45. Die Nacht zum Tag machen

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Fertig für eine Sporteinheit angezogen stand ich nun unentschlossen vor der Zimmertür, meine Hand ruhte auf der Klinke. Plötzlich war ich nicht mehr so wild entschlossen, diese verrückte Sache durchzuziehen wie noch vor wenigen Minuten. Sport hatte mir schon immer in komplizierten Lebenslagen geholfen, einen klaren Kopf zu bewahren und die ein oder andere Nacht hatte ich mir schon auf meinem Laufband um die Ohren geschlagen, welches auch in meiner kleinen Studentenwohnung seinen festen Platz gehabt hatte.
Ein stechender Schmerz durchzuckte mich bei dem Gedanken an meine ersten eigenen vier Wände, welche ich bisher nur wenige Monate hatte genießen können.
Ich drängte diesen Gedanken zurück in einen tiefen und dunklen Teil meines Hirns, welcher diese Erinnerungen hoffentlich nicht allzu schnell wieder freigab und drückte zur Ablenkung die Klinke herunter.
Ehe ich mich versah, war ich durch den schmalen Spalt gehuscht und stand nun heftig atmend mit dem kleinen Handtuch schützend an die Brust geklemmt auf der anderen Seite der Tür. Ich rief mich selbst zur Ordnung, schloss die schwere Tür geräuschlos und lauschte in das riesige Haus hinein.
Kein Ton war irgendwo zu hören, was mich aufatmen und mutiger werden ließ.
Bewusst straffte ich meine Schultern und schwebte förmlich durch den Flur, jeden Schritt präzise und leise gesetzt. Fast hätte ich kichern müssen weil ich von außen betrachtet vermutlich aussah wie eine maximal unfähige aber übermotivierte Undercover-Agentin, wäre da nicht der Ernst meiner Lage gewesen.

Endlich war ich bei dem Sportraum angelangt und mein Herz sprang mir förmlich aus der Brust.
„Reg dich mal ab! Du machst jetzt eine Stunde Sport und dann verzeihst du dich wieder in dein Zimmer und wartest ab bis es Zeit fürs Frühstück wird!" beruhigt ich mich selbst.
Noch einen Moment lauschte ich an der Tür doch wie nicht anders zu erwarten war es mucksmäuschenstill.
Zügig, ehe mich mein Mut verlassen konnte, schlüpfte ich in den dunklen Raum hinein und tastete an der Wand nach dem Lichtschalter.

Als ich ihn endlich fand, flutete das grelle Licht den großzügigen Raum. Blinzelnd prüfte ich die Wand nach anderen Schaltern und tatsächlich waren noch mehrere Kippschalter montiert. Ich probierte ein wenig mit dem Licht herum, bis der Fitnessraum in angenehm schummrigen Licht lag.
Zufrieden ging ich zu einem der Laufbänder hinüber und bedauerte, dass ich bei der Dunkelheit draußen den imposanten Ausblick in den Garten und die dahinter liegende Landschaft nicht genießen konnte.
Ich legte mein Handtuch mit übertriebener Ordentlichkeit über den Handlauf des Laufbands und mir war bewusst, dass ich damit herauszögern wollte, tatsächlich auf das Sportgerät zu steigen.
Durfte ich überhaupt hier sein, so mitten in der Nacht? Würde ich jemanden aufwecken und dessen Zorn auf mich ziehen? Was sollte ich tun wenn einer der Männer einfach reinplatzen würde? Ich würde mit dem Rücken zur Tür laufen, eine Tatsache, die mich zunehmend beunruhigte und meinen anfänglichen Mut schmelzen ließ wie ein Eiswürfel in der prallen Sommersonne. Unwillkürlich streckte ich schon wieder meine Hand nach dem Handtuch aus um es mitzunehmen und zurück ins Zimmer zu flüchten, da fiel mein Blick auf ein, in ein Kabel gehülltes Objekt auf einem Sideboard an der Wand rechts.
Für einen Sekundenbruchteil durchzucke mich Hoffnung, dass es sich um ein Handy handeln könnte auch wenn mir innerlich gleich bewusst war, dass das Objekt dafür zu klein war. Ich trat dennoch näher heran und erkannte schließlich, dass es sich um einen iPod handelte.
Wie gerne würde ich jetzt einfach die Stöpsel ins Ohr stecken und meine Kilometer laufen.. wobei, wer sollte es denn schon merken wenn ich mir das Gerät für eine Stunde ausleihen würde? Ich würde es einfach genauso wieder zurücklegen, ich wäre einige Zeit abgelenkt und alles wäre wieder wie vorher.
Plötzlich kam ich mir albern vor, so mit mir selbst zu diskutieren ob ich dieses dämliche Teil ausleihen sollte oder nicht. Diese Männer hatten jegliche Gesetze gebrochen indem sie mich entführt hatten und nun gefangen hielten und ich stresste mich wegen so einer Lappalie!

Mutig und beinahe trotzig atmete ich geräuschvoll aus und nahm den iPod an mich und obwohl ich bemüht war, entspannt zu bleiben, schoss mein Puls unweigerlich in die Höhe und ein Teil in mir flehte, dass der Besitzer dieses Gerätes niemals erfahren würde, dass ich es ausgeliehen hatte.
Ein weiterer Teil hoffte, dass wenigstens halbwegs gute Musik auf diesem Teil zu finden sein würde. Mit zitternden Fingern schaltete ich das Kästchen an und begann die Titel und Alben zu überfliegen.
Nachdem ich ziemlich viele düstere Genres übersprungen hatte, die wohl definitiv nicht mein Geschmack waren, blieb ich zu meiner Überraschung an mindestens genauso zahlreichen klassischen Stücken und schlussendlich sogar einem Album „Für schwache Gemüter" hängen. Beim Stöbern in der Liederliste nickte ich zufrieden und startete die Playlist im automatischen Mix.
Mit den Steckern und „Under" von Alex Hepburn im Ohr, kletterte ich also auf das Laufband und begann mit zügigen Schritten, mich warm zu laufen. Dabei konnte ich trotz aller Umstände ein klitzekleines Lächeln auf meinen Lippen nicht unterdrücken.

Mark POV

Wie so oft lag ich wach und es bestand nicht auch nur die kleinste Chance, wieder einschlafen zu können. Ich kannte dieses Spiel zu gut und tatsächlich musste ich mir eingestehen, dass ich gehen die Schlafprobleme niemals gewinnen würde. Damit hatte ich mich längst abgefunden auch wenn verlieren sonst nicht zu mir passte.
Entschlossen schob ich die Bettdecke beiseite und verschwand in Richtung Badezimmer. Im Türrahmen zum angrenzenden Raum befand sich eine Klimmzugstange, an der ich meine gewöhnlichen Wiederholungen machte bis auch die letzte Faser in meinen Armen und meinem Rücken brannte, ehe ich mich anzog und mein Reich verließ, um mich in mein Arbeitszimmer zu begeben. Es ist wahrlich nichts Ungewöhnliches für mich, um drei Uhr nachts wach zu sein. Was jedoch ungewöhnlich war, waren die rhythmischen Geräusche, die an mein Ohr drangen, als ich den Flur hinabging. Verwundet blieb ich stehen und lauschte. Die Geräusche kamen definitiv aus dem Sportraum und der leichte Lichtschimmer unter der Tür bestätigte meine Vermutung.
Neugierig wechselte ich also meinen Kurs und steuerte mit festen Schritten auf den Raum zu. Das war nicht die Zeit von irgendeinem meiner Männer um Sport zu machen, dafür kannte ich sie alle zu gut.
Nur Stefan hatte manchmal so seltsame Anfälle, in denen er wie besessen auch zu den ungewöhnlichsten Zeiten wie ein Irrer trainierte. Das war seine Art, gewisse Dinge zu verarbeiten, denen wir unweigerlich in unserem Job begegneten. Es war lange her, seit wir uns nachts über den Weg gelaufen waren aber diese Phasen kamen bei ihm meist aus dem Nichts und waren ebenso schnell vorbei, wie sie auch gekommen waren. Deshalb war ich der festen Überzeugung, dass ich Stefan mit reichlich Gewichten auf den vorbereiten Stangen antreffen würde, der sich gerade warmlief. Als ich dann also nicht unbedingt lautlos die Tür aufstieß und den Raum betrat, staunte ich nicht schlecht wen ich stattdessen erblickte.
Samia.
Sie war es, die auf einem der Laufbänder lief, und das nicht gerade langsam.
Mit kräftigen und großen Schritten legte sie einen Meter nach dem anderen zurück und legte dabei dennoch eine Eleganz an den Tag, die mich anerkennend den Kopf schief legen ließ. Das machte sie definitiv nicht zum ersten Mal aber das hatten wir uns ja bereits bei ihrem Fluchtversuche mit Vollsprint quer übers Anwesen gedacht.
Was mich erstaunte, war, dass sie keinerlei Reaktion auf mein Hereinkommen gezeigt hatte und das obwohl sie doch sonst bei jedem Ton gleich einen halben Meter zur Seite schoss.
Diese Tatsache ließ meinen Blick auf ihre Ohren fallen und ich erkannte weiße Stöpsel und die dünnen Kabel sofort.

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