Kapitel 18

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Da Hermine bis zum späten Nachmittag friedlich schlief, fiel es Thorin leicht, dem Wunsch der Zwerge nachzukommen, auch den Rest des Tages in dem kleinen Wäldchen zu verbringen. Bis zum Durinstag war noch Zeit; wenn sie den direkten Weg durch den Düsterwald nehmen würden, würden sie früh genug ankommen, um nach dem Ort zu suchen, an dem sich die Tür befand.
Die Zwerge waren erstaunlich ruhig gewesen, aber sie alle nutzten die Zeit um sich auszuruhen, auch wenn kaum einer wirklich schlief, und es half auch, dass Kili und Fili es sich zur Aufgabe gemacht hatten, jedem böse Blicke zuzuwerfen, der zu laut wurde. Als Bombur trotzdem einmal laut zu lachen begann, nachdem Bifur auf Khuzdul das Verhalten der Brüder kommentiert hatte, hatten sie den dicken Zwerg sogar geschlagen, um sich durchzusetzen. Dadurch sorgten sie zwar für noch mehr Heiterkeit unter den Zwergen, die sich aber nur in breiten Grinsen äußerte, da inzwischen auch Thorin aufmerksam geworden war und Dwalin mit wenigen Handbewegungen vermittelte hatte, dem nächsten eine Lektion zu erteilen, der zu laut wurde. Er wollte Hermine schlafen lassen, solange es ging, sie hatte es wahrlich verdient, auch wenn er langsam steif wurde. Hermine hatte sich im Schlaf nur noch dichter an ihn gekuschelt und ihre Hände in seinen Umhang gekrallt, sodass er seit geraumer Zeit nur geringfügige Bewegungen ausführen konnte, ohne zu riskieren, sie aufzuwecken.

Erlöst wurde er, als schließlich die Vorbereitungen für das Essen begannen. Bilbo und Bombur begannen früh mit der Arbeit, da sie einstimmig beschlossen hatten, die Gunst der Stunde zu nutzen und das beste Abendmahl zu servieren, das mit ihren Vorräten möglich war. Gandalfs Hinweis, dass sich "bald wieder eine Gelegenheit bieten würde, die Vorräte aufzustocken", gab ihnen zudem eine gute Entschuldigung, tiefer in die Provianttaschen zu greifen, als sie sich ansonsten getraut hätten. Der Geruch von Fleisch, Brot und einer Vielzahl an Gewürzen brachte Hermine langsam wieder in die Welt der Wachen zurück, auch wenn sie zuerst nur leise murmelte und keine Anstalten machte, sich von Thorin zu lösen. Sie fühlte sich so geborgen in seinen Armen und ein wenig Angst hatte sie auch, dass sich ihre letzte Unterhaltung als ein Traum herausstellen würde, wenn sie vollständig erwachte. Raue Hände legten sich auf ihre Finger und lösten sie vorsichtig aus dem Stoff, den sie umklammert hier. Sie öffnete widerwillig die Augen und begegnete sogleich Thorins Blick, der sich vorgebeugt hatte, um sie besser ansehen zu können. Als er sah, dass sie wirklich wach war, fing er ihre Lippen in einem kurzen Kuss, mit dem er zu seiner Angewohnheit zurückkehrte, sie auf eine Weise zu überraschen, dass sie nicht die Gelegenheit bekam, den Kuss zu erwidern.

"Falls du etwas zu Abend essen willst, solltest du aufstehen, ich denke heute werden sie noch schneller essen und sich auch um die letzte Portion schlagen. Außerdem wäre ich dir dankbar, wenn ich mich wieder bewegen könnte", fügte er wie einen beiläufigen Gedanken hinzu. Dwalin und Balin hatten seine Worte gehört und lachten laut auf, woraufhin Hermine noch röter wurde, als sie es ohnehin schon war. Thorin hatte sie also die ganze Zeit im Arm gehalten, obwohl es für ihn unbequem geworden war, und hatte sie nicht geweckt oder war einfach gegangen?

"Es tut mir Leid", murmelte sie mit gesenktem Blick und sah daher das Kopfschütteln Thorins nicht. Sachte hob er ihr Kinn an.

"Hermine, entschuldige dich nicht, wenn ich etwas für dich mache. Mir liegt es nicht, es fällt mir schwer genug, denn wir Zwerge nehmen Anziehung und Zuneigung einfach wie sie kommen. Wenn keiner Wert darauf legt, sich Zeit zu lassen, dann wird ihn deswegen niemand seltsam ansehen, wie es bei euch Menschen der Fall ist." Seine Aussage wurde von Nori wirksam unterstrichen.

"Sie Dori, Ori und mich an, wir haben verschiedene Väter, aber nicht etwa, weil sie gestorben wären. Oder frag Bombur, wie viele Kinder er hat." Woraufhin dieser bereitwillig die Antwort gab.

"Vierzehn, falls es nicht zu einer Verwechslung gekommen ist." Hermines entgeisterter Blick brachte sogar Gandalf zum Schmunzeln und sie nahm sich vor, die Zwerge gründlich über ihre Kultur auszufragen. Von ihrem raueren Umgangston abgesehen, war ihr bisher nicht aufgefallen, wie groß die Unterschiede sein konnten. Aber erst einmal wurden die Gedanken von Bilbo unterbrochen.

"Essen ist fertig!" Der Hobbit war noch nie so beliebt bei den Zwergen gewesen, wie in diesem Moment, als sie sich auf das köstliche Mahl stürzten und sogar das Gemüse aßen, das Bilbo mit in die Brühe gegeben hatte.
So kam es auch, dass das Essen ungewöhnlich ruhig verlief, da jeder mehr mit Kauen als Reden beschäftigt war und die Zwerge sich gütlich taten, als fürchten sie, in den nächsten Tagen nichts mehr zu Essen zu bekommen. Erst als auch der letzte Rest aufgegessen war, begannen die Unterhaltungen wieder.

"Morgen früh brechen wir wieder auf", begann Thorin. "Wenn wir die letzten Ausläufer des Nebelgebirges hinter uns haben, müssen wir eine geeignete Stelle finden, um den Anduin sicher zu überqueren, bevor wir den Düsterwald betreten können." Die Aussicht auf letzteres schien keinem der Zwerge zu gefallen, wie sie durch Murren zu erkennen geben. Der Weg durch den Wald war jedoch die direkte Verbindung und ihn zum Umgehen würde mehr Zeit kosten, als sie hatten.

"Was die Überquerung des Anduin betrifft, solltet ihr wissen, dass es eine Furt gibt.." Gandalfs Worte wurden jedoch durch Hermines plötzliches Aufspringen unterbrochen. Das Nebelgebirge! Sie befanden sich noch immer auf einem der Ausläufer, in einem Wäldchen, und.. mit eiligen Schritten war sie an der Felskante angekommen. Und wenn sie angegriffen wurden, säßen sie in der Falle, ganz so wie im Buch, als die Adler sie retten mussten. Die Adler, die bisher nicht aufgetaucht waren, aber wahrscheinlich bald von Gandalf gerufen werden mussten. Wie hatte sie so dumm sein können? Als sie das Lager gemeinsam mit Bilbo erreicht hatte, hatte sie vor Aufregung vergessen, Schutzzauber zu legen, vielleicht hatte sie noch..
Aber es war schon zu spät. Während des ausgedehnten Essens war die Nacht hereingebrochen und sie konnte die Wargreiter sehen, die sich langsam näherten, da es ihnen Spaß machte zu sehen, wie ihre Beute in der Falle saß. Die Zwerge, die sie verwirrt beobachtet hatten, sprangen auf und drehten sich um, als ihr Gesichtsausdruck von Schrecken zu Entsetzen um schwang. Schnell hatten sie ihre Waffen in den Händen, aber je näher die Warge kamen, desto deutlicher wurde es, dass es zu viele waren für einen Kampf.

"Auf die Bäume!", rief Gandalf und keiner widersprach ihm, obwohl nicht nur einer sich fragte, was ihnen dieses Hinauszögern des Unausweichlichen bringen sollte. Früher oder später würden sie kämpfen müssen, ganz gleich wie schlecht ihre Chancen standen, sonst würden sie diesen Ort nicht wieder verlassen können. Dennoch folgten sie seinen Anweisungen, aber einige der Zwerge nahmen sich die Zeit, ihr Gepäck zu greifen und andere, zurückgelassene Gepäckstücke in ihre eigenen Taschen zu stopfen. Erst als die Zwerge begannen, die Bäume zu erklimmen, begannen die Warge zu rennen, und Hektik brach aus.

Sie halfen einander, so hoch wie möglich in die Bäume zu klettern, die unter dem Gewicht der Zwerge bald zu ächzen und schwanken begannen, da sie sich auf nur drei sehr dicht beieinander stehende Bäume verteilten. Die reiterlosen Warge versuchten unterdessen, die Bäume zu erklimmen, wurden aber mit gezielten Schlägen mit Äxten oder Schwertern schnell eines besseren belehrt. Die Wargreiter selbst waren unschlüssig, da ihr Anführer noch nicht eingetroffen war und sie den Auftrag hatten, Thorin nicht zu töten, da er dies selbst machen wollte. Daher trauten sie sich nicht, die Bäume zu stürmen und dabei zu riskieren, sie den Abhang hinunter stürzen zu lassen. Also beschlossen sie zu warten, um Azogs Zorn nicht auf sich zu ziehen.

Plötzlich ertönte ein Schrei aus den Bäumen, ein Lichtblitz durchzuckte die Dunkelheit und einer der Orks kreischte, als sich eine klaffende Wunde auf seiner Brust bildete. Hermine gelang es, noch drei weitere Orks schwer zu verletzen, ehe die Kreaturen sich so weit zurückgezogen hatten, dass ihre Zauber sie nicht mehr erreichen konnten. Diese unbekannte Macht der Blitze machte ihnen Angst, nicht genug jedoch um gegen ihre Furcht vor Azog zu bestehen, sodass sie anstatt zu fliehen in sicherer Entfernung auf sein Eintreffen und seine Anweisungen warteten. Unterdessen diskutierten die Zwerge, wie sie weiter vorgehen sollten.

"Ich sage, die Hexe sollte runter vom Baum und sich den Orks nähern, damit sie sie weiter angreifen kann", war Gloins wenig rücksichtsvoller Vorschlag. Dwalin und Dori stimmten ihm im Prinzip zu, waren aber bereit, Hermine zu schützen.

"Aber sie sollte nicht allein gehen, dann wäre es ein leichtes für sie, sie zu töten. Sie kann nicht alle auf einmal aufhalten, wenn sie beschließen, sie anzugreifen. Wir müssen sie begleiten und vor den Orks schützen." Alle Blicke richteten sich auf Thorin, um zu erfahren, wie er entscheiden würden. Für ihn gab es gar keine Abwägungen zu machen, er würde niemanden allein gegen eine Horde Wargreiter antreten lassen, selbst wenn es sich um den Hobbit handeln würde. Er hatte die Verantwortung für die Gemeinschaft und würde nicht zulassen, dass einer dazu gedrängt würde, sich für die anderen zu opfern. Wenn sie es wagen sollten, dann würden sie sich ihnen gemeinsam entgegenstellen und er würde keinen Schritt von Hermines Seite weichen.

Er kam jedoch nicht dazu, diese Entscheidung kundzutun, denn etwas geschah, das Kili und Fili in so große Aufruhr versetzte, dass sie keine Rücksicht auf den Baum nahmen und er, von ihrem Schreiben begleitet, umkippte. Zu ihrem Glück wurde ihr Sturz schnell beendet, da ihr Baum sich mit dem mittleren der zwergenbesetzten verhakte, anstatt in den Abgrund zu stürzen. Thorin wollte sie schon für ihren Leichtsinn rügen, als auch er den bleichen Ork sah.
"Azog." Das geknurrte Wort bestätigte die Befürchtung der Brüder, die den Ork selbst nie gesehen hatten aber bei seinem Anblick sofort sicher waren, dass dies der Erzfeind ihres Clans sein musste. Azog waren die Bedenken der Orks egal, sie sollten gefälligst die Zwerge von den Bäumen herunter holen, und wenn sie dabei starben, würde er sich andere Untergebene suchen, dann hätten sie nichts besseres als den Tod verdient.

"Fällt die Bäume, reißt sie um, nur lasst den Erben Durins nicht abstützen! Es wäre ein zu leichter Tod für ihn. Er gehört mir! Und fangt die Hexe lebend!" Als wäre Azogs bloßes Überleben nicht schon genug Grund für Thorin, vor Wut beinahe sofort vom Baum zu springen, gelang es nach seinen Worten über Hermine Balin und Dwalin nur gemeinsam, ihn davon abzuhalten.

Da die Orks nun einen direkten Befehl hatten, näherten sie sich den Bäumen wieder und versuchten, hintereinander Schutz zu suchen, damit jeder andere, nur nicht sie selbst von einem Zauber getroffen wurde. Es waren einfach zu viele, als dass Hermine viel hätte ausrichten können und schon bald begannen die Bäume zu erzittern, als die ersten Orks begannen, an ihnen zu rütteln. Diese Orks anzugreifen war für Hermine leider unmöglich, da der Weg durch Äste und Zwerge versperrt wurde.

"Was sollen wir tun?", rief Dori, doch keiner der Zwerge hatte eine zufriedenstellende Antwort.

"Wenn wir jetzt da runter gehen, sind wir tot noch bevor wir den Boden erreicht haben", knurrte Dwalin, dem die Hilflosigkeit der Situation merklich zusetzte. Es war Gandalf, der schließlich eine Idee hatte, die die Orks wieder zurück treiben würde, sie jedoch ebenfalls in Gefahr brachte. Von den anderen unbemerkt hatte er jedoch schon einen Boten ausgesandt um Hilfe zu holen, sie mussten also nur lange genug durchhalten, bis diese Hilfe eintraf. Alle sahen ihn zweifelnd an, als er einen Tannenzapfen in Brand steckte und nach den Orks warf. Tatsächlich wichen die Orks zurück, sobald das Gestrüpp in ihrer Nähe Feuer fing, sodass die Zwerge begeistert aufjubelten und schon bald von Gandalf mit den brennenden Wurfgeschossen versorgt wurden und selbst begannen, das Feuer von einem Zapfen zum anderen weiter zu reichen, bevor sie sie warfen. Hermine allerdings weigerte sich ebenfalls als Feuerteufel zu agieren, auch wenn der Baum sich immer weiter über den Abgrund neigte und jede Hilfe gebraucht wurde.

"Irgendjemand muss schließlich daran denken, dass wir auf einem Baum sitzen und Feuer uns ebenso gefährlich werden kann wie den Orks. Und da ich wahrscheinlich die einzige bin, die dafür sorgen kann, dass der Baum nicht sofort in Flammen aufgeht, würde ich mich lieber darauf konzentrieren." Sie zielte mit einem "Aguamenti" auf den Stamm des Baumes und sah zu, wie das Wasser daran herablief und sich hoffentlich bis auf den Boden erstreckte. Dabei warf sie einen kurzen Blick zu Gandalf, der aber keine Aussage darüber machte, was in seiner Macht lag und was nicht, sodass die Zwerge ihre Worte akzeptierten und es in Kauf nahmen, durch das schützende Wasser nass zu werden. Stattdessen konzentrierten sie sich wieder darauf, die Orks mit Tannenzapfen zu bewerfen und sie lautstark zu beschimpfen, bis die Orks sich wieder zurückzogen, woran nicht einmal Azog etwas ändern konnte, da inzwischen jede Grasfläche und jeder Strauch lichterloh brannte. Also ging Azog zu anderen Mitteln über.

"Sind die Erben Durins solche Feiglinge, dass sie sich auf Bäumen verstecken müssen? Hier wird eure Linie enden und eure Freunde werden ein Fest für die Warge! Nur die Hexe, sie werden wir am Leben lassen und brechen. Ihre Macht wird unsere Herrschaft begründen!" Er hatte gehört, was die Hexe mit dem sogenannten Goblinkönig gemacht hatte und wollte diese Macht für sich. Es war nur ein netter Nebeneffekt, dass diese Worte den Zwerg mehr zu erzürnen schienen als alle anderen zuvor.

Keiner der Zwerge hätte es für möglich gehalten, dass Thorins Zorn auf Azog noch weiter steigen konnte, doch die Wut war beinahe spürbar, als er Hermines Schicksal erwähnte. Unter dem Flehen der Zwerge, keine Dummheit zu machen, richtete Thorin sich auf, um vom Baum zu springen, doch in dem Moment lösten sich weitere Wurzeln aus dem Boden. Der ganze Baum erzitterte und plötzlich lag er mehr, als das er stand, weit über den Abgrund ragend. Die plötzliche Verlagerung raubte Ori jeglichen Halts und er stürzte mit einem Schrei, der abrupt endete, als Dori seine Hand ergriff. Sein Sitz auf dem Baum war allerdings ebenfalls unsicher gewesen und nun, durch das zusätzliche Gewicht, rutschte auch er.

"Wingardium Leviosa!" Thorin mit dem Zauber durch die Luft zu dirigieren war schon schwer genug gewesen, doch Dori und Ori waren noch viel unhandlicher, da Hermine es irgendwie schaffen musste, sie so abzusetzen, dass beide Halt finden würden. Während sie abgelenkt war, versuchte Dwalin Thorin aufzuhalten und fiel beinahe ebenfalls, da einer der Äste, an denen er sich festgehalten hatte, unter ihm wegbrach, so dass er stattdessen darum kämpfen musste, den Baumstamm zu erklimmen. Derweil wurden Thorins Schritte immer schneller und als er den Baumstamm verlassen hatte, begann er zu rennen. Den Zwergen und Hermine kam es vor wie in Zeitlupe, sie sahen, wie der weiße Warg zum Sprung ansetzte und Thorin zu Boden warf.

"NEIIIN!" Es war Hermine, die schrie, als das Maul des Warges sich um den Körper des Zwerges schloss, ihn einige Male schüttelte und dann zur Seite warf. Warum tat denn niemand etwas? Wieso eilte ihm niemand zur Hilfe? Panisch versuchte sie, Ori und Dori schneller durch die Luft zu navigieren, sie würde sie einfach auf dem Boden absetzen, dann würden sie Thorin helfen können, aber die Körper schienen sich unendlich langsam durch die Luft zu bewegen. Kili und Fili wollten ihrem Onkel ebenfalls zur Hilfe eilen, würden aber an Dwalin vorbei gehen müssen, da ihr eigener Baum inzwischen gar nicht mehr mit dem Boden verbunden war. Dadurch würden sie riskieren, den Krieger erneut hinunter zu stoßen, der sich langsam am Baumstamm hochzog und als erster würde den Baum verlassen können, damit es nicht zu weiteren Unfällen kam.

Unterhalb der Stelle, an der Dwalin hing, saß Bilbo und starrte entsetzt auf Thorins Körper und den Ork, der sich ihm näherte. Hermines verzweifelter Schrei hallte in seinen Ohren nach und bevor er wusste, wie ihm geschah, umklammerte er sein kurzes Schwert und fühlte, wie seine Füße flink den Baum hinab rannten. Er konnte nicht zulassen, das Thorin starb. Selbst wenn der Zwerg ihn nicht mochte und ihn nicht einmal duldete, würde er es sich nicht verzeihen können, wenn er untätig blieb. Und Hermine, nie wieder würde er ihr in die Augen sehen können, wenn er nicht das tat, was seine Freundin nicht konnte und versuchte, denjenigen zu retten, der ihr so sehr am Herzen lag, dass ihr Schrei ihm durch Mark und Bein ging. Er hatte den Boden erreicht, der Ork hob zum Schlag aus, einmal, zweimal und ohne darüber nachzudenken stürzte Bilbo nach vorne, das Schwert vor sich gestreckt und prallte von dem dreckigen Orkkörper ab, in dessen Rücken sein Schwert steckte. Niemals seine Waffe zurück lassen, hatten Elladan und Elrohir gesagt, also versuchte er sofort, das Schwert wieder heraus zu ziehen, was dadurch erleichtert wurde, dass der Ork begann, nach vorne zu sacken. Hatte er ihn tatsächlich getötet?

Er kam nicht dazu, sich zu fragen, ob das etwas gutes oder schlechtes war, denn Azog war alles andere als glücklich mit der neusten Wendung. Langsam schritt er auf die jämmerlich kleine Gestalt zu, die ihr Spielzeugschwert aus dem Rücken des toten Orks zog und sich mit zitternden Beinen vor Thorin stellte. Der Halbling wollte mit ihm um den Zwerg kämpfen? Das konnte er haben.

Bilbo stolperte zur Seite als Azog ausholte und zuckte zusammen, als das Schwert dicht neben ihm die Luft durchschnitt. Wie gut, dass Hermine ihm zum Ausweichen geraten hatte, denn er erkannte sofort, dass er keine Chance gehabt hätte, diesen Schlag aufzuhalten, selbst wenn er es versucht hätte. Der bleiche Ork war schlicht und ergreifend zu stark. Der Größenunterschied allerdings erleichterte es ihm, den Hieben zu entkommen, aber es war dennoch viel zu knapp und immer, wenn er doch sein Schwert hob um sich zu schützen, fürchtete er, es würde ihm durch die Wucht des Schlages aus den Händen gerissen.

Zu seinem und Thorins Glück musste er Azog nicht allzu lange beschäftigen, denn endlich war es Dwalin mit Balins Hilfe gelungen, sich auf den Baumstamm zu hieven und sofort rannte der Krieger los, seine Äxte Grasper und Keeper begierig auf Orkblut in seinen Händen. Sein Ziel war Azog, aber er wurde von anderen Orks aufgehalten, die sich nun, da der Kampf sich gegen ihren Anführer zu wenden schien, wieder einzumischen wagten. Balin folgte seinem Bruder auf dem Fuße, und der Kampf entbrannte.

Mit einem unsanften Fall setzte Hermine Ori und Dori neben den Wurzeln des Baumes ab. Endlich ihrer Verantwortung den beiden gegenüber entledigt, apparierte sie mitten in das Kampfgetümmel hinein an Thorins Seite. Neben ihm fiel sie auf die Knie und berührte ihn vorsichtig, während sie, ihr Schwert vergessen, jeden Ork verfluchte, der es wagte, sich ihnen zu nähern. Der Sectusempra entwickelte sich mit erschreckender Schnelligkeit zu ihrer Allzweckwaffe, während sie in England lieber geflohen wäre, als einen derart offensiven Zauber gegen einen Todesser auszusprechen. Aber Entwaffnungen, wie Harry es immer bevorzugt hatte, waren keine gute Idee, wenn man es mit scharfen Waffen zu tun hatte und wenn sie die Orks nur erstarren ließ, würden die Zwerge sich später darum kümmern, sie zu töten. Jetzt unverdiente Gnade zu zeigen, würde ihr Schicksal sowieso nur hinauszögern. Das einzige was jetzt zählte war zu überleben und Thorin zu beschützen.
Viele Heilzauber kannte sie nicht, da es in Hogwarts nicht für nötig befunden wurde, sie zu lehren, aber im Sommer hatte sie sich daran gemacht, einige allgemeine Heilzauber zu lernen, darunter einen zum Stoppen von Blutungen, einen um Knochenbrüche zu heilen, wobei sie dabei ständig an Lockharts Versuch, Harrys Arm zu heilen denken musste, und einen Diagnosezauber, um Blutungen und Brüche erkennen zu können. Der Episkey-Zauber schien die Universalantwort der Zauberer auf jegliche Art von Verletzung zu sein, was Hermine stark irritierte, da sie sich im Gegensatz zu den reinblütigen Zauberern der Tatsache bewusst war, das verschiedene Wunden eigentlich sehr unterschiedliche Behandlungsmethoden benötigten.

Da die Orks wussten, sie dürften Thorin nicht töten, näherte sich nur selten einer dem Paar am Boden, sodass Hermine die Gelegenheit hatte, sich an die Arbeit zu machen. Oder zumindest dachte sie das. Als sie den Diagnosezauber sprach und das rote leuchten sah, das von Thorins Brustkorb ausging und auf mehrere gebrochene Rippen hindeutete, sprang sie auf und blickte sich suchend um. Ihre Augen funkelten vor Hass auf Azog und seinen Warg, die es gewagt hatten, Thorin derartig zu verletzten. Zu sehen, wie er ihm Maul des Warges hing, war schlimm genug gewesen, aber das Ausmaß des Schadens vor sich zu sehen ließ sie nach Rache dürsten.
Erst im Nachhinein würde Hermine mit Schrecken erkennen, dass nur das allgemeine Durcheinander, das ihr eine freie Bahn zu Azog versperrt hatte und die Gefahr gebracht hatte, einen der Zwerge zu treffen, sie davon abgehalten hatte, einen der unverzeihlichen Flüche zu benutzten. Und sie wusste, dass sie in dem Moment fähig gewesen wäre, den Crucio korrekt und wirkungsvoll auszuführen, was ihr mehr über ihre Gefühle für Thorin verriet, als ihr bisher bewusst war. Selbst als sie in Ron verliebt gewesen war, hatte eine Verletzung seinerseits keinen derartigen Durst nach Rache hervorgerufen, wie es jetzt der Fall war. Ihn verteidigen, retten und heilen war eine Sache, aber den Wunsch nach einer Konfrontation verspürte sie selten.
Stattdessen sank sie wieder zu Boden und begann, Thorins Rippen so gut sie konnte zu heilen und hoffte, dass sie dabei nicht mehr Schaden anrichtete, als sie behob. Da ihre einzige andere Möglichkeit jedoch war, die Zeit ihre Arbeit machen zu lassen und ihn auf natürliche Weise heilen zu lassen, war das Risiko sehr gering, dass sie etwas herbei führte, was nicht sowieso geschehen würde, und es daher wert, eingegangen zu werden. Zu versuchen, seinen Weg mit diesen Verletzungen fortzusetzen, wäre viel zu gefährlich, was Thorin aber vermutlich nicht aufhalten würde.
Sie hatte gerade alle Brüche geheilt und wollte sich seinen anderen Wunden widmen, als die Adler eintrafen und das Chaos verdoppelten. So schnell, wie sie nach Orks und Wargen griffen, um sie über die Kante zu werfen, oder Zwerge aufsammelten, um sie auf die Rücken anderer Adler fallen zu lassen, fürchtete Hermine, es können zu für die Zwerge verhängnisvolle Verwechslungen kommen. Bisher sah allerdings so aus, als ob es allen Zwergen sowie Bilbo gut ging, denn jeder der aufgesammelten war kurz darauf auf einem Adler gelandet. Dann jedoch wurde ihre Aufmerksamkeit auf einen Adler gelenkt, der neben Thorin landete und ihn vorsichtig mit seinen Klauen umschloss. Dabei blieben sowohl Orcrist als auch der Eichenschild zurück, die Hermine schnell einsammelte und in ihre Tasche steckte, damit sie nicht verloren gehen würden. Der Adler jedoch hob nicht ab, sondern sah Hermine abwartend an, die sich plötzlich stark an Seidenschnabel erinnert fühlte. Ohne die Entscheidung bewusst zu treffen, verbeugte sie sich vor dem Adler. In seinen Augen meinte sie, eine Mischung aus Belustigung und Wohlwollen über ihre Handlung zu erkennen, ehe er den Kopf drehte und mit seinem Schnabel auf seinen Rücken wies.
Seufzend warf Hermine sich ihre Tasche über die Schulter und begann, so vorsichtig wie möglich auf seinen Rücken zu klettern, ohne eine der riesigen Federn herauszureißen. Sobald sie eine Stelle erreicht hatte, von der der Adler zu meinen schien, sie würde dort gut sitzen, schlug er mit seinen kräftigen Flügeln und sie hoben vom Boden ab. Hermine schluckte - Fliegen gehörte nicht zu ihren Lieblingsfortbewegungsmitteln - und sie hielt den Blick gesenkt und auf die Federn fixiert, bis sie spürte, dass sie wieder landeten.
Thorin lag schon neben dem Adler auf dem Boden, noch immer reglos, und einer nach dem anderen wurden alle Zwerge, Bilbo und Gandalf auf dem hohen Felsen abgesetzt, den die Adler als Landefläche nutzen. Hermine beeilte sich, ebenfalls festen Boden unter den Füßen zu haben, rutschte zeremonielos vom Adlerrücken hinab und bedankte sich anschließend leise bei ihrem Retter für die Hilfe. Dieser neigte den Kopf als Zeichen des Verstehens, ehe er sich wieder in die Luft schwang und gefolgt von den anderen im langsam heller werdenden Himmel verschwand.

Alle hatten sich um Thorin versammelte und Gandalf war über ihn gebeugt, als Hermine ihn erreichte. Sie konnte nicht verstehen, was Gandalf murmelte, nahm jedoch an, dass es sich um eine Art von Heilzauber handelte, da Thorin langsam zu sich kam. Ehrfürchtig traten die Zwerge murmelnd zurück, während Bilbo sich unbemerkt so weit von der Gruppe entfernte, wie es unter den Umständen möglich war. Er war unsicher, wie die Zwerge über sein unbedachtes Handeln dachten, da keiner es für nötig gehalten hatte, auch nur ein Wort zu ihm zu sagen, nachdem sie gelandet waren. Irgendeine Art von Reaktion hatte er erwartet, denn auch wenn er nicht um Dankes wegen gehandelt hatte, war er doch der Meinung, dass solcher angebracht wäre. Allerdings verstand er auch, dass die Zwerge durch die Sorge um Thorin beschäftigt waren, der in den Händen von Gandalf und Hermine gut aufgehoben zu sein schien. Als erwartungsvolles Schweigen über die Zwerge fiel, verharrte er um zu lauschen.

Das erste, was Thorin sah, als er die Augen aufschlug, waren ein Paar brauner Augen, die ihn besorgt musterten. "Hermine...", murmelte er, bevor er Gandalf bemerkte, er ihn ebenso intensiv anstarrte. Seine Brauen zogen sich zusammen, während er von einem zum anderen blickte und versuchte, seine jetzige Situation mit seinem Angriff auf Azog in Einklang zu bringen. Er war am Boden gewesen, dem Tode nahe, bevor... Der Halbling! Bilbo. "Wo ist er?" Die Gesichter über ihm begannen zu lächeln und Gandalf trat zurück.

"Es geht ihm gut", erklärte er, mit der Hand in Bilbos Richtung deutend. Die Zwerge, die bisher nicht bemerkt hatten, dass Bilbo nicht unter ihnen war, wandten sich in die gleiche Richtung um und traten beiseite, um den Blick auf den Hobbit freizugeben. Hermines Finger strichen derweil ungehindert über Thorins Gesicht und Körper, als müsse sie sich davon überzeugen, dass es ihm tatsächlich gut ging, bis er ihre Hände einfing und sanft drückte.

"Was auch immer du getan hast, um mich zu heilen, ich danke dir dafür." Seine Worte waren so leise, dass die anderen sie nicht hören konnten. Dann richtete er sich auf und schritt an den Zwergen vorbei, die ihn mit breiten Grinsen auf den Gesichtern begrüßten, und trat Bilbo entgegen. "Du. Du hättest im Auenland in deiner Höhle bleiben sollen, dort, wo du hingehörst. Ich habe gesagt, dass du keinen Platz in unserer Gruppe hast. Ich habe dir vorgeworfen, nur eine Last zu sein und uns alle in Gefahr zu bringen." Inzwischen war er bei Bilbo angekommen und sah auf den Hobbit hinab, der nicht verstand, was er nun schon wieder falsches getan haben sollte. Hätte er sein Leben etwa nicht riskieren und zusehen sollen, wie Thorin getötet wurde? Nur am Rande nahm er wahr, das Thorin noch immer redete, aber erst als er sich plötzlich in den Armen des Zwergs wiederfand, verstand er die Worte. "Ich habe mich noch nie in meinem Leben so sehr geirrt."

The Story of a Witch in Middle EarthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt