Kapitel 6: Ein Abschied?

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• Vittorius •

Lucan streckt sich nun genüsslich, während ich meine zwei schwarzen Umhänge aus edlem Stoff vom Farn befreie.

„Deine Statur ist die meiner nicht unähnlich, du kannst eins meiner Oberteile und eine meiner Hosen anziehen", biete ich ihm dann mit Blick auf seine Lumpen an.

Tatsächlich sehen wir uns recht ähnlich, sicher könnten wir auch als Brüder durchgehen. Wobei Lucans Gesicht schmaler ist als meins, aber die Haarpracht und die Körpermaße sind erstaunlich ähnlich.

Am liebsten würde ich die alten Stoffe von seinem Körper reißen und ihn in meine guten Sachen zwingen, aber das kann ich nicht bringen.

„Behaltet euren Kram, Mitleid habe ich nicht nötig", meint Lucan dann und geht einfach drauf los.

„Zu deinen Eltern geht es in die andere Richtung", belehre ich ihn mit einem leichten Lacher.

„War mir klar, war nur ein Test für euch, ob Ihr wirklich aufpasst", kontert Lucan schlagfertig und wechselt die Richtung.

Ich schultere nun mein leichtes Reisegepäck und laufe mit breitem Grinsen hinter Lucan hinterher. Früher oder später wird er von mir gekaufte Kleidung nehmen müssen, denn lange hält seine Garderobe nicht mehr.

So gehen wir dann in die Richtung, die uns zu seinem Grundstück mit seiner schäbigen Hütte führen wird. Und dort werden wir seine sicher besorgten Eltern antreffen, denen Lucan Lebewohl sagen muss.

Warum genau es mich dazu treibt, ihn ohne zu fragen mitzunehmen, weiß ich selbst nicht.

Von meinen ganzen Erklärungen einmal abgesehen, aber Lucan gehört nun mal nicht in diese schäbige Hütte und auch nicht in diesen kleinen Bauernschaftszusammenschluss.

Den Weg zu seinem Grundstück verbringen wir schweigend und der Abendhimmel wechselt von leichtem Gelborange in ein tiefes Rot. Welch Ironie des Schicksal, als junger Vampir die ersten Schritte unter einem so roten Himmel anzutreten.

Lucan zuckt ab und an bei den nahen Geräuschen des Waldes zusammen, die die Tiere der Gegend verursachen. Sein Gehör gewöhnt sich noch immer an die Feinheiten, mit seinen scharfen Augen kommt er schon besser klar.

„Dich wird schon nichts anfallen, ich zerreiße es, bevor es bei dir ist", spreche ich ihm amüsiert zu.

„Das kriege ich auch gerade so noch alleine hin", erwidert Lucan leicht überheblich.

„Ich erinnere dich an diesen Moment, wenn ich dir deinen Hintern rette. Und das werde ich, da bin ich mir sicher", setze ich grinsend einen nach.

„Vorsicht, eine Baumwurzel!", sagt Lucan und zeigt energisch auf den Weg vor mir.

Noch gehen wir durch den Dickicht und schieben haufenweise Äste beiseite. Ich wähle gerne Raststätten weit abseits vom Weg, da hat man in den meisten Fällen seine Ruhe. Es ist aber immer kein leichtes Unterfangen, bis zu so einer ruhigen Lichtung zu kommen und im Anschluss auch wieder zurück zu kommen.

Ich merke natürlich, dass das nur ein Vorwand von Lucan ist, um mich zu ärgern.

„So leicht falle ich nicht darauf herein", erwidere ich amüsiert und habe den Weg vor uns mit der Erdmagie genau im Blick.

„Möget Ihr euch am nächsten Blutklumpen verschlucken!", haut Lucan eingeschnappt raus und schaut betont beleidigt zur Seite.

Und dann ist er es, der volle Kanne an einer Baumwurzel hängen bleibt und sich mit dem Gesicht voran lang macht.

Mein herzhaftes Lachen schallt noch einige Bäume weiter und Lucan beleidigt laut fluchend die arme Baumwurzel, die auch nichts dafür kann.

„Hier, mein Vampirsohn", sage ich breit grinsend und halte ihm meine Hand hin, um ihm beim Aufstehen behilflich zu sein.

Prinz LucanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt