Kapitel 46: Gedanken in der Zelle

101 21 3
                                    

• Lucan •

Ich habe kein Zeitgefühl, ich weiß nicht, wie viele Stunden oder Tage ich hier schon in der stockdusteren Zelle sitze. Die Steine sind kühl, es riecht moderig und die Luft ist stickig. Auf meinen Magen kann ich mich nicht verlassen, der grummelt seit der ersten Minute in dieser Zelle vor sich hin.

Dann höre ich Geräusche und kurz darauf werde ich vom Lichtschein geblendet, weil die Luke geöffnet wird.

„Vampirmeister?", frage ich mit flehender Stimme nach.

Dann sehe ich eine Hand, die einen Becher voll Blut in die Luke hält. Es ist die Hand von Vittorius, die spitz zulaufenden Fingernägel sind eindeutig. Ich bin sofort da und nehme den Becher entgegen, dann ertönt auch schon der Knall, weil die Luke zugedonnert und wieder verriegelt wird.

„Halt, bitte! Wartet! Redet wenigstens mit mir! Hallo? Vampirmeister? Bitte! Vittorius! Bitte!", versuche ich mein Glück und klopfe gegen die Stahltür.

Aber da ist nichts, er versorgt mich nur und sagt keinen einzigen Ton.

Den Becher mit frischem Menschenblut, eindeutig das von Johann, kriege ich dann aber nur schwer runter. Jeder Schluck bleibt mir förmlich in der Kehle stecken und mir vergeht gründlich der Appetit. Vittorius hat sein Ziel auf jeden Fall schon erreicht, ich fühle mich sehr bescheiden und habe große Schuldgefühle, weil ich total über die Strenge geschlagen habe.

Warum nur redet er nicht mir mir?

• Vittorius •

Die engsten Vertrauten wissen Bescheid, damit im Notfall jemand da ist, der Lucan da wieder rausholen kann, sollte was sein.

Victoria haben wir aber nichts gesagt, sie denkt zusammen mit allen anderen vom Volk Lilienhains, dass Lucan eine kurze Reise in seine alte Heimat unternimmt. Und sein Geschrei und Klopfen hört man nicht, wenn die massive Tür zum Kerker geschlossen ist. Und ja, ich habe Kyrill da hingestellt und es ausprobiert.

Eine ganze Woche schmort Lucan nun schon in der Zelle und fleht jedes Mal bei der Blutration darum, dass ich ein Wort mit ihm wechsle. Ich bleibe aber hart bei der Bestrafung und sage nicht ein Ton. Eine Zeit lang bleibe ich immer am Ende des Ganges vom Kerker stehen und warte, bis Lucan die Kraft ausgeht. Ich höre jedes einzelne Wort, so auch jetzt.

„Ich bereue es sehr, bitte Vampirmeister! Bitte redet endlich mit mir! Ich bleibe auch hier und sitze meine Strafe ab, das verstehe ich, aber bitte redet! Bitte! Vittorius! Vittorius! Vittorius!", brüllt Lucan, was nur als dumpfer Laut zu hören ist.

Zusammen mit dem Klopfen, was mich mittlerweile wie ein Albtraum echt überall im Schloss verfolgt. Ständig höre ich es klopfen, immer und überall. Der arme Kyrill muss nach den täglichen Lieferungen an Lucan immer herhalten, sonst halte ich das nicht durch. Schließlich verstummt Lucan und sackt kraftlos an der Tür zusammen.

Er leert den Becher und umklammert ihn dann eine Weile.

Es ist grausam, aber mir fällt echt nichts mehr ein, wie ich Lucan zur Vernunft bringen soll. Was ist, wenn er eines Tages einen Streich ausheckt, den er für immer bereuen wird? Und wenn er dabei versehentlich einen seiner Liebsten verletzt oder gar tötet? Mit so einer Schuld kann ich nicht leben, wenn ich es vorher verhindern kann. Zumindest erkennt Lucan den Warnschuss.

Ich drehe mich um und gehe die Treppen hinauf, wo Kyrill bereits mit sparsamen Blick wartet. Er hat seine kleine Tochter auf den Armen, die sich gurrend an ihn kuschelt. Mit Nolan ist Victoria heute unterwegs, er braucht schon neue Kleidung, weil er aus der aktuellen Größe herauswächst. Neele noch nicht, die bleibt klein und niedlich.

Prinz LucanWo Geschichten leben. Entdecke jetzt