36. Schuldig

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Hey hooo!

Auf geht es in eine neue Runde, nochmal aus Marks Sicht. Lernen wir den Guten doch gemeinsam etwas besser kennen, wer hat Lust?

Habt ein tolles und offensichtlich nochmal sonniges Wochenende 🥰

PS: ich hoffe der Regen der letzten Tage hat bei euch keinen Schaden angerichtet. Bei uns in der Ecke war es ziemlich viel Wasser aber keine absolute Katastrophe.

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Endlich hatte die junge Frau mein Zimmer verlassen. Ich mochte es nicht, Gäste hier zu haben. Wenn ich Damenbesuch empfing, tat ich dies in gesonderten Schlafzimmern und das war auch gut so.
Ich führte ein Leben in dem ich nur äußerst selten Zeit für mich hatte und deshalb war mir die Privatsphäre in meinen eigenen Räumen enorm wichtig.

Angespannt atmete ich aus und versuchte Samias Frage an mich zu verdrängen.
Warum ließ ich sie nicht gehen? Tja, Mark, das ist wohl eine gute Frage. Warum eigentlich nicht?  Die Kleine hatte definitiv zu viel Schiss, um irgendwem gegenüber auch nur eine einzige Andeutung über das zu machen, was vorgefallen war. Da sprach die junge Frau zu 100% die Wahrheit aber es ging dennoch nicht.
Zum einen musste ich jedes noch so kleine Risiko eliminieren, welches den Deal gefährden könnte und zum anderen schwebte noch ein anderer, nicht minderbedeutsamer Grund unklar im  Raum, zu flüchtig um ihn konkret zu benennen. Selbst wenn ich es versuchte gelang es mir nicht. Allerdings klärte sich in dem Nebel meiner Gedanken zumindest die Tatsache heraus, dass ich sie nicht gehenlassen wollte. Nur warum war mir nicht klar.

Vielleicht war es die Neugierde herauszufinden was an dieser Frau mich dazu veranlasste, eine völlig neue Seite zu zeigen. Eine Seite von mir, die mir absolut missfiel. Nie zuvor hatte es mich im Leben jemals interessiert wie andere fühlen, wie es ihnen geht. Solche Emotionen waren Neuland für mich und ich hoffte, dass sie nicht zur Gewohnheit werden würden. Sie ließen mich unkonzentriert und fahrig werden und das konnte mir und meinen Kollegen schnell gefährlich werden.

Aber ihre unschuldigen Augen, ihr unsicheres Auftreten und die unwahrscheinlich einfache Art und Weise wie sie sich von uns manipulieren ließ, alles sprach dagegen sie gehen zu lassen. Und ich musste mir eingestehen, dass ich durch ihre zerbrechlichen Eigenschaften wirklich nichts Negatives für uns befürchtete, sondern mir tatsächlich Sorgen machte, dass ihr in der gefährlichen Welt in der wir nunmal lebten, etwas zustoßen könnte.
„Du bist ja witzig!" tadelte ich mich selber in Gedanken. Was soll ihr auch noch bedeutend schlimmeres passieren als von einem Haufen der gefährlichsten Männern des Landes entführt und gefangen gehalten zu werden?
„Naja, jemand könnte sie ernsthaft verletzen oder.." ich unterbrach kopfschüttelnd meine perfiden Gedankengänge denn diese ganze sentimentale Kacke ging mir auf den Sack!

Deshalb rief ich mich zur Ordnung, nahm frische Sachen aus meinem Kleiderschrank zusammen und wollte sie im Bad auf die Kommode pfeffern, doch da lag fein säuberlich zusammengelegt das Shirt, welches ich Samia nach ihrer Schwimmeinheit im viel zu kalten See aufgezwungen hatte.

Unwillkürlich zog sich mein Mundwinkel nach oben. Penibel ordentlich, das passte zu unserem Mauerblümchen.
Ich ergriff das Shirt und wollte es in meinen Wäschesammler geben als ich zögerte. Obwohl die Kleine mein TShirt nur kurze Zeit getragen hatte, hatte es einen Hauch von ihrem zarten Duft angenommen. Frisch und natürlich wie ein Spaziergang im Frühling wenn die ersten Sonnenstrahlen die Blüten unzähliger Pflanzen begrüßen.
Wie vom Blitz getroffen tauchte vor meinem inneren Auge ein Bildsequenzen auf. 

~
Ich laufe mit einem Spielflugzeug in der Hand über eine Wiese und lasse es auf und ab gleiten, immer wieder. Meine nackten Füße streifen durch das taunasse Gras und ein frischer Wind umwirbelt mich, die langen Halme peitschen gehen meine Schienbeine, doch das ist mir egal. Für mich als zehnjährigen Jungen gab es nur mich und mein Lieblingsspielzeug.
Auch die erfolglos unterdrückten aber gedämpften Schmerzensschreie meiner Mutter aus dem Haus habe ich mal wieder ausgeblendet ebenso wie die grollende Stimme meines Vaters, die wie ein Wirbelsturm tobt und sogar aus dem kleinen Wäldchen am Ende des Gartens widerhallt. Nur ich und mein Flugzeug, welches so frei ist wenn es durch die Luft saust. So frei wäre ich auch gerne. Und könnte ich doch nur meine Mutter mitnehmen...
~

Erschrocken atmete ich aus und merke erst jetzt, dass ich die Luft angehalten hatte. „Was zur Hölle war das denn?" fluche ich innerlich und schleuderte das Kleidungsstück in meiner Hand in den Sammler.
Diese Erinnerung an mein zehnjähriges Ich kam unerwartet und traf mich mit voller Wucht. Ich hatte lange nicht mehr an die unschönen Momente meiner Kindheit gedacht und es war mir ein Rätsel warum ich ausgerechnet jetzt daran denken musste.
Ich schüttelte den Kopf, beinahe so als könne ich meine Vergangenheit dadurch einfach abschütteln könnte.

„Reiß dich zusammen verdammte scheiße!" fluchte ich laut und drehte das Wasser an.
Hätte ich nicht gewusst, dass Samia zuvor hier geduscht hätte, wäre es mir nicht aufgefallen denn die Frau hatte alles fein säuberlich hinterlassen. Wie konnte es auch anders sein. Diese junge Frau versuchte verständlicherweise so wenig wie möglich anzuecken, sich unsichtbar zu machen und wenn es ihr möglich wäre würde sie sich vermutlich binnen einer Millisekunde in Luft auflösen um uns zu entfliehen.

Ich duschte mich ab und das kalte Wasser war erfrischend auf meiner erhitzten Haut und meine Gedanken lichteten sich endlich. Noch einen kurzen Moment länger genoss ich die erfrischende Nässe und duschte den Schweiß ab. Was jedoch blieb war der Dreck meiner Geschäfte der unweigerlich an mir klebte und mich zu dem schlechten Menschen machte der ich war. Allerdings bedrückte mich dieser Gedanke schon lange nicht mehr denn Gewalt, Illegales und Unterdrückung bildeten nunmal meinen Alltag und das war okay so.

Ich stützte mich einen Moment am Waschtisch ab und blickte meinem eigenen Spiegelbild entgegen. Man konnte es wahrlich niemandem verübeln, der Angst vor mir hatte. Knapp an die zwei Meter groß, breites Kreuz, Muskeln satt und reichlich und eine raue Haut, übersäht mit Narben. Ich sah nicht gerade aus wie der nette Nachbar von nebenan, den man gerne fragte ob er einem die Heckenschere ausleihen könne und ihn dann zum Kaffee einladen würde. Dennoch sah ich in meinen harten Zügen noch immer auch den kleinen Jungen, der nicht fähig gewesen war seine Familie vor den Gewaltausbrüchen des Vaters zu schützen.
Letztlich war ich an allem schuld. Ich hätte es verhindern können...

Wütend schnaubend stieß ich mich aus der Position ab und beendete  meine kurze Routine im Bad und wandte mich dann ab um bis zum Essen noch meiner Arbeit nachzugehen.

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