5. Verkehrte Welt (Marks POV)

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Mark's Sicht

Zufrieden atmete ich aus. Bisher lief heute alles wie am Schnürchen. So war es mir immer am liebsten, Komplikationen waren einfach nur lästig. Wir hatten alle Informationen aus dem Dreckskerl rausbekommen, der nun auf dem Waldboden kniete. Jetzt müsste er nur noch das bekommen was er auch verdient hatte und er hatte den Tod mehr als verdient. Dadurch würden wir wohl auch unzählige andere Menschen von Leid befreien oder es ihnen ersparen. Ich nickte Stefan zu und dieser hatte somit das „okay" um das Arschloch endlich umzulegen. Doch bevor mein Kollege abdrücken konnte vernahm ich plötzlich ein zaghaftes „Entschuldigung?" hinter mir. Ich drehte mich also angespannt um und leuchtete mit meiner Taschenlampe in die Richtung aus der die Stimme gekommen war, die andere Hand hatte ich an der Waffe, die in meinem Hosenbund steckte. „Eine Frau? Alleine um diese Uhrzeit hier im Wald? Da stimmt was nicht." ging es mir misstrauisch durch den Kopf. An meiner Männer gerichtet, die allesamt in Alarmbereitschaft und bereit für einen Angriff waren, sage ich nur „Ich kümmer mich drum."
Den Strahl meiner Taschenlampe halte ich weiter auf die Person gerichtet während ich auf die Frau zugehe, durch die Blendung nehme ich ihr den Blick auf die Szene hinter mir, falls sie nicht schon alles gesehen hat. Bei ihr angekommen stellte ich mich so vor sie, dass sie sich von den Männern wegdreht um mich anzusehen. Ich staune nicht schlecht. Vor mir steht eine zierliche junge Frau, ich schätze sie auf Anfang 20. Sie sieht vollkommen aufgelöst aus und zittert am ganzen Körper. „Kein Wunder wenn man gerade ein Haufen Männer im Wald dabei ertappt wie sie einen Menschen umlegen wollen." schießt es mir durch den Kopf. Ich zwinge mich zur Ruhe aber Ärger kocht in mir hoch, dass unsere Aktion jetzt aus den Fugen gerät. Trotzdem nehme ich die Lampe runter und ich sehe wie sie mich blinzelnd mustert. „Was machst du hier?" fahre ich die Frau an, was sie deutlich zusammenzucken lässt. Sie tritt unsicher von einem Fuß auf den anderen und ich meine zu erkennen, dass sich ihr Zittern verstärkt hat. Ich werde ungeduldig, die Frage ist ja schließlich nicht gerade schwer. „Also, ich höre?" hake ich deshalb harsch nach. Das Mädchen senkt unsicher ihren Kopf, spielt nervös mit ihren Fingern und scheint nach passenden Worten zu suchen. „Wer findet schon passende Wörter wenn man einer Gruppe Mörder gegenüber steht?" verselbstständigen sich meine Gedanken wieder, jedoch frage ich mich gleichzeitig, warum die Kleine sich dann nicht einfach wieder aus dem Staub gemacht hat, wenn sie doch alles gesehen hat. Welcher Mensch spricht die Täter in so einer Situation dann an? Die eher einem verschreckten Reh gleichende Frau vor mir sieht nicht nach einer adrenalinsüchtigen Schlägerfrau aus. Ich brauche Antworten, jetzt. Mein genervtes ausatmen lässt sie hochschrecken und dann sprudeln die Worte nur so aus ihr heraus, dass ich selber überrascht bin. Was mich jedoch noch mehr überrascht ist der Inhalt ihres Gebrabbels und beinahe hätte ich laut losgelacht. Verlaufen? Handy kaputt? Wow, die Kleine war wirkliche aufgeschmissen und geriet dann ausgerechnet an uns. Ich musste gar nicht groß nachdenken ob ich ihr Glauben schenken sollte. Vom ihrem ersten Satz an konnte ich sie lesen wie ein offenes Buch, so leicht war sie zu durchschauen. Nachdem sie zuende gesprochen hatte war ich entspannter und überzeugte sie davon, meine Jacke anzuziehen. Das hatte sie dringend nötig. Ihre Haut war eiskalt, wie ich feststellen musste als ich ihr die Jacke reichte. Ich würde sie erstmal aus dem Wald herausbringen und bis dahin hätte ich rausgefunden ob sie irgendwas gesehen hat was sie nicht hätte sehen sollen. Als Stefan mir die geforderte Wasserflasche brachte, wies ich ihn an, mit dem Schuss zu warten, bis ich ihn anrufen würde. Er schaue skeptisch zwischen mir und Samia hin und her doch wer wusste, dass ich keinen Widerspruch dulden würde.
Samia, was für ein schöner Name, stellte ich stumm fest als die junge Frau mir ihren Namen verriet. Wenig später lief sie völlig erschöpft und unsicher sie mit mir in Richtung meines Autos, wovon sie jedoch noch nicht in geringsten eine Ahnung hatte. Ich merkte deutlich, wie ihr in meiner Anwesenheit unwohl war und ich war mir sicher, dass diese Tatsache rein gar nichts mit der Situation im Wald zutun hatte in der sie uns unwissentlich überrascht hatte. Normalerweise hatte ich eher eine anziehende Wirkung auf Frauen, was manchmal praktisch oft aber auch lästig war. Bei Samia hingegen war von einer solchen Wirkung nichts zu merken, eher im Gegenteil.
„Was nehmt ihr eigentlich für Proben hier im Wald? Also von welcher Uni seid ihr?" als die Kleine mich das mit einem scheuen Seitenblick zu mir fragte, brachte sie mich tatsächlich aus dem Konzept. Uni? Proben? Wir? Mein Kopf ratterte ob das eine Anspielung auf den beinahe ausgeführten Mord sein sollte. Als Samia jedoch anmerkte, dass sie ohne Brille schlecht sähe, hätte ich beinahe laut losgelacht. Wir hatten uns tatsächlich Sorgen wegen einem kleinen Mädchen gemacht, dass uns, verloren wie sie im Wald war, wohl als ihre Retter ansah weil sie offensichtlich blind wie ein Maulwurf war. Sie hatte die Szene, die sich ihr geboten hatte, komplett falsch interpretiert. Mein Gott war die Kleine eine gute Seele.
Als wir beim Parkplatz ankamen war ich mir endgültig und zu hundert Prozent sicher, dass Samia keinen blassen Schimmer hatte, in was sie da wirklich reingeplatzt war. Ein großer Teil meiner Anspannung fiel von mir ab. Ich würde die Frau in mein Auto bringen und sie nach Hause fahren. Dort sollte sie dann endlich eine warme Dusche nehmen und sich ordentlich ausschlafen, das hatte sie wirklich nötig. Und das war's, danach würden wir nie wieder voneinander hören. Mein Lächeln, das sich aus Freude über den reibungslosen Ablauf auf mein Gesicht geschlichen hatte, erstarb noch eher der Schuss verhallt war. „Fuck! Diese verdammten Idioten!" Fluchte ich innerlich
Samia sah nun gänzlich verschreckt aus, als befürchte sie, dass gleich irgendein Ungeheuer aus dem Unterholz brechen würde. Es fiel ihr sichtlich schwer, den Blick von dem dunklen Wald vor ihr abzuwenden und trotzdem glaubte ich, dass sie noch immer keinen Schimmer hatte, was das für ein Schuss war. Die Geschichte mit dem Jäger, die ich ihr auftischte, schien sie mir sofort abzukaufen.  Glauben reichte mir jedoch nicht, das war gerade in der jetzigen Situation zu riskant. Ich musste wissen, dass sie nichts ahnte, doch das hatten meine Kollegen gerade ordentlich  versaut. „Verdammt was mache ich nur mit ihr?" die Frage ging mir immer und immer wieder durch den Kopf. Am liebsten hätte ich den, der geschossen und mich damit in diese Zwickmühle gebracht hatte, gleich neben dem Dreckskerl, wegen dem wir hier waren, begraben. Nun musste ich mich allerdings zunächst auf die Kleine und meine Entscheidung zum weiteren Vorgehen mit ihr konzentrieren. Als sie erkannte, dass wir nicht zu dem grässlichen Twingo gingen, sondern zu einem richtigen Auto, befürchtete ich schon, dass ich Samia ins Auto zerren müsste. Es widerstrebte ihr aber sie stieg ein. Ich konnte ihr ansehen, dass sie einfach nur ins warme und vor allem zu ihr nach Hause wollte. Was sollte ich nur tun? Sollte ich die ganze Aktion gefährden, die sich gerade in der heißesten Phase befand weil die Frau doch etwas ahnte oder im Nachhinein eins und eins zusammenzählte oder sollte ich sie einfach nach Hause bringen und uns eine Menge Arbeit mit ihr ersparen? Ich überlegte fieberhaft hin und her bis mich ein leises seufzen von Samia aus meinen Gedanken riss. Sie genoss die Wärme, die ihr seit Stunden gefehlt hatte und ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen während die Augen kurz geschlossen waren. Sie freute sich auf ihr Bett, das konnte ich ihr ansehen. Sie machte es mir verdammt schwer. Ich wusste nicht, wann eine Frau eine solche Wirkung auf mich gehabt hatte, sie löste das Bedürfnis in mir aus, auf sie aufzupassen und sie zu beschützen. Das hatte nur eine Frau zuvor geschafft. Warum war sie nur ausgerechnet in dieser Nacht im Wald verloren gegangen? Sie hatte sowas nicht verdient aber mein Entschluss stand fest. Wir mussten sie mitnehmen und ich hoffte inständig, dass sie unseren Eingriff in ihr Leben verkraften würde.

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