eher die Zunge abbeißen als dies laut zuzugeben - guten Aussehen ließen sie sie unwillkürlich an Malfoy denken. Sie erschauderte bei dem Gedanken, was die Todesser mit ihr angestellt hätten, wäre sie nicht in Mittelerde sondern in ihren Fängen gelandet.

Von den Zwergen abgesehen war das Essen eine sehr ruhige Angelegenheit, es unterhielten sich immer nur Sitznachbarn leise miteinander, niemand rief quer über den Tisch, wie es in der Schule üblich gewesen war - dem einzigen Ort, an dem sie zuvor an einer langen Tafel gegessen hatte. Schließlich war sie jedoch mit ihrer Betrachtung der Elben fertig, die einzelnen Personen genauer in Augenschein zu nehmen wäre ihrer Meinung nach viel zu aufdringlich, sodass sie doch einen Blick zu den Zwergen warf - nach sechs Jahren, in denen sie Rons Tischmanieren ausgesetzt war, war sie schließlich einiges gewohnt. Völlig unvorbereitet aber war sie für den finsteren Blick, den Thorin ihr zuwarf und der keine Sekunde von ihr wich. Sie atmete tief ein und wandte sich vollkommen ihrem Essen zu, nicht gewillt herauszufinden, was dem Zwerg nun wieder nicht an ihr passte.

Thorin unterdessen kochte inzwischen geradezu vor Wut. Nicht nur, dass die Hexe wie eine Elbe gekleidet war und anscheinend die Gesellschaft der beiden identischen Elben genoss, nein, sie hatte ihnen der Unterhaltung mit Elrond nach zu urteilen auch schon alles über sich erzählt. Wie lange hatte es gedauert, bis sie sich ihnen anvertraut hatte? 'Es ist aber auch nicht so, als ob ihr besonders höflich oder gar freundlich ihr gegenüber gewesen wärt. Warum hätte sie euch etwas über sich erzählen sollen?' Die selbe Stimme meldete sich zu Wort, die seine Ablehnung ihrer elbischen Kleidung damit kommentiert hatte, dass sie ihr sehr gut zu Gesicht stand, und die er auch jetzt am liebsten verstummen lassen würde. In Gedanken an diese Stimme musste das Stück Fleisch auf seinem Teller eine unnötig ruppige Behandlung erfahren.

Er kannte diese Stimme nur zu gut, Vernunft und Gewissen, war er doch ein Meister darin, sie zu unterdrücken, wie viele Zwerge es taten. Junge Zwerge oder solche, die mehr Wert auf Familie legten, wie Bombur und Bofur es waren, hörten ihr zu. Krieger und Bergarbeiter hingegen verbannten sie und wurden damit das Aushängeschild für die Sturheit und Gier der Zwerge und als Prinz hatte er früh gelernt, sein Recht einzufordern. Nur das Wohlergehen anderer Zwerge war für ihn von Bedeutung, denn so wie er gelernt hatte, seinen Kopf durchzusetzen, war ihm auch beigebracht worden, seine künftigen Untertanen über alles zu stellen - doch lange vor der Zeit seiner Krönung war ihr Reich vernichtet worden, sodass seine Verbissenheit nun dessen Wiedergewinnung und Wiederaufbau galt. Menschen und Hobbits gleichermaßen hatten seiner Meinung nach nichts in ihrer Gruppe verloren und doch.. Er kam einfach nicht darum herum, den Nutzen der Hexe einzugestehen, und auch nicht, dass sie eine seltsame, unbekannte Seite von ihm zum Vorschein brachte. Er wollte sie beschützen - auch vor Gefahren, so wie er Kili und Fili schützen würde, doch vor allem erinnerte das Gefühl ihn daran, wie er dem Arkenstein gegenüberstand - der wertvollste Schatz, an den kein anderer Hand anlegen dürfte. Dieses unerwünschte Gefühl wiederum verärgerte ihn noch mehr. Sie konnte ihn nicht leiden und er sie ebenso wenig, und genau so sollte es auch bleiben.

Während er so in Gedanken versunken war und versuchte, seine eigenen Gefühle zu begreifen und zu ordnen, war das Abendmahl seinem Ende entgegen gegangen und auch er hatte anscheinend seinen Teller geleert, auch wenn er nicht sagen konnte, was er gegessen hatte.

Da es ohne Essen keinen Grund mehr für die Zwerge gab, die Gegenwart der Elben zu ertragen, zogen sie sich bald darauf zurück und auch Thorin blieb nichts anderes übrig, als finsteren Blickes den großen Saal zu verlassen, während Hermine und der Hobbit sich mit einigen weiteren Elben bekannt machten. Kili bemerkte, welchem Ziel die Wut seines Onkels galt.

"Man sollte meinen sie wüssten, dass Elben auf alle anderen Rassen herabsehen. Stattdessen versuchen sie, ihnen zu gefallen und machen sich zum Gespött. Es würde mich nicht wundern, wenn die Spitzohren nach unserer Abreise über die beiden lachen." Kili schüttelte den Kopf und stapfte grummelnd weiter. Ebenso wie sein Onkel wäre es ihm lieber, Hermine würde mehr Zeit mit ihm verbringen, aber gleichzeitig wusste er auch, dass er sich nicht viel besser verhalten hatte als das, was er den Elben nun vorwarf. Es war aber deutlich einfacher, auf die Elben zu schimpfen, als sich eigene Verfehlungen einzugestehen.

Hermine und Bilbo hingegen blieben mit Elladan und Elrohir bei den Elben und Hermine wurde schlussendlich einem der wenigen Elben mit pechschwarzen Haaren vorgestellt, der ihr anbot ein Buch über die elbische Sprache auszuleihen, da Hermine diese Gelegenheit, etwas neues zu lernen, natürlich nicht auslassen konnte. Und schon jetzt bedauerten die beiden Freunde, dass sie Bruchtal wieder würden verlassen müssen. Beide hatten sich vorgenommen, die Reise bis zum Ende durchzustehen, Bilbo, um den Zwergen zu beweisen, dass Hobbits keine nichtsnutzigen Wesen sind, auf die sich niemand verlassen kann und Hermine, weil sie versuchen wollte, den Lauf der Dinge zu verändern. Dennoch - Bruchtal war schön, die Elben waren unvergleichbar viel freundlicher als die Zwerge - es wäre bestimmt viel angenehmer, einfach zurück zu bleiben ud die Zwerge würden wahrscheinlich nicht einmal versuchen, sie umzustimmen.

Wirklich interessant jedoch würde der nächste Tag werden, an dem sie hoffentlich erfahren würden, wie lange sie in Bruchtal bleiben würden und der Hermine vielleicht bei ihrer Suche nach einem Weg nach Hause behilflich wäre. Da sie nach der langen Reise und der Jagd durch die Wargreiter erschöpft waren, verabschiedeten sie sich auch nach einer Weile von den Elben und gingen zurück zu den Gemächern, die ihnen zur Verfügung gestellt worden waren, wobei Hermine vor hatte, zuerst noch einige Seiten in dem Buch zu lesen, um möglichst weit zu kommen, bevor sie es zurück geben müsste.

Es vergingen jedoch nur einige Minuten, nachdem sie sich auf dem Flur von Bilbo verabschiedet hatte, als es kurz an ihre Tür klopfte, die auch sogleich aufgerissen wurde. Hermine hatte gerade noch Zeit, die Robe wieder überzuziehen, da sie schon dabei war sich für die Nacht umzuziehen und sich auf das schöne Nachthemd freute, dass während ihrer Abwesenheit in ihrem Zimmer deponiert worden war.

Herein kam Thorin, der sich einem finsteren Blick aufgrund seines dreisten Eindringens entgegensah, diesen jedoch überhaupt nicht bemerkte. Auch Zwergenmänner, mögen sie teilweise durch ihre Starrsinnigkeit noch so schwer von Begriff erscheinen, erkennen sofort wenn eine Frau sich in einem nicht mehr ganz angezogenen Zustand befand.

Thorins Kiefer spannten sich an und um zu verheimlichen, dass ausgerechnet eine junge Menschenfrau seinen Gefallen fand, tat er genau das Gegenteil von dem, was er tun wollte. Er verzog das Gesicht zu einem abfälligen Blick, inklusive leicht gerümpfter Nase, ein Gesichtsausdruck, der bei einem Zwerg eher komisch wirkte, würde es Hermine nicht treffen, dass ausgerechnet ein Zwerg fand, über sie urteilen zu dürfen. Sie zog die Robe demonstrativ enger um sich und trat einen Schritt auf ihn zu.

"Erstens besteht der Sinn im Anklopfen darin, darauf zu warten, dass man herein gerufen wird, und zweitens.. Sofern es sich nicht um eine Frage von Leben oder Tod handelt, hast du nichts in meinem Zimmer verloren." Und mit jedem letzten Wort, so wie sie es bei Harry oder Ron getan hätte, stieß sie ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust, während sie in wütend anfunkelte. Sie war in Bruchtal, bei den freundlichen und erstaunlich warmherzigen Elben und sie hatte keine Lust, sich die Zeit von griesgrämigen, überheblichen Zwergen vermiesen zu lassen.

Thorin jedoch hatte andere Pläne. "Halte dich von den Elben fern. Du bist ein Mensch, noch dazu jung, und daher viel zu leicht beeinflussbar. Sie sind nicht die richtige Gesellschaft für dich", knurrte er geradezu und wich nicht zurück bei der merkwürdigen Behandlung, die er durch sie erfuhr, sodass sie nur wenige Zentimeter voneinander entfernt verharrten.

"Ach, und starrsinnige Zwerge, denen es am liebsten wäre ich würde hier bleiben, sind also besser geeigne.." Weiter kam sie nicht, denn eine raue Hand hatte sich auf ihre Wange gelegt und war von dort unerwartet sanft in ihren Nacken geglitten. Bevor Hermine sich aus der Erstarrung lösen konnte, die bei dieser intimen Berührung von ihr Besitz ergriffen hatte, pressten sich Lippen kurz aber bestimmt auf die ihren. Ein Schauer rann ihr über den Rücken, ein seltsames Gefühl zusammen mit der Wut darüber, dass er sie auf solche Art zum Schweigen gebracht hatte, aber sie kam nicht dazu, dieser Empörung Ausdruck zu verleihen.

"Ich will keineswegs, dass du bei diesen Schönlingen zurück bleibst", grummelte Thorin eine Hand breit von ihren Lippen entfernt, ehe er geradezu aus dem Zimmer floh und die Tür hinter sich zuwarf. Er musste nachdenken. Dringend. Was um alles in der Welt hatte ihn geritten, die Hexe zu küssen? Nicht, dass er es bereuen würde, es hatte sich gut angefühlt, endlich wieder die Wärme einer Frau zu spüren, aber es war vermutlich das dümmste, was er seit Jahren getan hatte.

Hermine ging es allerdings nicht viel anders, ihre Pläne, die elbische Sprache zu lernen fürs erste zerschlagen, versuchte ihr Verstand zu begreifen, was und warum gerade geschehen war. 

The Story of a Witch in Middle EarthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt