17. Regeln

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Ich durfte wirklich wieder nach draußen und das so kurz nachdem ich versucht hatte zu fliehen. Ich konnte es kaum fassen und dennoch fragte ich mich immer wieder warum ich so viele Freiheiten hatte statt in einem schäbigen Kellerloch angekettet zu sein.
Das musste doch einen tieferen Sinn haben, der vermutlich nicht zu meinen Gunsten war.
Ich versuchte die Gedanken zunächst wegzuschieben und erkundete den großzügigen Garten interessiert, wobei die Bezeichnung „Garten" wohl die Untertreibung des Jahres war. Ich entdeckte links vom Haus ein Gewächshaus und einen Zwiebelturm-Pavillon, unter dem gemütliche Sitzgarnituren angerichtet waren. Dennoch zog es mich zum Wasser weshalb ich mich am Ende des kleinen Stegs niederließ und meine so oder so nackten Füße ins klare aber noch kühle Wasser hängen ließ. Im Sommer konnte man sicherlich in dem See schwimmen, ich hoffte jedoch inständig, dass ich bis dahin nicht mehr hier war sondern längst zurück in meinem Studentenzimmer den Uni-Stoff büffelte. Ehe ich wieder in den bedrückenden Gedanken versinken konnte, vernahm ich das Knarzen der Holzplanken des Stegs unter schweren Schritten. Erschrocken wirbelte ich herum und zog dabei ein Bein aus dem Wasser und zog es an die Brust, jederzeit bereit aufzuspringen. Flucht war abgesehen vom Sprung ins kalte Wasser auf dem schmalen Steg eher schwierig. Ich blinzelte angestrengt gegen die Sonne und es dauerte einen Moment bis ich den breiten Umriss des Mannes als den von Stefan ausmachen konnte. Mein Herzschlag beschleunigte sich augenblicklich und ich hatte Mühe meine Atmung unter Kontrolle zu halten. „Der Typ will dich am liebsten tot sehen also verscherz es dir nicht mit ihm sonst ertränkt er dich wahrscheinlich hier und jetzt!" mahnte ich mich selbst zur Vorsicht. Durfte ich hier überhaupt sitzen? Gab es vielleicht Bereiche wo ich nicht hindurfte? Panik kroch in mir hoch und ich schreckte zusammen als Stefan mir dunkel entgegenlachte.
„Entspann dich wieder, du schaust mich ja an als hätte ich gerade angekündigt, dich irgendwelchen wilden Tieren zum Fraß vorzuwerfen."
Schuldbewusst senkte ich den Kopf. „Entschuldige." nuschelte ich schnell.
Zu meinem Erstaunen setzte Stefan sich neben mich, und legte seine Ellbogen auf seine Knie der angewinkelt aufgestellten Beine. Für meinen Geschmack war er mir dadurch mehr als viel zu nah aber wenn ich nicht seitwärts ins Wasser kippen wollte, musste ich in meiner Position verharren. Kurz fiel mein Blick auf seine muskulösen Arme, jedoch schaute ich schnell wieder weg.
Der Mann war mir so nah, dass ich sein herbes Parfum wahrnehmen konnte und ich atmete unwillkürlich flacher.
Stefan musterte mich von der Seite und sein Blick brannte förmlich auf meiner Haut.
„Atmen nicht vergessen. Ich habe keine Lust, dich hier gleich aus dem Wasser zu fischen weil du eine Panikattacke bekommen hast. Ich meine ich tue dir doch gerade gar nichts. Ich sitze einfach hier. Nichts was dich dermaßen beunruhigen sollte. Also tu mir bitte den Gefallen und komm runter." tadelte er und ich versuchte ihm zu gehorchen.

„Na geht doch, hören kannst du ja immerhin schonmal, das ist eine gute Voraussetzung für wenig Stress. Aber den meisten Stress machst du dir selber, das ist dir hoffentlich bewusst oder?"
Erstaunt blickte ich den jungen Mann an. „Ich mir Stress machen? Na wer hat mich denn bitte entführt?!" Schoss es mir durch den Kopf und ein angespanntes ausatmen entwich mir.
„Na komm, sprich dich aus. Rede mit uns. Wenn du's nicht freiwillig machst finden wir eh Wege dich dazu zu bringen." während er sprach, stütze er seine rechte Hand nur wenige Zentimeter neben meinem Oberschenkel ab und drehte sich somit mit seinem ganzen Oberkörper zu mir. Hektisch blickte ich zwischen dem Arm und seinem Gesicht hin und her. Stefan sah jedoch nicht unbedingt wütend oder streng aus, ja beinahe interessiert.
„Ihr habt mich entführt, ihr habt jemanden umgebracht, ist es nicht normal, dass mich da jeder Kontakt zu euch stresst?" fasste ich meine Gedanken mutig in eine eher rhetorische Frage.
„Dass du uns nicht vor Freude in die Arme springst, erwarten wir gar nicht aber es hat dir niemand bisher ein Haar gekrümmt, also musst du auch nicht immer gleich in schwere Panik verfallen wenn sich jemand auf drei Meter nähert oder dich ansieht." stellte der Mann belustigt fest.
„Gerade das verunsichert mich irgendwie." gestand ich kleinlaut.
„Was? Dass wir dir nichts tun?"
Scheu blickte ich ihn an und nickte dann.
Ich war mal wieder erstaunt über meine eigene Ehrlichkeit aber irgendetwas machten diese Männer mit mir, das es mir nicht ermöglichte ihnen eine Antwort zu verweigern.
„Wenn es dir lieber ist könnten wir das sofort ändern." zuckte Stefan mit den Schultern.
„Nein!" keuchte ich erschrocken auf und starrte den Mann mit aufgerissenen Augen entsetzt an. „Bitte nicht!" fügte ich dann noch hinzu.
„Wo ist dann das Problem?" hakte er nach.
„Es verwirrt mich alles so sehr. Erst betäubt und entführt ihr mich.." bei dem Gedanken daran musste ich trocken schlucken und ein leichtes Zittern legte sich in meine Muskeln. „Naja und jetzt darf ich mich im Haus und sogar in eurem Garten frei bewegen, ich darf essen und trinken. Ich bin nicht gefesselt, nicht irgendwo in einem Raum eingesperrt. Ich.. ich weiß aber nie ob etwas richtig oder falsch ist das ich tue, was ich darf und was nicht. Ob ich Strafen für irgendetwas bekommen werde.. diese Ungewissheit macht mich total nervös.. ich habe Angst euch wütend zu machen..." meine Stimme brach an dem Kloß in meinem Hals, der mit jedem Wort gewachsen war. Es fühlte sich falsch und dennoch irgendwie gut zugleich an diese Gedanken auszusprechen.
„Wenn du etwas falsch machst werden wir dich schon entsprechend darauf hinweisen aber niemand hier wird dir für einen Fehler gleich den Kopf abreißen solange du dafür sorgst, dass du dich danach anständig verhältst und es nicht nochmal vorkommt.  Hättest du gerne Regeln an denen du dich orientieren kannst?" fragte der Mann ehrlich.
Überrascht sah ich auf. Wollte ich das? Strenge Regeln? Die bei Verstoß vielleicht zu Konsequenzen führten?
„Uhm.. Ich weiß nicht.. irgendwie ja aber auch gleichzeitig nein.. ich weiß nicht...vielleicht.." stammelte ich völlig ungeordnet.
Stefan hob eine Augenbraue und lachte dann ein ehrliches, nicht bösartiges Lachen.
„Du kannst es dir ja noch in Ruhe überlegen. Zeit ist ja genug." Betroffen über seine letzten Worte senkte ich den Kopf bis mir eine Idee kam.
„Ich würde gerne das Haus kennen lernen. Also damit ich weiß wo ich hindarf und wo nicht. Ich glaube das könnte mir helfen." gab ich ehrlich zu denn in der Villa gab es unzählige Zimmer und Flure und ich war mir nie sicher wo ich mich bewegen durfte.
„Das klingt doch nach einem Anfang. Das können wir nachher direkt erledigen aber erstmal ist essen angesagt." mit den Worten stand der Mann neben mir energisch auf. Da ich mich unendlich klein fühlte während ich noch saß und er schon stand, beeilte ich mich ebenfalls aufzustehen.
Durch die ruckartige Bewegung nach dem langen sitzen packte mich ein leichter Schwindel, nichts ungewöhnliches aber für einen klitzekleinen Moment musste ich mich sortieren. Ehe meine Sicht sich wieder geklärt hatte, spürte ich jedoch schon Stefans festen Griff an meinem Oberarm. Erschrocken keuchte ich auf und legte reflexartig meine Hand auf seinen Unterarm und schaute ihn perplex an. „Er hatte doch gerade noch mit dem Rücken zu mir gestanden, wie konnte er diesen minimalen Aussetzer bemerken?" fragte ich mich mal wieder und solangsam wurden die Männer mir mit ihrem Aufmerksamkeitswahn unheimlich.
„Ich hab das wohl gemerkt, uns entgeht so schnell nichts, gewöhn dich dran." erwiderte der Mann auf meinen vermutlich verwirrten Blick.
Zaghaft versuchte ich seinen Arm wegzudrücken, da ich mittlerweile wieder absolut schwindelfrei war und mir die Berührung mehr als nur unangenehm war. Schon so ein unbedeutender Körperkontakt brachte mich völlig aus dem Konzept.
Jedoch zeigte mein Versuch keinerlei Erfolg, bis auf dass sich ein überlegenes Lächeln auf Stefans Gesicht legte.
„Mir geht es gut, es ist alles in Ordnung.. versprochen." schob ich hinterher.
„Du isst und trinkst zu wenig und bei deinem Fliegengewicht kann das schnell in die Hose gehen also steht deine erste Regel schonmal fest: immer schön ordentlich essen und trinken." Bestimmte der Mann streng.
„Okay, ich werde drauf achten." willigte ich ein um ihn zufrieden zu stellen.
„Eine andere Antwort hätte ich auch nicht gelten lassen aber jetzt lass uns reingehen." lachte der junge Mann ehrlich.
Mir jagten jedoch Schauer den Rücken auf und runter. Ich wollte nicht zurück in das Haus, zu den ganzen Männern aber mir war bewusst, dass ich keine andere Wahl hatte. Also ging ich mit steifen Gliedern hinter Stefan her.
„Hoffentlich bin ich bald wieder im Garten." ging es mir durch den Kopf während wir das monströse Gebäude erreichten.

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Hello hello ihr alle,
was sagt ihr zum neuen Kapitel und vor allem auch zu Stefan?🤭
Lasst gerne einen Kommentar da, ich freue mich drüber und auch über Kritik und Anregungen.
Schönes Wochenende allerseits (:

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