64. Gewissheit

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Hallöchen zusammen,

eure Geduld wurde arg auf die Probe gestellt. Ich weiß, dass es eine lange Pause zum vorherigen Kapitel gab und es tut mir wirklich leid!

Wir machen gerade familiäre wirklich eine schwere und emotionale Zeit durch und zum einen komme ich deshalb zeitlich zu nichts und zum anderen bin ich leider ganz selten in Schreiblaune und komme deshalb nur wirklich schleppend voran.

Ich denke aber wirklich täglich an die Geschichte von Samia und Mark und natürlich an euch alle ❤️

Es wird also weitergehen, wenn auch langsamer als zuvor.

Ich danke euch für eure Geduld und für jeden Kommentar und jedes Vote!

Liebe Grüße und euch und euren Familien alles Gute 🍀

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Stafan POV

Fassungslos nahm ich das Bild hervor und starrte minutenlang das kleine Mädchen auf dem Bild an, welches freudestrahlend einen selbstgepflückten bunten Blumenstrauß in die Kamera hielt.
Das war Samia! Was zur Hölle?!
Warum entführte Mark eine junge Frau, von der er ein Bild in seinem Büro stehen hatte?

Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich konnte mich selber scharf einatmen hören.
Wir hatten alle nie wirklich über unsere Vergangenheiten gesprochen und das war auch okay so aber nun konnte ich mich dran erinnern, dass unser Anführer einmal über eine kleine Schwester gesprochen hatte. Ich hatte das Bild damals auf seinem Schreibtisch gesehen und Mark hatt nur geäußert, dass sich seine und ihre Wege ziemlich früh getrennt hatten, nachdem es familiär völlig eskaliert war.
Das musste sie sein. Mark hatte seine eigene Schwester entführt! Heilige Scheiße!
Offensichtlich hatte er sie selber nicht gleich erkannt beziehungsweise zuordnen können, sonst hätte er die Frau niemals mitgenommen.
Im Wald hatte er ja schon gesagt, dass sie ihm bekannt vorkam aber die Erkenntnis, woher er sie kannte, war ihm erst irgendwann später gekommen. Man konnte es ihm nicht verübeln, es musste schließlich beinahe 20 Jahre her sein, dass die zwei sich zuletzt gesehen hatten.
Das erklärte einfach alles! Sein Beschützerinstinkt war von null auf hundert in die Höhe geschossen und deshalb hatte er sie so in Watte gepackt und hatte uns von ihr fernhalten wollen und war so übersensibel.

Fuck.
Er wird definitiv rumstressen weil ich ihr wehgetan hatte obwohl er sie mir anvertraut hatte und ich konnte es ihm nicht verübeln. Ich    wäre ebenso verärgert.

Ich hatte diese Neuigkeiten noch nicht richtig verarbeitet, da verstaute ich das Bild schon wieder in dem Regal und schob die Ordner ebenfalls zurück an ihre schützende Stelle.

Die anderen würden bald zurück sein, sodass ich mich beeilte, Marks Büro zu verlassen und noch einmal nach unserem Gast zu sehen.

Gast. Auch wenn sie nicht freiwillig hier war, würde sie nun definitiv mit größter Sorgfalt behandelt werden - so wie unser Boss es schließlich auch schon angeordnet hatte.

Warum hatte ich nicht eher geschaltet? Mark hatte ja sogar noch zu mir gesagt ich sollte sie behandeln als würde sie zur Familie gehören aber das hatte ich für eine übliche Redewendung gehalten.
Verärgert darüber, dass Mark nicht mit offenen Karten gespielt hatte und auch über mich selbst, ging ich mit schnellen Schritten zurück ins Wohnzimmer und meine Gedanken fuhren dabei Karussell.

Samia schien nichts davon zu wissen, dass es ihr eigener großer Bruder war, dem sie den Schlamassel hier zu verdanken hatte. Anderseits hatte nur er dafür gesorgt, dass sie die Zeit hier bisher so verhältnismäßig unbeschadet überstanden hatte.
Konnte sie sich überhaupt an Mark erinnern? Sie muss noch sehr jung gewesen sein, als sie von Mark getrennt worden war.

Zudem wollte ich mir nicht vorstellen, was Mark gerade durchmachte. Zum einen würde er sich sicherlich erledige Vorwürfe machen, dass er sie nicht sofort erkannt und nach Hause gebracht hatte und zugleich musste er seine professionelle Haltung uns und unseren Geschäftspartnern gegenüber wahren.

Was noch viel belastender sein würde, wären ganz bestimmt die Vorwürfe, dass er seine Schwester nicht in der Vergangenheit vor allem Übel hatte beschützen können, dass sie offensichtlich in den Pflegefamilien erfahren hatte.
Immer wieder überlegte ich fiebrig, ob Mark in den letzten Jahren wohl mal nach seiner Schwester gesucht hatte und irgendwas in mir verriet, dass er es getan hatte. Hätte er etwas über sie herausgefunden, hätte er sie im Wald sofort erkennen müssen also tippte ich eher darauf, dass er sie nicht gefunden hatte.

Noch immer tobten meine Gedanken stumm und zugleich ohrenbetäubend durcheinander, als ich ins Wohnzimmer einbog.
Die Kleine saß wieder mit angewinkelten Beinen im Erker am Fenster, ihren Kopf erschöpft auf den Knien abgelegt und ihre braunen Haare glänzten in der Sonne.
Kaum jedoch vernahm sie meine Schritte, schreckte sie leicht hoch, ihr Blick traf meinen und ihr zierlicher Körper spannte sich merklich an.
Zügig aber ruhig drehte sie sich zu mir und ließ die Beine über die Kante des Fensterbrettes hängen und ihre volle Aufmerksamkeit galt mir.
Als ich nichts sagte und sie einfach nur anstarren konnte, räusperte sich Samia krächzend und ihre Wangen begannen unter meinem Blick zu glühen.
„Danke für die Birnenschorle." Durchbrach sie die unangenehme Stille.
Selbst so ein einfacher Satz kostete sie mächtig Überwindung und das nagende Gefühl des schlechten Gewissens über meinen groben Umgang mit ihr breitete sich unaufhaltsam in mir aus.
Ich hatte sie unbegründet so verängstigt und ihr Schmerzen zugefügt und trotzdem bedankte die Frau sich nun bei mir?
Ich konnte in dem Moment nichtmal heraushören, ob sie auf das Beruhigungsmittel anspielte oder ob sie sich tatsächlich nur für den Saft bedankte.
Egal ob sie sich der Wirkung der Medikamente bewusst war oder nicht, sie schien deutlich entspannter als bei unserem Gespräch zuvor.

Wieder und wieder erkundete ich mit meinen Augen jeden Quadratzentimeter ihres Gesichts und auf einmal konnte ich Mark in jeder Pore erkennen. Die brauen Augen mit den dichten Wimpern, die wohlgeformten Lippen, einfach alles schrie mir entgegen, dass in ihren Adern das selbe Blut floss wie in denen unseres Anführers, unseres besten Freundes.

Ehe ich hätte zwischen diesen erdrückenden Erkenntnissen hätte antworten können, sprach die junge Frau schon weiter, welche sich unter meinem Blick wand.

„Ich war mir nicht sicher, ob ich das Zimmer verlassen durfte.. Also ob ich mich nach wie vor auf dem Gelände bewegen darf." die Stimme klein und brüchig, die brauen Haare ins gesenkte Gesicht gerutscht, musste ich mich ernsthaft zusammenreißen, sie nicht tröstend in den Arm zu nehmen.

Dieses verängstigte Häufchen Elend vor mir war alles, was meines Wissens nach noch von Marks leiblicher Familie übrig war und die Frau würde uns auf ewig verabscheuen. Egal ob sie die Wahrheit jemals erfahren würde.

Nun war ich es, der sich räusperte.
„Du darfst dich nach wie vor hier frei bewegen." Vor den nächsten Worten sammelte ich mich kurz.
„Bevor du gehst, möchte ich mich bei dir entschuldigen. Dass ich eben so grob zu dir war, war unberechtigt. Es tut mir leid, dass ich dir wehgetan habe." Ich konnte es nicht fassen, dass ich diese Worte tatsächlich gerade ausgesprochen hatte und doch war mein Ton unbeabsichtigt hart gewesen.

Trotzdem schoss Samias völlig verwirrter Blick zu mir und es war nicht zu übersehen, dass sie meinen Worten keinen Glauben schenkte.
Auch wenn die junge Frau häufig völlig naiv dachte und handelte, war sie zurecht uns gegenüber scheu wie ein Reh und vermutete hinter jeder noch so kleinen Bewegung und jedem leisesten Geräusch eine Gefahr.

In diesem Moment war mir bewusst, dass Mark ihr nie auch nur ein Sterbenswörtchen über ihre Verwandtschaft erzählen würde, denn die Kleine würde ihm so oder so niemals vertrauen können und das würde ihm mächtig wehtun, zu sehen, wie seine eigene Schwester ihn hasste.

Samia hatte als Antwort auf meine Entschuldigung nur kurz genickt und es sah kurz aus als wollte sie etwas sagen aber sie tat es nicht.

Um die Frau nicht länger zu bedrängen, gab ich den Weg für sie frei und als sie sich gerade auf den Weg vermutlich nach draußen machen wollte, konnte ich hören, wie die Haustür geöffnet wurde und augenblicklich erfüllten die Stimmen meiner Kollegen das Haus.

Ein kurzer Blick auf die junge Frau zeigten mir, wie die Panik in ihr wuchs.
Wenn sie nur wüsste...

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