Kapitel 17

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Um Gandalf nichts zu verraten und möglichst nah an der Geschichte zu bleiben, die sie kannte, erzählte Hermine nichts von Gollum oder dem Ring und da Bilbo den Zwergen lieber nicht erzählen wollte, dass Hermine ihn nicht nur gefunden, sondern auch gerettet hatte, nahm er sich an ihr ein Beispiel. Der einzige, der damit nicht zufrieden war, war Thorin.

"Weshalb bist zurück gekommen? Ich habe gehört, dass du vorhattest, ins Auenland zurückzukehren. Hat Hermine dich überredet?" Die Worte waren nicht nur eine Frage, sondern auch eine Herausforderung.

Bilbo hielt inne und sah von der Bettrolle auf, die er gerade ausbreitete, da es den Anschein hatte, als ob sie den Rest des Tages zur Rast nutzen würden. Eine gute Frage. Nachdem er von den Zwergen getrennt worden war, hatte er überhaupt nicht mehr daran gedacht, den Weg nach Hause zu suchen, sondern wollte nur zur Gemeinschaft zurück finden. Sein Blick wanderte von Thorin zu Bofur. "Es stimmt, ich wollte zurück nach Hause. Ich vermisse Beutelsend und mein gemütliches Leben. Die Wildnis ist kein Ort, an dem ich mich wohlfühlen könnte, aber.." Er dachte an die Unterhaltung mit Bofur zurück, die ihm vorkam, als läge sie schon Tage in der Vergangenheit, obwohl es bloß Stunden gewesen waren. "Aber ihr habt euer Zuhause verloren und deshalb will ich euch helfen, es zurück zu bekommen. Auf welche Art auch immer Gandalf denkt, ich könne nützlich sein."

Bofur grinste Bilbo an und erkannte die Worte als Entschuldigung für das an, was er zuvor zu ihm gesagt hatte. Auch Gandalf war von den Worten angetan, da der Hobbit seine Abenteuerlust aus Kindertagen wiedergefunden zu haben schien. Nur die übrigen Zwerge blieben skeptisch und da sie noch stärker an Bilbos Fähigkeit, ihnen zu helfen, zweifelten, als er es selbst tat, bedeuteten ihnen die Worte nicht viel. Dennoch, es war eine Antwort und so wandten sie sich wieder ihren Gesprächen zu, die durch Bilbos und Hermines Ankunft unterbrochen worden waren.

Unter Gandalfs aufmerksamen Blick ging Hermine langsam zu Thorin, der mit seinen Neffen, Balin, Dwalin und eben jenem Zauberer zusammen saß. Sofort stieß Kili Dwalin an.

"Mach mal ein bisschen Platz", wies er den Krieger an, nach links zu rücken, sodass Kili selbst ebenfalls weiter rücken und dadurch einen Platz zwischen sich und Thorin für Hermine frei machen konnte. Zu Hermines Überraschung folgte Dwalin der Aufforderung ohne zu murren und als sie sich neben Thorin setzte, hatte sie das Gefühl, dass sie in dieser Gruppe willkommen war.

"Danke." Sie lächelte Kili und Dwalin an, was die beiden mit einem Nicken zur Kenntnis nahmen. Von diesen Zwergen schien keiner mehr etwas dagegen zu haben, wenn sie Thorins Nähe suchte, und eigentlich sollte sie sich deswegen entspannen können. Aber unter Gandalfs wachsamen Blick kam sie sich vor wie ein Insekt unter der Lupe. "Habe ich etwas falsch gemacht?", fragte sie schließlich, da der Zauberer noch immer kein Wort gesagt hatte und die Stille in ihrer Runde durch die Gespräche der anderen nur verdeutlicht wurde. Zu ihrer Erleichterung lachten Dwalin, Kili und Fili laut auf, während Balin Gandalf einen Blick zuwarf, der deutlich 'ich habe es dir doch gesagt' vermittelte. Thorin hingegen legte einen Arm um sie und zog sie dichter an sich, was ihr Herz nicht nur aufgrund der Nähe schneller schlagen ließ. Obwohl inzwischen alle Zwerge Bescheid wussten und sie nachts ein Lager teilten, hatte er sie bisher tagsüber und direkt vor den Zwergen nur wie eine gute Bekannte behandelt und jegliche Fähigkeit zu Zärtlichkeiten geleugnet.

Aber nach dem Respekt, den sie heute durch ihre Rettung gewonnen hatte und dem Einverständnis Kilis und Filis, sah er keinen Grund mehr, sie von seiner Seite weichen zu lassen. Und er begann zu hoffen, dass es keinen Weg für sie gab, nach Hause zurück zu kehren, sodass sie gar nicht erst vor eine Entscheidung gestellt würde. "Nein, das hast du nicht. Gandalf hat nur Schwierigkeiten, dich zu verstehen."

"Und ich bin mir nicht sicher, ob es an deinen Fähigkeiten liegt oder daran, dass du die Nähe unseres Königs suchst", fügte Balin hinzu, der sich die neckenden Worte auch nur erlaubte, da Thorin wusste, welche Achtung der alte Zwerg für ihn empfand.

Gandalf unterdessen verschluckte sich bei diesen Worte an seinem Pfeifenrauch und begann zu husten. "Also wirklich", murmelte er, als der Husten abgeklungen war. "Es erscheint mir zu viel Macht in den Händen eines Menschen zu sein, von etwas vergleichbarem habe ich noch nie gehört. Und wenn viele Leute in dieser anderen Welt solche Macht haben.. Gibt es irgendetwas, dass ihr nicht könnt?" Das Leben dieser Zauberer musste unvorstellbar einfach wenn, waren sie überhaupt dazu in der Lage, irgendetwas ohne Magie zu bewerkstelligen? Hermine schien trotz ihrer Kräfte vernünftig zu sein, aber wie konnte eine solche Gesellschaft funktionieren? Er war sich seiner Verantwortung bewusst und legte Wert darauf, nicht jedes Problem auf der Welt mit Magie zu lösen, um die Menschen nicht davon abhängig zu machen, sondern sie zu lehren, selbst Lösungen zu finden. Aber Hermine schien keine Hemmungen zu haben, den Zwergen die Reise so leicht wie möglich zu machen.

Schlagartig wurde Hermine ernst und sie lehnte sich schutzsuchend gegen Thorin, denn Gandalfs Frage nach dem, was sie nicht konnten, traf einen wunden Punkt. "Wir können keine Toten ins Leben zurück holen und für viele Flüche und Gifte ist noch kein Heilmittel gefunden und es ist fraglich, ob es je geschehen wir. Viele Krankheiten können in Minuten durch einen Heilzauber oder -trank geheilt werden und trotzdem sterben viele Zauberer aus anderen Gründen als hohem Alter. Wir haben Tränke, um jemanden zu zwingen, die Wahrheit zu sagen, und Zauber, um die Erinnerung einer anderen Person anzusehen, und trotzdem ist mindestens eine Person unschuldig verurteilt worden, während viele andere, schrecklichen Verbrechens schuldige freigelassen wurden. Jeder Zwölfjährige hat das Wissen und die Fähigkeit, einen anderen ohne große Anstrengung zu töten und es ist nur ihrer Naivität zu verdanken, dass Streitigkeiten zwischen Kindern nicht in Todesfällen enden." Sie schloss die Augen und drückte ihr Gesicht in Thorins Mantel. Für einige lange Minuten blieb es still, in denen Thorin unbewusst begann, ihr über den Rücken zu streichen. Es war Balin, der als erster das Wort ergriff.

"Was meinst du damit, dass es nur ihrer Naivität zu verdanken ist?" Gandalf nickte zustimmend, auch wenn ein Teil seiner Aufmerksamkeit zu den Dingen zurück kehrte, die sie nicht gesagt hatte. Tote erwecken, nein. Aber eine Art von Untersterblichkeit durch Gegenstände wie die Kette, das konnten sie? wieso hatten diese Menschen solche Macht und wussten nicht einmal, woher sie kam? Seine Gedanken wurden unterbrochen, als Hermine begann zu erklären.

"Sie merken es nicht einmal, weder die Schüler noch die Lehrer. Sie denken nur in schwarz und weiß, böse und gut und sind nicht in der Lage, neue oder ungewöhnliche Anwendungsmöglichkeiten für Zauber und Flüche zu sehen, da sie damit aufgewachsen sind oder in der Schule gelernt haben, dass es für jede Situation bestimmte Zauber gibt und jeder Zauber für bestimmte Zwecke entwickelt wurde. Flüche sind böse, Zauber sind gut oder neutral, etwas anderes kommt ihnen gar nicht in den Sinn. Aber der Zauber, den ich in den Bergen benutzt habe", sie zog ihren Zauberstab und richtete ihn auf einen Stein. "Wingardium Leviosa." Der Stein hob vom Boden ab und folgte den Bewegungen ihres Zauberstabs, bis er auf Augenhöhe der Zwerge verharrte. "Es ist einer der ersten Zauber, die wir lernen, der unspezifischste und einfachste Schwebezauber. Ich habe ihn genutzt, um Thorin zu helfen, andere benutzen Schwebezauber, um schwere Dinge zu transportieren, aber keiner denkt daran, dass man ihn dazu nutzen kann, um jemanden zu töten. Ich muss niemanden über die Brüstung eines Turms oder die Kante eines Abgrunds werfen, wenn ich ihn einfach so weit in die Höhe schweben lassen kann, dass er in den Tod stürzt, sobald ich den Zauber beende. Oder ich könnte ohne Anstrengungen jemandem das Genick brechen, indem ich ihn mit großer Wucht gegen die Decke eines Raumes fliegen lasse." Sie sah von einem zum anderen und versuchte einzuschätzen, ob sie verstanden, worauf sie hinaus wollte.
Während die Zwerge ihre Überlegungen guthießen - es war immer gut, sich aller Möglichkeiten bewusst zu sein, die man im Kampf hatte - war Gandalf erschrocken, dass eine junge Frau ohne weiteres über Wege, jemanden umzubringen, spekulieren konnte. Als Hermine das sah, verzog sie die Lippen zu einem schiefen, freudlosen Grinsen. "Es gibt drei Flüche, die als die Unverzeihlichen Flüche bekannt sind und die höchste Strafe nach sich ziehen. Der eine Fluch gibt dem ausführenden Zauberer vollkommene Kontrolle über sein Opfer, sofern dieses nicht die nötige mentale Stärke hat, um den Zauber abzuschütteln. Der zweite Fluch verursacht unbeschreibliche Schmerzen, ohne den Körper dabei zu verletzten. Menschen, die ihm zu lange ausgesetzt waren, sind wahnsinnig geworden und konnten auch nach fast zwei Jahrzehnten nicht geheilt werden. Und der dritte Fluch.. er tötet. Schnell und vermutlich schmerzlos, denn um Schmerz zu empfinden müsste es eine Zeit geben zwischen dem getroffen werden und dem Sterben, aber die gibt es nicht. Man fällt einfach tot um, ohne dass eine Ursache erkennbar ist. Der einzige Mensch, der diesen Fluch überlebt hat, ist mein bester Freund. Aber warum ist der Todesfluch unverzeihlich, wenn ich auch einen Schneidezauber nutzen kann, um jemanden zu köpfen, oder den Schwebezauber, um jemandem das Genick zu brechen? Die Antwort darauf lautet: Weil der Todeszauber nur dazu genutzt werden kann, um zu töten, ein Schneidezauber aber auch andere Anwendungen haben kann. Aber wenn man Tiere tötet oder jagt, um sie zu essen, ist es dann nicht besser, sie auf schmerzlose Weise zu töten? Und wenn ein Mensch unheilbar krank ist und große Schmerzen erleidet, kann ein schneller Tod dann keine Gnade sein?" Wieder verstummte sie, um ihren Zuhörern die scheinbar nötige Zeit zu geben, ihre Worte zu verarbeiten.

"Deine Welt klingt gefährlich. Und ich verstehe, warum die sie als naiv bezeichnest. Wenn wir unsere Töchter und Söhne bewaffnen, wissen wir, dass wir ihnen den Umgang lehren und ihnen die Gefahr bewusst machen müssen." Thorin schüttelte den Kopf und sah Hermine mit etwas an, das an Hochachtung erinnerte. "Das erklärt wohl auch, warum du keine Angst zu haben scheinst und dich hier bei uns so gut zurecht kommst - du hast dir schon viele Gedanken darüber gemacht, wie du deine Kräfte am besten einsetzen kannst." Die Worte kamen einem Lob so nah, wie selten etwas aus Thorins Mund, was die Zwerge frohen Herzens und Gandalf mit einem Schimmer von Hoffnung zur Kenntnis nahmen. Wenn Hermine tatsächlich einen Weg in Thorins Herz gefunden hatte, standen ihre Chancen soviel besser, den Prinzen vor dem Goldrausch zu bewahren. Thorins Freunde und Familie hingegen waren erfreut, diese Seite von ihm zu sehen, die seit der Vertreibung aus Erebor verloren gewesen war.

"Ich bin mit elf Jahren in eine Welt gestolpert, in der nur dreineinhalb Jahre später ein Krieg ausgebrochen ist, der meinen besten Freund verfolgt. Und wäre er nicht, würde ich trotzdem mitten drin stecken, denn die eine Seite hasst Menschen wie mich, deren Eltern keine Magie hatten. Daher mussten wir lernen uns zu verteidigen und uns an Situationen anzupassen, ansonsten säße ich nicht hier, sondern wäre tot." Zum Glück bedurfte es mehr als der Aussicht auf den Tod, um die Stimmung von Zwergen zu trüben, sodass sie schnell begannen, sie über den Krieg auszufragen.

Nur Thorin und Gandalf beteiligten sich nicht daran, sondern dachten über Hermines Rückkehr in ihre Welt nach. Das Schicksal ihrer Welt und ihrer Freunde lag ihr noch immer am Herzen, was für ihre Loyalität sprach, und Gandalf war sich sicher, dass es auf lange Sicht besser für alle wäre, wenn sie so schnell wie möglich zurückkehren würde. Die Auswirkungen der Vermischung der Welten waren unbekannt, aber es musste sie geben. Womöglich wäre die Reise der Zwerge ohne Hermine ganz anders verlaufen und wenn der böse Anhänger nicht in Bruchtal vernichtet worden wäre, hätte Hermine einen anderen Weg in ihrer eigenen Welt suchen müssen, um das zu bewerkstelligen. Aber noch hatte der Rat keine Möglichkeit gefunden, sie zurück zu schicken und er selbst würde keine Zeit haben, lange darüber nachzudenken, da er die Vorkommnisse in Dol Guldur untersuchen musste. Und je länger sie blieb, umso länger würde Thorin hoffentlich bei Sinnen bleiben.

Thorin hingegen fürchtete den Moment, an dem sie vor die Wahl gestellt wurde, in ihre Welt zurückzukehren oder in Mittelerde - bei ihm - zu bleiben. Er wollte sie nicht verlieren, sie ließ ihn fühlen, was er schon lange nicht mehr empfunden hatte. Noch getraute er sich nicht, über eine mögliche Zukunft nachzudenken, aber wenn er auf dem Thron Erebors saß und sie noch immer an seiner Seite war, wäre es gar nicht abwegig. Jedoch wollte er sie nicht nur nicht an ihre Welt verlieren, sondern fürchtete auch um ihre Sicherheit dort, wo er nicht auf sie aufpassen könnte und so viele Menschen mehr Macht hatten, als sie zu schätzen wussten. Er wurde von ihren Worten aus den Gedanken gerissen.

"Wenn mein Freund stirbt, gibt es nichts mehr, zu dem ich zurückkehren könnte, Dwalin. Dann ist meine Welt verloren. Ich habe meine Eltern vergessen lassen, dass sie eine Tochter haben und sie in Sicherheit gebracht, und alle Hexen und Zauberer, die gegen den Dunklen Lord gekämpft haben werden sterben oder versklavt oder was auch immer ihm einfallen würde." Sie seufzte und selbst Dwalin schenkte ihr einen mitleidigen Blick. Es klang wahrlich so, als ob sie viel geopfert hatte. Thorin beschloss, die Unterhaltung zu beenden.

"Kili, Fili. Weckt den Hobbit auf. Wenn wir rasten, solltet ihr die Zeit nutzen und mit ihm und Hermine üben." Die beiden sprangen sofort auf und gingen zu Bilbo hinüber, der tatsächlich eingeschlafen war. Auch Hermine erhob sich, um ihnen zu folgen, wurde aber durch Thorins Griff an ihrem Handgelenk aufgehalten. Ehe sie sich umgedreht hatte, um ihn zu fragen, was er wollte, hatte er sie auf seinen Schoß gezogen. Seine Stirn gegen ihre lehnend sah er ihr in die Augen und murmelte leise: "Verlass mich nicht." Sie erwiderte nichts, da sie ihm nichts versprechen wollte, das sie nicht würde halten können - und noch wusste sie nicht, was sie machen würde, falls sie die Wahl hatte. Stattdessen vergrub sie ihre Hände in seinen Haaren und küsste ihn. Der Kuss war unschuldig und voller Emotionen, was die Zwerge davon abhielt, über die beiden zu witzeln. Thorin hielt sie noch einige Momente fest, in denen er sie an sich drückte, ehe er sie aufstehen ließ, um den Brüdern zu folgen.

Hermine ging direkt zu Bilbo und zog ihn ein Stück von Kili und Fili weg, um kurz mit ihm zu reden. Der Hobbit sah, wie sie erwartet hatte, ziemlich nervöse aus, hatte das Training mit den Zwergen doch bisher nie gut geendet. "Mach dir keine Sorgen, Bilbo. Es ist egal, ob wir dabei lächerlich aussehen, wichtig ist nur, sie dich nicht treffen zu lassen. Vergiss nicht, du bist flinker als sie. Wenn du einen Angriff nicht blocken kannst, weich ihm aus." Sie runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. "Nein, das ist nicht richtig. Versuch immer auszuweichen und nur dann zu blocken, falls du nicht ausweichen kannst. Dadurch verschaffst du dir eine Möglichkeit zum Angriff." Es war ihr aufgefallen, als sie von Dwalin über Kämpfe zwischen Zauberern ausgefragt worden war. Einen Schildzauber auszuführen kostete Zeit und gab dem Gegner die Gelegenheit, sofort wieder anzugreifen, während man selbst es verpasst hatte, denn der nächste Angriff würde einen wieder in die Defensive drängen. Wich man hingegen aus, konnte man sofort einen Gegenangriff starten und selbst in die Offensive gehen. Das galt im Schwertkampf ebenso, wenn man einen Gegner hatte, der aus einer neutralen Position heraus immer die Oberhand gewinnen würde. Man musste ihn überraschen und ihm zuvorkommen.

Bilbo war sich zwar nicht sicher, wie er Kili angreifen sollte, wenn er ihm ausgewichen war, fand die Idee grundsätzlich aber sehr gut. Die Zwerge mochten ihn dann vielleicht umso mehr für einen Feigling halten, aber zumindest wäre er ein lebender Feigling, was er einem toten Helden gegenüber stark bevorzugte.

Als Kili und Fili begannen, ihre beiden Schüler anzugreifen, wurden bald alle Zwerge aufgrund der überraschten Rufe der Brüder aufmerksam.

"Ihr sollt nicht wegrennen, ihr sollt euch verteidigen!" und ähnliche Sätze wurden den beiden entgegen geworfen in der Hoffnung, sie damit zum Stillstehen zu bewegen, wenn es Hermine oder Bilbo wieder einmal gelungen war, auszuweichen. Wie die Elben gesagt hatten, waren Zwerge tatsächlich spürbar langsamer, da sie schwerer waren und dadurch mehr Masse in Bewegung setzten mussten. Dieser kleine Vorsprung konnte ausreichend sein, um zwischen dem Ausholen mit der Waffe und dem darauf folgenden Hieb beiseite zu treten - sofern der Zwerg keine geschickte Finte nutzen, um einen in die falsche Richtung ausweichen zu lassen.
Für Hermine wurde das Spiel jedoch bald sehr anstrengend, da sie aufgrund ihrer Größe mehr Angriffsfläche bot als der Hobbit, der sich oft einfach nur zu ducken brauchte. Sie hatte sich aber fest vorgenommen, während des Trainings auf Zauberei zu verzichten, um vorbereitet zu sein für den Fall, dass ihr Zauberstab während eines Kampfes nicht greifbar wäre.
Natürlich wurden sie auch immer wieder von Kili und Fili getroffen, wenn sie es weder schafften, rechtzeitig auszuweichen, noch den Angriff korrekt abzuwehren. Die beiden waren zu ihrem Leidwesen weniger gut darin, die Hiebe im letzten Moment abzubremsen als es die Elben gewesen waren, sodass die beiden einige blaue Flecke davon tragen würden. Aber so unangenehm es war, spornte es sie noch mehr an, und keiner der beiden wollte der erste sein der aufgab, und damit den anderen dem Schicksal aussetzen, von beiden Brüdern angegriffen zu werden. Aber nachdem sie beide es mehrere Male geschafft hatten, ihren Lehrer mit einem Angriff zu überraschen, ließen sie sich fast gleichzeitig zu Boden fallen und sahen schwer atmend zu den Zwergen hoch.

"Können wir.. für heute.. aufhören?" Die Worte kamen Bilbo nur stoßweise über die Lippen und ohne auf eine Antwort zu warten, rappelte er sich auf, um zu dem Kessel mit der Suppe zu gehen. Soviel Bewegung hatte ihn hungrig gemacht und er würde in den nächsten Stunden keinen Finger mehr rühren - außer natürlich um zu essen.

Dieses Mal wagte es auch keiner der Zwerge, über sie zu lachen, auch wenn Hermines Zurschaustellung dessen, was Magie bewirken konnte, möglicherweise ein Grund dafür war. Von Bofur und Bombur wurde Bilbo sogar gelobt, als er ihnen näher kam. Zu sehr, wenn man den Hobbit fragte, denn das Lob bestand unter anderem aus einem Schulterklopfen, dass ihn in die Knie zwang.

"Ihr habt euch gut geschlagen. Vielleicht besteht doch Hoffnung, dass du einen Angriff überlebst", neckte Bofur, während er und Bombur den Hobbit zum Kessel schleiften, um ihn zu versorgen, da er kaum einen Fuß vor den anderen setzen konnte.

Kili und Fili wollten Hermine eine ähnliche Behandlung zuteil werden lassen, aber als sie ihr unter die Arme greifen wollten, fiel ein Schatten auf die Hexe und die Brüder grinsten stattdessen verlegen.

"Was ist los?" Hermine wollte wissen, was die beiden aufgehalten hatte, da sie aus ihrer vorgebeugten Position heraus nicht sehen konnte, was hinter ihr geschah. Sie erhielt jedoch keine Antwort von den beiden. Stattdessen schlangen sich zwei starke Arme um sie und zogen sie auf die Beine. Mit einer Hand hob Thorin das Schwert auf, mit der anderen zog er Hermine an seine Seite und führte sie zurück an ihren Platz. Kili und Fili allerdings folgten ihnen nicht und als sie näher kamen, erhoben sich auch Balin und Dwalin.

"Gut gemacht", hörte sie von den beiden, die sich einer der anderen Gruppen anschlossen und nach einem bezeichnenden Blick folgte auch Gandalf den Zwergen, um Hermine und Thorin Zeit für sich zu lassen. Der Zwergenprinz sah aus, als ob er ihn andernfalls davon jagen würde, das wollte der Zauberer dann doch nicht riskieren, auch wenn er Hermine zu gern weiter ausgefragt hätte.

"Sie haben Recht, du hast dich gut geschlagen", murmelte Thorin, als er das Schwert fallen ließ und es sich auf dem Boden gemütlich machte, wobei er Hermine losließ, die unschlüssig stehen blieb. Es irritierte sie, dass die anderen gegangen waren, als ob sie ihnen Privatsphäre gönnen wollten, obwohl sie doch noch immer in Hör- und insbesondere in Sichtweite der anderen waren? "Komm, setz dich." Thorins Bitte riss sie aus ihren Gedanken, und sie beschloss, zumindest den Muffliato zu zaubern, damit wenigstens ihre Worte unerkannt bleiben würden. Erst dann setzte sie sich neben ihn, woraufhin er sofort einen Arm um sie legte und sie an sich drückte. Hermine jedoch zuckte zusammen, da seine Finger genau auf eine Stelle drückten, an der Fili sie getroffen hatte, woraufhin Thorin seinen Griff mit einem leisen Knurren und einem finsteren Blick in Richtung seines Neffen lockerte. Es war aber auch gar nicht nötig, Hermine festzuhalten, denn die erschöpfte Hexe schmiegte sich ohne sein Zutun an seine Seite. Die Müdigkeit, die sie nach dem Training verspürte, sorgte selbst bei Hermine dafür, dass sie nicht mehr so viel nachdenken wollte darüber, was vernünftig war und was nicht. Und Thorin war warm und sicher und der Fellbesatz seines Mantels so schön kuschelig.

Sie sah den zärtlichen Blick nicht, mit dem Thorin sie bedachte, während er ihr Zeit gab, sich von dem Übungskampf zu erholen, aber sie spürte, wie seine Hand über ihren Rücken strich und sein Bart ihre Stirn kitzelte, bevor er sie küsste. Erst als ihre Atmung sich beruhigt hatte, sprach er wieder, leise, auch wenn er den Zauber wiedererkannt hatte. Er fühlte sich nicht wohl dabei, über solche Dinge zu reden und er fragte sich, warum ausgerechnet eine Menschenfrau seine Zuneigung gewonnen hatte. Die Zwergenfrauen erwarteten keine großen Worte, sie wussten und liebten, dass ihre Männer kantiger waren und nicht über ihre Gefühle sprachen. Aber er wollte Hermine nicht vorenthalten, was bei den Menschen der normale Lauf der Dinge war, selbst wenn sie es vermutlich verstehen würde. Sie musste sich schon mit so vielen fremden Bräuchen arrangieren, hierbei wollte er etwas für sie tun. Und vielleicht würde es ihnen wirklich helfen. Vielleicht würde es ihm helfen, sie nicht zu verlieren. Nun begann auch seine zweite Hand sie zu liebkosen und strich vorsichtig und ein wenig unsicher über ihre Haare, da Thorin Sorge hatte, seine Finger könnten sich in ihren Locken verknoten und ihr wehtun. "Was du gestern Nacht gesagt hast.."

Hermine hob den Kopf so weit, dass sie ihn ansehen konnte und runzelte die Stirn. Gestern Nacht hatte sie wegen Bilbo mit ihm geschimpft, warum wollte er jetzt darüber reden? Überhaupt war es seltsam, dass das erst gestern gewesen war, es schien so lange her zu sein. Aber das war es nicht, worauf Thorin hinaus wollte, wie sie bald erfahren sollte.

"Du bist mir sehr wichtig, Hermine", begann er erneut, austestend, wie er seine Gedanken am besten vermitteln konnte. Hermine hingegen stockte. Was hatte das mit ihrer Standpauke zu tun? Hatte sie noch etwas anderes gesagt? Ihre Gedanken rasten und als ihr einfiel, was sie gesagt hatte, als sie dachte, er würde schon schlafen, rutschte sie vor Schreck ein Stück von ihm weg.

"Du hast es gehört? Ich dachte du hättest schon geschlafen. Ich wollte nicht. Du solltest nicht." Sie stammelte und spürte, wie ihr Gesicht immer heißer wurde. Was dachte er jetzt nur, bestimmt wollte er ihr nun sagen, dass er sie zwar gerne mochte, aber sie daran denken sollte, dass sie keine Zukunft hatten. Bevor sie sich für ihre unfreiwillige Bekenntnis entschuldigen konnte, legte sich ein rauer Finger auf ihre Lippen, ein wenig zu fest vielleicht, aber die Geste war dem Zwerg ebenso ungewohnt wie die gesamte Situation.

"Entschuldige dich nicht, bitte. Sag mir nicht, dass du es nicht so gemeint hast." Er klang nicht unsicher, das würde sein Selbstbewusstsein gar nicht zulassen, aber seine Stimme war eindringlich. Da sie nicht zurückwich, fuhr er fort, sein Finger löste sich von ihren Lippen und stattdessen strich er ihr über die Wange "Ich verstehe, wenn du trotzdem in deine Welt zurückkehren willst, wenn du einen Weg findest, aber mir war lange niemand so wichtig wie du." Von seiner Familie abgesehen, aber das verstand sie sicherlich auch ohne, dass er es aussprach. Er zögerte wieder, aber Hermine sah ihn nur gebannt an und machte kein Anzeichen, was diese Worte bei ihr auslösten. Unter seinen Fingerspitzen konnte er jedoch spüren, wie ihr Puls schneller wurde. Er lehnte sich vor, lehnte seine Stirn gegen ihre. "Wenn du hier bleibst, wenn wir den Erebor zurückerobert haben, würdest du in Betracht ziehen, an meiner Seite zu bleiben?"

Hermine konnte nicht anders als zu lächeln. Es war irgendwie so typisch für Thorin, nicht zu sagen, dass er sie an seiner Seite haben will, oder gar irgendeine Art von Gefühlen einzugestehen, sondern es so indirekt wie möglich zu vermitteln. "Falls ich nicht in meine Welt zurückkehren kann.." Ihr Herz zog sich schmerzhaft zusammen, doch sie konnte nicht sagen, ob sie den Verlust Thorins oder ihrer Freunde mehr fürchtete. "Ich weiß nicht, ob ich zurückkehren will. Ich vermisse meine Freunde und ich muss ihnen helfen, wir müssen das Böse besiegen und sie wissen nicht, dass einer der Horkruxe zerstört wurde. Aber du..." Sie konnte es nicht sagen, wenn er sie so ansah. Sie konnte nicht sagen, dass sie ihr Herz zurück lassen müsste, sie war vernünftig genug zu wissen, dass sie irgendwann darüber hinwegkommen würde und es käme ihr wie eine Lüge vor, etwas anderes anzudeuten. Ohne sich dessen bewusst zu sein vergrub sie ihre Hände in seinen Haaren. "Ich könnte glücklich werden, hier, mit dir."

Beiden hielten sie den Atem an, als Hermine den letzten Abstand zwischen ihren überbrückte und ihn sanft küsste. Als ihre Lippen sich wieder voneinander trennten lehnte Thorin sich zurück und zog Hermine halb auf sich, sodass ihr Kopf auf seiner Brust zu liegen kam. Für den Moment war er glücklich und nur seine Heimat zurück zu erobern könnte seine Laune noch verbessern. "Ruh dich aus", murmelte er. "Ich werde nicht weggehen, meine kleine Hexe." Es war das erste Mal, dass er sie so nannte, während sie noch wach war, aber daran, wie leicht ihm die Worte über die Lippen gingen, erkannte sie, dass es nicht das erste Mal war, dass er sie so nannte.

The Story of a Witch in Middle EarthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt