Kapitel 68: Tschüss, alter Freund

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• Lucan •

Warum muss sowas nur so unendlich traurig und belastend sein?

Ich habe schon den einen oder anderen Tod in meinem Dorf mitbekommen, aber nun in einer Krypta zu stehen und zu wissen, dass ich immer wieder meine engsten Vertrauten überleben werde, gibt mir den Rest.

Mit Tränen klammere ich mich an Vittorius' starke Schulter, der sich ebenso nicht zurückhalten kann. Und wenn er das nach fast 700 Jahren noch so traurig findet, dass ihm so schmerzerfüllte Tränen kommen, sehe ich für mich keine Hoffnung, dass ich damit jemals zurechtkomme.

„Wie habt Ihr das all die Jahrhunderte ausgehalten?", frage ich dann.

„Das erste Jahrhundert war sehr hart. Heute weiß ich selbst nicht, wie ich immer wieder den Antrieb fürs Weitermachen gefunden habe. Aber jetzt habe ich endlich jemanden, der in 100, in 200, in 500 und auch in 1000 Jahren noch an meiner Seite sein wird. Wir werden uns immer haben, Lucan. Und solange du so eine Traurigkeit empfindest, wenn die sterblichen Freunde gehen, ist mit dir alles in Ordnung", kommt es aus Vittorius heraus.

Dann vergießt er weitere Tränen und hat ein Lächeln im Gesicht.

Ach so?

„Sieh nur, mein alter Freund. Ich habe endlich jemanden, der bei mir bleibt. Ich bin nicht mehr allein", sagt Vittorius ganz leise in die Richtung der Urne.

„Jetzt hört schon auf mit ihm zu reden, das ist ja schlimm!", kommt es mit einem traurigen Lächeln aus mir heraus, während ich noch eine Träne beiseite wische.

Zusammen nehmen wir uns dennoch kurz die Zeit und schenken Immanuel und Antonia noch einige Minuten des Abschieds. Vittorius lässt es nicht und redet einfach weiter mit seinem Freund, als wäre er noch da. Irgendwie befreit es einen aber innerlich, muss ich zugeben. Die Tränen versiegen aber erst, als wir uns zum Gehen entscheiden.

Schließlich treten wir beide dann aus der Krypta und spazieren einen Moment im Garten des Anwesend, um frische Luft zu schnappen. Der Winter ist kalt und der Schnee ist in viel größeren Massen vorhanden, als je in Lilienhain liegen wird. Die Kälte tut dann aber sehr gut, es bringt uns beide zurück in das Hier und Jetzt. Und wir tauschen noch ein paar abschließende Sätze dazu aus, dann ist es fürs Erste auch in Ordnung.

Und wenn es das mal nicht sein sollte, weiß ich ja, wer für mich da sein und mich trösten wird.

Vittorius. Mein Vampirmeister. Mein Freund. Meine Familie.

Nach einer halben Stunde kehren wir dann zurück in das Anwesen, wo Oskar sich gerade um ein warmes Abendmahl bemüht. Aus dem hinteren Teil des Hauses ertönt ein leises Gespräch von Arthur mit einer fremden Person, die dann scheinbar seine medizinischen Dienste in Anspruch nimmt. Manu liegt wieder eingewickelt in Decken auf dem Sofa, er regt sich aber bereits.

Vittorius nimmt den Kleinen dann auf den Arm und schaukelt ihn leicht.

„Er hat sicher schon Hunger. Der junge Mann isst, als hätte er den Magen von 3 Personen gleichzeitig", meint Oskar mit einem Lachen.

Wenig später finden wir uns am Essenstisch ein, wo Vittorius auch das Füttern von Manu übernimmt und Arthur dankbar in Ruhe sein Abendmahl isst. So ohne Mutter und Muttermilch ist es eine Herausforderung, dem Kind eine Alternative zukommen lassen. Arthur muss Oskar regelmäßig in eine nächstgrößere Stadt schicken und haufenweise Milchpulver für Säuglinge erstehen lassen. Über sowas habe ich bisher nicht nachgedacht, weil Elisa immer genug Milch für die Kinder hatte.

Sachen gibt's, man lernt nie aus.

Nach dem Essen bringt Arthur seinen Sohn ins Bett und kommt nach einer Weile dann zu uns in den gemütlich erwärmten Wohnbereich. Er geht an den Schrank, an den Immanuel auch gerne ging und holt vier Gläser und einen edlen Whiskey hervor.

Prinz LucanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt