62. „Wer ist „er"?"

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Hello hello!

Mal wieder zwei Wochen hintereinander ein Kapitel von mir, whuup whuuup!

Liebe Grüße und einen guten Start ins Wochenende wünsche ich ✨

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Samia POV

Ich konnte gar nicht sagen, was mehr brannte. Meine trockene Kehle oder die Tränen in meinen Augen.

Die Annäherung an den Keller hatte bei mir ein heftiges Flashback in meine Kindheit ausgelöst und ich war Stefan tatsächlich dankbar dafür, dass er mich von der Tür weggezogen hatte.
Weniger dankbar war ich dafür, dass er mich zwang, ihm Einblick in mein Innerstes zu geben. Viel zu intim und schmerzhaft waren diese Erinnerungen. Dennoch war mir bewusst, dass ich erst gar nicht versuchen müsste, ihm eine Lüge aufzutischen. Er hatte mich längst durchschaut.

Erleichtert, sitzen zu können, versuchte ich meine zitternden Hände und Knie unter Kontrolle zu bringen indem ich meine angewinkelten Beine mit meinen Armen umschlang. Der Blick meines Entführers brannte auf meiner Haut und ich beeilte mich, mir Worte zusammenzulegen.

„Ich hatte schon Angst vor dem Keller ehe ich wusste was ihr da.. also was Damian mit mir machen würde, weil ich..." ich schluckte schwer weil meine Stimme versagte. „Weil ich früher schon schlechte Erfahrungen gemacht habe. Aber das ist alles lange Zeit her und nicht mehr der Rede wert." schob ich schnell hinterher in der verlockenden Hoffnung, dass das Thema damit abgehakt sein könnte.

„Es ist mir egal wie lange das her ist." antwortete der Fremde kurzerhand und ich saß in der Klemme.
Ich wollte darüber nicht sprechen, das hatte ich schließlich noch nie aber ich wollte es mir auch nicht mit diesem gewaltbereiten Monster verscherzen.

„Naja als Kind wurde ich manchmal in den Keller.." Ich konnte diese Worte nicht aussprechen, meine Zunge war tonnenschwer und ich setzte schnell neu an.
„Er hatte immer wenig Zeit und wenn seine Freunde da waren war ich halt im Weg und musste eben.. weg."

Für eine halbe Sekunde wagte ich einen Seitenblick zu Stefan um zu erkennen, ob ihm meine Antwort genügte. Erstaunt stellte ich fest, dass er nicht wie erwartet ein gehässiges Grinsen im Gesicht hatte sondern mich einfach neutral anblickte.

„Wer ist „er"?"

Ein Stich durchfuhr mich bei dem Gedanken an den Mann, der nach Alkohol und Zigaretten stank und am liebsten hätte ich Stefan angeschrien, dass ihn das nichts anging.

Wie sollte ich diesen Mann von damals auch benennen? Keine Bezeichnung wie Vater, Papa oder alles andere wären passend gewesen.

„Er war mit meiner Betreuung und Erziehung beauftragt." Anders konnte ich es beim besten Willen nicht formulieren und Stefan schwieg einen Moment bis er verstand.

„Du bist in einer Pflegefamilie aufgewachsen?"
Erstaunen schwang in der Stimme meines Entführers mit.

Mein Schweigen deutete der Mann wohl als bejahende Antwort und veranlasste ihn weiter zu bohren.

„Wie lange hat er dich eingesperrt? Wie lange jeweils und was hat er noch mit dir gemacht?"

Das war zu viel. Zu viel auf einmal. Was interessierte es den Kerl überhaupt?
Ich konnte nicht mehr als nur meinen Kopf schütteln und verkrampft hielt ich die Tränen zurück, die sich verräterisch in meinen Augen bildeten.
Als ich Anstalten machte, aufzustehen um dem Verhör zu entfliehen, tauchte Stefan binnen eines Wimpernschalgs vor mir auf und drückte mich zurück auf den Boden.
„Wir sind hier noch nicht fertig."

Wieder schüttelte ich verzweifelt meinen Kopf.
„Es geht nicht. Ich kann das nicht. Bitte lass mich." flehte ich aber Stefan blieb hart.
„Wenn's sein muss, zeige ich dir, dass du kannst also sprich jetzt besser."
Mit einem gequälten Laut, der mich selber erschreckte, atmete ich ein und begann abgehakt, zu erzählen, wie mich der Mann über mehrere Jahre immer wieder in den Keller gesperrt hatte, wie er mich an den Haaren hineingezerrt hatte wenn ich versucht hatte mich zu wehren, und wie er mich manchmal mehrere Tage dort unten ohne Essen vergessen hatte. Dass ich mich einige wenige Male auch vor ihm und seinen Freunden ausziehen musste, ließ ich unerwähnt, denn schließlich hatte mich nie einer der Männer auf diese Weise angefasst. So ersparte ich mir wenigstens die Blöße, Stefan das auch noch aufzutischen.

Nachdem ich geendigt hatte, versuchte ich wieder aufzustehen aber Stefans unerbittlicher Griff ließ mich nicht. Ich fühlte mich so beschmutzt, so ausgeliefert, diesem Killer das alles unter die Nase reiben zu müssen, dass ich nicht auch noch deshalb vor ihm weinen wollte. Um jeden Preis wollte ich verhindern, dass er erahnen konnte, wie tief die Narben meiner Kindheit noch saßen. Ob ich darin Erfolg hatte, wagte ich allerdings zu bezweifeln.

„In wievielen Familien warst du?"
Führte der Mann vor mir dieses grausame Verhör weiter.

„Vier" antwortete ich knapp. Ich würde mich Stefan so oder so nicht widersetzen können. Nicht ohne Schmerz zu spüren. Und wenn mich meine verkorkste Vergangenheit eins gelernt hatte, dann dass Aufgeben nie schön aber häufig der Weg des geringsten Widerstandes und somit der erträglichsten Strafe war.

„Wie bist du nur da rein geraten?" stellte Stefan sich nun eher sich selbst die Frage.
„Wie ein unerziehbares Problemkind kommst du mir nicht gerade vor." stellte der Mann weiter fest.
„Was ist mit deinen echten Eltern?"

Erschrocken blickte ich ihn an. Die Frage konnte ich ihm nicht beantworten, selbst wenn ich es wollte, denn ich wusste es selber nicht.
„Ich weiß es nicht." hauchte ich und sofort erkannte ich den Missmut, den meine unzufriedenstellende Antwort bei dem Mann auslöste.
Panisch versuchte ich weiter zu erklären und mich dabei von Stefan wegzudrücken. „Ich weiß es wirklich nicht! Das konnte mir nie jemand beantworten."

Ohne Vorwarnung packte der Mann in mein Haar und zog meinen Kopf schmerzhaft nach hinten.

„Jetzt ist nicht der Moment für Faxen. Ich kann es gar nicht leiden wenn ich belogen werde." sprach Stefan gefährlich leise.

„Ich lüge nicht! Bitte du musst mir einfach glauben. Ich habe selber viele Jahre versucht meine richtige Familie zu finden aber ich habe rein gar nichts rausgefunden." meine Worte überschlugen sich, während ich versuchte Stefans Griff aus meinem Haar zu lösen.

Genervt schnaubend gab der Kerl mich endlich mit einem Ruck frei und erhob sich schwungvoll während er mich erschrocken über seine Wut und sein intensives Interesse an meiner Vergangenheit zurückließ.

Nachdem der Muskelprotz einige Male auf und abmarschiert war, kam er bedrohlich zu mir zurück, hockte sich vor mich. Sein Blick hatte sich geändert und er sah nicht länger wütend aus, ganz im Gegenteil.
„Entschuldige, ich wollte dir nicht wieder wehtun aber ich muss ausnahmslos alles über deine Vergangenheit wissen. Ich muss eben was überprüfen. Du beliebst hier."

Ehe ich hätte antworten können, war Stefan abgerauscht und ließ mich vollends verwirrt zurück.
Erleichtert, alleine zu sein, wischte ich mir verstohlen die Tränen weg, die ihren Weg über mein Gesicht gefunden hatten.

Warum wollte der Mann plötzlich alles so genau wissen? Wollten meine Entführer nun vielleicht doch Lösegeld erpressen und brauchten deshalb Hintergrundinformationen? Dann bräuchten sie mich auf jeden Fall lebend. Zumindest bis zu einer Geldübergabe.

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