12. Auf mich allein gestellt

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Hello hello zusammen, ich habe es mal wieder geschafft ein Kapitel zu verfassen. Ich bin momentan mitten im Abschlusslehrgang und der Stress ist auf einer Skala von 0-10 definitiv nicht mehr messbar. Was tut man zum abschalten? Schreiben natürlich also ganz viel Spaß beim lesen (:
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Mein Kopf brummte und ich hatte das Gefühl, mich nicht voll konzentrieren zu können. Meine Knie waren weich und auf der Treppe versuchte ich mich nicht allzu auffällig an das Geländer zu krallen. „Bleib stark, Samia! Keine unnötige Schwäche zeigen! Wenn du dich wieder etwas erholt hast, schaffst du es hier raus!" sprach ich mir selber Mut zu. Die erhoffte Wirkung setzte jedoch nicht so recht ein. Zu sehr war ich noch beeinflusst von Marks dominantem Verhalten. Nie zuvor hatte ein Mensch eine solch starke Wirkung auf mich. Angst hatte ich definitiv vor jedem dieser Männer aber bei Mark war es anders. Sobald er einen Raum betrat, nahm er diesen völlig in Besitz ohne dafür auch nur den kleinsten Muskel zu rühren. Es war seine natürliche Ausstrahlung, seine Dominanz, sein durchdringender Blick, der keinen Widerspruch duldete. Und doch hatte ich mir kurz eingebildet, einen Anflug von Sorgen in seinen Augen gesehen zu haben. Jedoch wurde dieser Ausdruck sofort wieder von Wut und Kälte vertrieben, wenn er überhaupt dagewesen war. Noch immer raste mein Puls wenn ich daran zurückdachte, wie einfach er mich auf der Liege bewegungsunfähig gemacht hatte. Eine Gänsehaut breitete sich auf meinem ganzen Körper aus, als ich an seine Nähe dachte. Ich hatte gespürt, wie warm er trotz der nassen Haut war. Die Wärme hatte gut getan, auch wenn ich mir selber verboten hatte, so zu denken, und schob meine Wahrnehmung einzig und allein darauf, dass ich unterkühlt war. Ich konnte selber nicht mehr sagen, wie lange ich unter dem Eisregen gesessen hatte. Letztendlich musste ich Mark sogar dankbar sein, dass er gekommen war. Wäre ich sonst vielleicht verblutet? Ich wollte nicht drüber nachdenken. Stattdessen schlich sich ein anderer, äußerst verwirrender Gedanke in mein Bewusstsein. Als Mark mir so nah war, hatte ich das erste mal seinen Geruch wahrgenommen. Automatisch fingen meine Hände wieder an zu zittern. Dieser Geruch war einmalig, er passte zu Marks äußerem Erscheinungsbild, dominant und selbstbewusst ,und rührte nicht von irgendwelchen Parfums oder Aftershaves her, sondern es war sein ganz natürlicher Geruch. Das erschreckende war jedoch gewesen, dass er mir so vertraut vorkam. Dieser Duft hatte etwas in mir berührt, von dem ich nicht gewusst hatte, das es existiert, noch was es war. Aber wieder meines eigenen Willens, hatte ich mich durch diesen Duft geborgen gefühlt und das hatte mir schreckliche Angst gemacht, ich musste da etwas vertauscht haben! Dennoch hatte ich genau gespürt, wie ich mich zuvor entspannt hatte. Entspannt, ob wohl der fremde Mann halb auf mir gelegen hatte und ich ihm und seinen anderen Männern schutzlos ausgeliefert war. Dennoch hatte sein Geruch mich gänzlich in den Bann gezogen, sodass ich nichtmal mitbekommen hatte, wie meine Wunde versorgt wurde. Zu sehr war mein Gehirn damit beschäftigt, den Duft zuzuordnen. Gelungen war es mir jedoch nicht und ich hatte meine Umwelt erst wieder wahrgenommen, als Mark mich freigegeben hatte. In dem Moment hatte mir die fehlende Wärme einen Schauer über den ganzen Körper gejagt, stellte ich nun fest. Am liebsten würde ich dafür ohrfeigen, dass ich auch nur eine Sekunde so gedacht hatte. Das war doch völlig krank! Diese Männer waren kaltherzig, brutal und gewissenlos!
„Wird's bald?" herrschte mich plötzlich eine Stimme an und als ich erschrocken aufblickte, musste ich feststellen, dass diese Mark gehörte, der gerade wieder aus der Küche herauskam. Verwirrt blickte ich mich um und stellte fest, dass ich am Fuß der Treppe stehenblieben war und mich noch immer am Geländer festhielt als wäre es eine rettende Boje auf einem stürmischen Ozean.
Als Mark mich erblickte, glitt sein Blick über mich und meine vermutlich verzweifelt wirkende Haltung und seine Augen funkelten nicht mehr so wütend wie noch vor einer Sekunde. Regelrecht sanft musterte er mich, als befürchtete er, ich könnte jeden Moment ohnmächtig werden.
Bevor ich drüber nachdenken konnte, entwischte mir ein leises „Danke". Da ich mich selber kaum verstanden hatte, war ich mir nicht sicher ob er es überhaupt gehört hatte.
Bevor ich meinen Blick senkte, sah ich noch, wie Mark eine Augenbraue fragen anhob.
Etwas lauter wiederholte ich mich deshalb: „Danke, dass ihr mir geholfen habt."
„War zwar nicht viel bei aber ich möchte es ungern wiederholen. Es war reiner Zufall, dass wir dich noch rechtzeitig gefunden haben. Also nächstes Mal kommst du wie gesagt sofort zu uns. Und jetzt komm, dein Tee wird kalt." mit den Worten war Mark schon wieder Richtung Küche verschwunden und ich beeilte mich, hinterher zu kommen um den Mann nicht zu reizen. Jedoch fragte ich mich, wie lange ich in Gedanken an der Treppe gestanden hatte, dass der Tee schon fertig war.
Kaum war ich in der Küche angekommen, drückte mir der Entführer eine große Tasse in die Hand. Gierig sog ich den wohligen Duft von Salbei und Vanille ein und ich meine auch eine Note Honig zu vernehmen. Das passt alles nicht zusammen stellte ich gedanklich wieder fest. Ich hatte nie von einer Entführung gehört, bei denen den Opfern Tee gekocht wurde. Ich schob den Gedanken beiseite und hielt Ausschau nach den Männern. Wo sollte ich den Tee denn trinken? Einige der Typen befanden sich schon wieder im Wohnzimmer, unter anderem auch Aiden, der mich zuvor behandelt hatte.
Zögerlich ging ich in das Wohnzimmer hinten und mein Blick fiel auf den gemütlichen Erker am Fenster. Ob ich mich wohl einfach hinsetzen durfte? Automatisch glitt mein Blick zu Mark, der mich bereits anschaute als hätte er meine Frage erwartet. Mit einer nickenden Kopfbewegung zum Fenster gab er mir zu verstehen, dass ich mich setzen durfte.
Da ich mich in den viel zu großen Herrenklamotten, gerade ohne Unterwäsche, definitiv unwohl fühlte, war ich froh, meine Knie an meinen Oberkörper zu ziehen.
Nach Marks Ansprache oben im Behandlungsraum hatte ich mich jedoch nicht getraut meine durchnässte Unterwäsche anzulassen, denn zu groß war meine Angst, dass er sie mir eigenhändig ausziehen würde, wenn sich verräterische Flecken auf den trockenen Klamotten gebildet hätten.
Ich atmete einmal tief durch, nippte vorsichtig an dem heißen Getränk, welches meine eiskalten Hände so langsam wärmte, und ließ meinen Blick nach draußen schweifen.
Automatisch nahmen meine Gedanken wieder Fahrt auf aber noch immer waren sie wirr.
„Warum haben die mich mitgenommen? Sie hätten mich einfach töten können, so wie den Mann im Wald." Ich unterdrückt nur schwer ein Zittern und versuchte den Gedanken beiseite zu schieben. „Wenn sie mich entführen, warum sind sie dann verhältnismäßig gut zu mir? Sie haben für mich gekocht, scheinen sich dafür einzusetzen, dass es mir halbwegs gut geht." ein neuer, nicht weniger bedrückender Gedanke als der an den Mord kämpfte sich an die Oberfläche. „Wenn sie sich um mein Wohlbefinden sorgen, dann wollen die mit Sicherheit einen Nutzen daraus ziehen! Werden sie mich verkaufen, mir meine Organe entnehmen oder mich vielleicht zur Prostitution zwingen?!" so durfte ich nicht denken und ich schob auch den Gedanken so gut es ging beiseite, um nicht gleich die nächste Panikattacke zu bekommen. Schon gar nicht während ich nur wenige Meter neben meinen Entführern saß.
„Mein Studium! Meine Wohnung! Was ist denn damit?" Ich wollte endlich einen neuen Lebensabschnitt beginnen, vielleicht Leute kennenlernen? Man musste sich ja nicht gleich in bedingungslose Freundschaften schmeißen, das war nämlich nichts für mich. Für gewöhnlich pflegte ich meist keine tieferen Kontakte. Vermutlich war das eine Art Selbstschutz meinerseits. Ich hatte seit meiner frühen Kindheit ziemliche Probleme damit, Vertrauen aufzubauen. Es bedeutete aber auch, dass mich niemand suchen oder vermissen würde. „Außer mein Vermieter vielleicht!" schöpfte ich kurz Hoffnung, doch dann betrachtete ich die Situation nochmal realistisch. Ich hatte für die Mieten einen Dauerauftrag eingerichtet und bei der wenigen Post, die ich erhielt würde auch mein großer Briefkasten so schnell nicht verdächtig überquellen. Ernüchtert musste ich feststellen, dass es wirklich niemanden gab, der mich vermisst melden würde. Erschrocken über mich selbst, dass ich erst an letzter Stelle an sie dachte, schweiften meine Gedanken schlussendlich zu meinen Eltern.
Es war nicht so, dass wir gar keinen Kontakt hatten aber unser Verhältnis war definitiv nicht so wie man sich ein Eltern-Tochter-Beziehung vorstellte.
Meine Kindheit war ziemlich holprig, wobei ich mich nur an das wenigstens erinnern kann. Mit ca vier Jahren war ich laut Erzählungen meiner Eltern von meiner leiblichen Familie vor einem Kindeheim ausgesetzt worden und ab da wurde ich beinahe zwei Jahre von einer Pflegefamilie zur nächsten gereicht und erst mit sechs Jahren kam ich dann zu meinen jetzigen Eltern. Bis dahin war mein Vertrauen in alles und jeden jedoch völlig zerstört und konnte zu meinen Stiefeltern nie eine richtige Beziehung aufbauen. Nicht dass sie sich nicht bemüht hätten mir eine gute restliche Kindheit zu gewähren aber etwas in mir hatte zu sehr Schaden genommen als dass ich mich drauf einlassen konnte. Seit ich zuhause ausgezogen war, hatte der Kontakt immer mehr abgenommen. Die zwei wohnten einige Stunden entfernt und waren beruflich äußerst eingespannt und außer zu Weihnachten sahen wir uns für gewöhnlich nicht. Für mich war das okay und auch meine Eltern hatten sich damit abgefunden.
Als Fazit fallen die zwei wohl als meine Rettung auch raus.
„Es bleibt niemand! Einfach niemand übrig!" Rasten meine Gedanken und zum ersten Mal wünschte ich mir wirklich Menschen, die mich gut kannten, die mich liebten und die mich vermisst hätten. Ich hatte sowas nur nie zugelassen, deshalb war ich wohl selbst schuld war wenn ich hier streben würde und ich erst Weihnachten vermisst gemeldet werden würde.
Eine eindringliche Berührung an meinem Knie ließ mein Gedankenkarusell abrupt stoppen.
Mein Blick schnellte hoch und traf auf braune Augen.
Mein Puls beschleunigte sich als ich zwischen der großen Hand auf meinem Knie und dem fremden Mann hin und her sah. „Stefan" Spuckte mein Gehirn dann aus.
Seit wann saß er da? Hatte er nicht auch eben noch etwas gesagt? Ich hatte nichts mitbekommen! Ich rügte mich innerlich, dass ich wieder so weggetreten war. Gerade bei Stefan war ich mir ziemlich sicher, dass er mich lieber tot in dem Wald gelassen hätte als auch nur einen einzigen Gedanken an eine andere Möglichkeit zu verschwenden. Gerade ihn sollte ich nicht reizen.
Ängstlich blickte ich zurück in das markante Gesicht des Mannes.
„Entschuldige, Stefan. Ich habe nicht gehört was du gesagt hast. Ich..ich war total in Gedanken." rechtfertigte ich mich schnell um ihn möglichst zu besänftigen.
„Gut dass du es anmerkst, das wäre mir sonst entgangen." antworte er ironisch und ich konnte nicht daraus lesen ob er wütend war. Plötzlich hob er seine andere Hand hoch und bewegte sie auf mein Gesicht zu. Ich zuckte zurück, schloss die Augen und stellte mich auf den Schmerz auf meiner Wange durch seinen Schlag ein. Stattdessen spürte ich wieder den festen Griff an meinem Knie. Vorsichtig öffnete ich meine Augen und merkte erst jetzt wie hektisch ich atmete.
„Hey!" lenkte er meine Aufmerksam wieder auf sich. „Hast du gerade gedacht, dass ich dich schlagen würde?" Frage er ganz direkt wobei er weniger wütend als erstaunt klang.
Niedergeschlagen nickte ich ebenfalls ehrlich.
Wieder hob der Mann seinen Arm, diesmal jedoch deutlich langsamer. Ich registrierte jede noch so kleine Bewegung von ihm doch ich keuchte erschrocken auf als sich seine warme Hand an meine Wange legte. Ich hatte mit allem gerechnet aber nicht damit! Sein Daumen strich vorsichtig über meine Haut und ich biss mir auf meine Unterlippe um ein Zittern zu unterdrücken und nicht laut zu schluchzen.
„Solange du mich nicht verärgerst hast du erstmal nichts zu befürchten." klärte er auf und fügte dann noch hinzu. „Ich kann es gar nicht leiden wenn jemand rumheult!" knurrte er bedrohlich. Erst jetzt registrierte ich, dass meine Wangen ganz nass waren. „Ich hatte geweint"? Stellte ich überrascht fest.
„Oh, ich wusste nicht.. ich.. es tut mir leid. Ich höre auf, versprochen" versuchte ich mich zu retten auch in der Hoffnung, dass der Mann mich dann endlich loslassen würde.
Ich kann mir selbst nicht erklären warum aber wie automatisch schweifte mein Blick suchend durch den Raum und stellte erschrocken fest, dass ich nach Mark suchte.

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