Kapitel 58. Gewicht der Welt

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Wieder erklang das Schaben, doch es blieb nicht das Einzige. Es war schwer in Worte zu fassen, doch dieses einzigartige Geräusch hatte sie noch nie gehört. Eine Mischung aus majestetisch und durchdringend. Ein Schrei, der ihr durch Mark und Knochen ging. Schrill und anmutig zugleich - nicht wie der des Jyubis.

Yuno trat näher an die Schatten heran, blieb auf der Hälfte stehen, drehte sich nicht um, sondern starrte in die Finsternis, als es sich regte. Am liebsten hätte sie geschrien. Geschrien, so laut sie konnte, als eine Pranke an ihr vorbeischoss, ihre Haare in ihr Gesicht peitschte und scharfe Krallen in den Boden einschlugen. Eine Pranke größer als Kuramas. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie das leuchtend weiße Fell erkannte, das sie hätte unter der Nase kitzeln können. Ihr Atem rasselte in ihrer Lunge. Der Bijuu war ihr so nah, dass sie seine Wärme spürte, seine Angriffslust und Tatenfreude. Es wollte raus - hinaus in den Kampf und topen und wüten - kontrolllos.

Reißend zog es seine Krallen durch den steinernen Boden, hinterließ tiefe Furchen. Steine bröckelten und brachen heraus, trafen sie und lösten ihre Starre. Sie überlegte nicht. Zischend zog Yuno ihr Katana aus der Scheide, sammelte ihre Kraft und sprang auf den Vorderlauf des Wesens. Sie handelte. Sie rannte höher, wollte dessen Schulter erreichen, als es sich schüttelte und sie loswerden wollte.

Fest krallte sie sich in das glänzende Fell, hielt eisern daran fest. Ihr nächster Impuls jagte dem Tier ihr Katana ins Fleisch, riss daran und öffnete seine Haut, um den Halt nicht zu verlieren, um höher zu kommen, doch sie rechnete nicht mit einem spitzen Schnabel, der nun auf sie einhackte. Sie spürte die Worte, ohne dass sie ausgesprochen werden mussten: Wie du mir, so ich dir. Schnell fasste sie wieder ins Fell, ließ ihr Katana an seinem Lauf zurück, hangelte sich an dessen Unterseite entlang, doch da begann das Schütteln erneut.

Wieder hingen die Worte unsichtbar im Raum: Hartnäckiger Brocken.

Der Schnabel hackte erneut in ihre Richtung, die Klauen kratzten, doch es erwischte sie nicht. Bekonnt fischte sie eines ihrer Kunai aus ihrer Beintasche, rammte es dem Bijuu in den Schenkel, aber eine Reaktion erhielt sie nicht. Merkte es die Klinge überhaupt? War es nur wie ein Kitzeln am Bein? Angefressen grummelte sie, dass ihre Aktion keine Wirkung zeigte und zog das Kunai aus der Wunde heraus. Blut spritzte ihr entgegen, bedeckte sie, als sie es ein zweites Mal in seinen Lauf hackte. Und ein drittes Mal. Und ein viertes Mal. Und ein fünftes Mal. Keine Reaktion außer das vorherrschende Schaukeln und Abschütteln.

Nur durch einen Ruck des Wesen gelangte sie an dessen Bauch, verfing sich in dessen Fell. Wie eine Ameise an einem Blatt baumelte sie an ihm herab, kämpfte sich jedoch hoch. Ihre Arme begannen zu zittern. Wenn es so weiterging, würde sie sich überlasten und ihre körperliche Grenze überschreiten. Dann hätte der Bijuu gewonnen. Was würde geschehen? Sie wollte es sich nicht vorstellen, doch die Fragen schlugen dennoch in ihren Gedanken ein. Würde es versiegelt bleiben? Würde es die Kontrolle über ihren Körper nehmen und mit dem Jyubi alles vernichten? Würde sie selbst bei dieser Aktion sterben? Würde Akatsuki dadurch den Krieg gewinnen?

Gerade rechtzeitig merkte sie die Gewichtsverlagerung der Kreatur, als es absprang, sich ungezwungen fallen ließ und sich über den Boden rollte. Es wollte sie unter seinem Gewicht zerquetschen, zu Pfannkuchen verarbeiten! ,,Nein!", entrann es ihrer Kehle, als sie sich abstieß, um bloß von diesem Monster herunterzukommen. Gekonnt rollte sie sich auf dem Boden ab, verschwand in der Finsternis und konnte die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen. Die Lichter der Wand waren verschwunden. Ryuga ebenso. Ein Beben erschütterte sie, als der Bijuu auf den Boden auftraf.

Die Dou-Jutsus ließen sich nicht aktivieren, genauso wie sie keinerlei Chakra spürte. War sie die ganze Zeit schon blind gewesen? Sie hatte nicht darauf geachtet. Sie spürte ihre Quelle nicht und auch nicht die des Wesens. Waren Justus überhaupt möglich? Unsicher streckte sie die Arme aus, schwang sie umher, um irgendeinen Anhaltspunkt zu finden - am liebsten eine Wand. Sie griff und ruderte mit den Armen haltsuchend. Sie fand nichts, fühlte sich immer mehr in ihrem eigenen Unterbewusstsein verloren.

Die Wächterin der Bijuu - Dark and Light (Band 3)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt