Kapitel 55: Jeder hatte Leute am Krieg verloren

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Nachdem wir Friedo durch die Tür gefolgt waren, standen wir nun in einem Raum, welchen man fast als ein Wohnzimmer bezeichnen konnte. Hinten in einer Ecke gab es eine Sitzmöglichkeit, ein gepolsterter Stuhl und dann auch noch ein Kamin aus Stein, mit schwungvollen Verschönerungen eingraviert. Sonst standen verschiedene Regale mit unterschiedlichen Artefakten darin überall herum. Am meisten stach aber ein riesiger Bücherschrank heraus, welcher gleich an der Wand neben der Tür stand. Er war so riesig, dass er bis zur Decke ging und dabei auch noch komplett voll mit Büchern gefüllt war. Es war fast schon beeindruckend.

Friedo schloss schließlich die Tür hinter uns und sagte: „Also... warum hält man euch für tot, gnädige Hoheit? Fangen wir doch erstmal damit an!"

Ich schaute zu Hendrík hinüber. Gut, wo sollten wir da bitte anfangen? Unserer Flucht? Dem Tod meiner Schwester? Dem meiner Mutter? Meiner Geburt? Es erschien mir sinnvoller, erst einmal zu erfahren, was Friedo selbst bis jetzt wusste.

„Wisst ihr...", sprach ich nach einem langen Atemzug, „Ihr hattet angedeutet, bereits eine bestimme Meinung zu meinem Vater zu haben. Worauf genau wolltet ihr damit hinaus?"

Erst schaute Friedo mich verwirrt an, doch dann blickte er zu Hendrík.

„Darf ich ehrlich sein?"

Hendrík zuckte mit den Schultern. „Ich bin es schon die ganze Zeit und stören tut das keinen."

„Sagt das mal dem Wirt von vorhin.", kicherte ich. Sofort durchbohrte Hendrík mich mit einem fast tödlichen Blick.

Verwirrt schaute Friedo zwischen uns hin und her. Er lief an uns vorbei und warf sich auf die eine Sitzmöglichkeit weiter hinten. Während er sein Gesicht in seinen Händen vergrub, fing der Mann schließlich an zu reden: „Euer Vater hat nie als Regent getaugt."

Er redete kalt. Ich nahm es ihm nicht Übel.

„Ich erinnere mich an Zeiten, da hatten die Menschen Angst, eure Mutter würde unser Verderben sein. Wartet, bevor ihr mich so anseht! Ihr müsst verstehen, sie war so jung, als sie gekrönt wurde! In die Jugend stecken nur die Wenigsten ihre Hoffnung!
Als sie dann aber euren Vater heiratete... ich erinnere mich ungern an diese Zeit. Der Krieg war schrecklich. Jeder hatte in seiner Familie mehrere Leute an ihm verloren. Wir waren arm. Ein ganzes Land, so arm... Hoffnung war ein Fremdwort geworden. Manchmal wünschte ich mir, dass wir die Hochzeit mehr begrüßt, vielleicht sogar gefeiert hätten. Wer weiß, dass hätte die beste Zeit für jeden im Königreich sein können. Denn kurz war Frieden. Ganz kurz... war alles gut. Bis euer Vater sich in die Regierung mit einmischte. Langsam zog sich eure Mutter immer mehr in den Hintergrund und desto mehr Macht euer Vater hatte... umso bizarrer wurde es.

Plötzlich waren wir wieder im Krieg. Plötzlich war es noch brutaler, als wir uns je hätten vorstellen können. Jeder musste Militärdienst leisten, ausnahmslos jeder. Ich persönlich verlor mein Vertrauen in unserer Regierung, als ... als der Krieg das Leben meines einzigen Sohnes forderte. Normalerweise wurde Familien von gefallenen Kriegern stets eine Botschaft des amtierenden Königs oder eben der Königin zugesendet, zusammen mit einer kleinen Entschädigungssumme. Besonders verarmte Familien bekamen auch einen Korb mit Verpflegungsmitteln.

Natürlich machte es nicht den Verlust von einem wichtigen Familienmitglied besser... aber dadurch entstand doch der Eindruck, dass es nicht komplett umsonst war.
Und dass die da oben sich kümmern würden.
Dass dieser Krieg sie genauso belastet, wie uns auch.

Doch dann, als euer Vater mit ins Spiel kam... nichts.
Mein Sohn starb und wäre ich nicht selbst bei ihm auf dem Schlachtfeld gewesen... wer weiß, ob ich es überhaupt je erfahren hätte.
Ich musste zusehen, wie mein geliebter Sohn enthauptet wurde. Wie sein lebloser Körper sich noch immer regte. Und niemanden kümmerte es. Keiner sagte etwas. Keiner kam zur Beerdigung.

Das war auch der Moment, als ich beschloss, meine Fähigkeiten... meine Tränke mit der Öffentlichkeit zu teilen. Sie hatten mir nicht helfen wollen. Also werde ich nun ihnen helfen. Anstatt ihnen denselben Schmerz zuzufügen, wie sie mir... möchte ich helfen, der Welt zu zeigen, dass es auch anders geht. Damit Andere ihren Enkeln eine sichere Welt präsentieren können. Wie ich es früher immer für meine wollte. Doch nun wird es sie nie geben können..."

Während er erzählt hatte, bildeten sich Tränen in seinen Augen. Er schaute keinen von uns an und saß es einfach nur noch da, sagte dabei nichts mehr.

Auch ich konnte nicht reden. Ich wusste ein wenig davon bereits... meine beiden Großeltern starben früh und plötzlich, weswegen Mutter als Jugendliche schon regieren musste. Doch hatte ich immer geglaubt, dass Vater ihr eine Unterstützung und nicht ein Hindernis gewesen war. Die Wanderer hatten es auch schon gesagt... Mutter hatte in ihrer Zeit als Königin kaum etwas für unser Volk getan. Und es schmerzte mich so sehr, dass ich mich am liebsten in Luft auflösen wollte, doch es machte Sinn. Nicht nur als Königin war sie immer passiver geworden. Auch als Mutter. Das letzte Mal, dass ich sie vor ihrem Tod lächeln gesehen hatte... das war Monate vor ihrer Schwangerschaft mit Johntimo gewesen.

Ich schaute zu Hendrík. Auch er wirkte sehr bedrückt von Friedos Geschichte. Und dann wurde mir klar, was Friedo genau gesagt hatte: „Jeder hatte in seiner Familie mehrere Leute an dem Krieg verloren". Jeder. Auch Hendrík?

„Ist euch etwas Ähnliches wiederfahren?", fragte ich mit brüchiger Stimme.

Hendrík schaute sofort weg. Nach kurzer Zeit flüsterte er schließlich: „Mein Onkel und seine Ehefrau, bereits, bevor ich geboren war. Und mein Vater... in einer Schlacht war er schwer verletzt worden. Er musste bis zum Schluss immer mit Krücke laufen."

Mein Herz schlug wie wild in meiner Brust. Wie konnte das alles nur passieren? Und warum?

Grade, als ich meinen Mund öffnen wollte, um genau dazu etwas sagen zu können, hörten wir plötzlich ein lautes Hämmern an der Tür.

Amolien's Geheimnisse: Kampf um den ThronWo Geschichten leben. Entdecke jetzt