07. Abwarten

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Nachdem Samia und Mark oder eher Mark alleine das Geschnetzelte mit Paprika fertig gekocht hatten, stellte Mark zwei mit dem dampfenden Gericht gefüllte Teller auf den großen Esstisch und setzte sich selbst vor einer Teller hin. Samia stand noch immer unsicher in der Ecke des Raumes und wusste nicht wie sie sich verhalten sollte. Als Mark ihr mit einer Handbewegung deutete, sich auf den Platz ihr gegenüber zu setzen, ging sie zögerlich um den Tisch herum und setzte sich wie von ihrem Entführer gewünscht hin. Die junge Frau kämpfte gegen die aufsteigende Panik, die ihr noch immer die Kehle zuschnürte. Wie sollte sie jetzt nur essen können? Sie hatte keinen Appetit aber gleichzeitig war ihr bewusst, dass von ihr erwartet wurde, dass sie aß und sie wollte alles, nur nicht die Männer zu verärgern. Deshalb nahm sie die Gabel auf. Das kühle Metall verriet das Zittern ihrer Hände deutlich. Deshalb begann sie zügig zu essen, um ihre Angst möglichst gut zu verbergen, vermutlich ohne großen Erfolg. Die ganze Zeit spürte die Frau den durchdringenden Blick des fremden Mannes ihr gegenüber auf sich. Er schien sie förmlich zu studieren, jede ihrer Regungen wahrzunehmen und zu deuten. Samia traue sich weder ihren Kopf zu heben, aus Angst seinem Blick zu begeben, noch etwas auf ihrem Teller liegen zu lassen. Das warme Essen tat ihr gut, das spürte sie und dadurch merkte sie auch, wie etwas Kraft den Weg zurück in ihren Körper fand.
„Wo bin ich hier nur hereingeragten? Was sind das für Männer? Werden die mich rumbringen?" Samias Gedanken nahmen wieder Fahrt auf. „Wie konnte ich nur so naiv sein und glauben, dass ein Haufen dunkel gekleideter Männer mitten in der Nacht meine Rettung sind? Wie konnte ich nur so dumm sein?!" Samia überlegte fieberhaft ob sie wohl im Nachhinein einen Verdacht geschöpft hätte, wenn Mark sie einfach nach Hause gefahren hätte und kam zu der ernüchternden Erkenntnis, dass sie wohl nie geschaltet hätte, sondern sich immer gerne an ihren großzügigen Retter zurückerinnert hätte.
„Lass uns uns Wohnzimmer gehen." forderte Mark die Frau auf, während er aufstand. Erschrocken schaute Samia ihn an als ihr die Bedeutung der Worte klar wurde. Wohnzimmer bedeutete, dass sie schon in wenigen Augenblicken wieder allen Männern gegenüber sein würde.
„Jetzt schau mich nicht so an als wenn ich dir gerade gesagt hätte, dass ich dich in den Keller sperren oder dich foltern will. Wir setzen uns einfach zu den anderen aufs Sofa und solange du keinen Mist baust, tut dir keiner was. Nicht ich und die anderen auch nicht." stellte Mark klar. Ihr Blick war so eindeutig gewesen als hätte sie ihre Gedanken laut ausgesprochen. Die jungen Frau schoss die Röte in die Wangen. „Warum weiß der immer genau was ich denke?" fragte sie sich denn es war ihr unangenehm, dass dieser fremde Mann sie so gut zu kennen schien und jeden ihrer Gedanken lesen konnte. „Ist das alles so offensichtlich?" fragte sie sich weiter als sie aufstand. Gedankenverloren griff sie ihren Teller und ging um den Tisch herum, auf der anderen Seite sammelte sie noch den zweiten Teller ein und wollte zur Spülmaschine gehen. „So kommst du da auch nicht drum herum." lachte Mark, der mit verschränkten Armen an den Türrahmen gelehnt stand und die Frau beobachtete.
Wieder blickte Samia ihn an und dann auf die zwei Teller in ihrer Hand, die sie aus Reflex mitgenommen hatte. Innerlich schlug sie sich gegen die Stirn. „Wie verzweifelt muss das jetzt bitte gewirkt haben? Als würde ich denken ich könnte mich hinter der Arbeit verstecken! Reiß dich zusammen!" mahnte die Frau sich selber an. Sie beeilte sich, die Teller zu verstauen, dann ging sie unsicher in Marks Richtung. Ohne weiteren Kommentar drehte dieser sich um und ging zielstrebig auf das Sofa zu.
Ein Film lief, die Männer hatten es sich auf dem gigantischen Möbelstück gemütlich gemacht und einige Bierflaschen und eine Flasche Rum standen auf dem Tisch. Mark machte es sich zwischen zwei Männern gemütlich und Samia steuerte wieder auf den Randbereich der Couch zu, auf dem sie offensichtlich zuvor geschlafen hatte. Die Männer beachteten sie gar nicht und das kam ihr äußerst entgegen. Sie kauerte sich an die hohe Lehne gedrückt, hin und ließ ihren Gedanken freien Lauf. Wie ein ungeordnetes Karussell flogen Gedankenfetzen in einem viel zu hohen Tempo umher.
Als nach einiger Zeit ein neuer Film gestartet wurde, bemerkte Samia, wie trocken ihr Mund und ihr Hals war, sie hatte zwar zum Essen ein halbes Glas Wasser getrunken, aber die ganzen Stunden zuvor hatte sie keinerlei Flüssigkeit zu sich genommen. Die junge Frau schaute zur Küche herüber, um zu sehen ob ihr Glas dort vielleicht noch stand.
„Du darfst dich hier drinnen frei bewegen. Wenn du was brauchst, dann nimm es dir einfach." sprach der Typ neben ihr sie plötzlich an. Weniger verängstigt als überrascht schaute sie ihn deshalb an. Sie erkannte, dass es der Mann war, der ihr die Spritzen gegeben hatte, doch er sah nun nicht streng oder wütend aus. Er meinte seine Worte also ernst, schloss sie daraus und als er eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung der Küche machte, beschloss sie, sich tatsächlich ein Glas Wasser zu holen.
Wieder reagierte niemand als sie aufstand, was die junge Frau erleichtert aufatmen ließ. Beinahe fluchtartig ging sie in die geräumige Küche herüber und hielt Ausschau nach ihrem Glas. Da sie es nirgendwo fand, musste es einer der Männer weggeräumt haben. Samia erinnerte sich aber wo Mark zuvor die Gläser hergeholt hatte. Deshalb öffnete sie den Hängeschrank und seufzte. „Da komme ich ohne Stuhl niemals dran." sie kannte das Problem aus ihrer eigenen Wohnung und frage sich, ob Küchenbauer nicht einfach mal an die kleineren Menschen denken konnten. Ohne Vorwarnung griff plötzlich jemand über sie hinweg und stellte eines der Gläser vor sie hin. Samia verkrampfte sich, doch als sie vorsichtig zu dem Mann herüberschaute, hatte er sich schon eine neue Bierflasche aus dem Kühlschrank geschnappt und war wieder auf dem Weg zum Sofa. Beim rausgehen drehte er sich nochmal um, deutete auf den anderen Ausgang der Küche und meinte „Da vorne die erste Tür links ist übrigens die Toilette." und schon war er verschwunden.
Samia blieb überrascht zurück. Sie fragte sich, warum ihr so viel Vertrauen geschenkt wurde. Und bei dem Gedanken wanderte ihr Blick herüber zu dem Messerblock. Die junge Frau schüttelte den Gedanken schnell ab, denn sie hatte das Gefühl, dass Marks Worte, dass man sie überwältigt hätte, ehe sie das Messer einsetzen konnte, der Wahrheit entsprachen. Anstatt also Blödsinn zu machen, trank Samia ein Glas Leitungswasser.
Das kühle Nass tat ihrer brennenden Kehle gut doch gleichzeitig merkte sie auch wie müde sie eigentlich war. Die leuchtenden Ziffern der Uhr am Backofen zeigten 02:14 Uhr an. Obwohl sie vermutlich einige Stunden betäubt war, hatte der nervenaufreibende Tag seine Spuren hinterlassen.
Samia beschloss erstmal zur Toilette zu gehen. Sie tapste deshalb auf der anderen Seite aus der Küche hinaus und bog noch links. Den Gang hatte sie einige Stunden zuvor bereits gesehen. Nun nahm sie sich mehr Zeit um die Türen zu mustern. Neben der Tür, die zur Toilette führen musste, waren noch einige weitere Türen zu sehen. Doch auch bei genauerem Betrachten schien es sich bei keiner der Türen um eine Haustür zu handeln. Samia beschloss eine genauere Erkundung wenn möglich auf den nächsten Tag zu schieben wenn es hell wäre.
Nachdem die junge Frau die Toilette benutzt hatte, mied sie es, beim Händewaschen in den Spiegel zu sehen.
Als sie aus dem WC zurück in den dunklen Flur trat, überlegte sie, was sie jetzt tun sollte. Sie wollte nicht wieder zurück ins Wohnzimmer. Das stand fest. Obwohl ihr keiner der Männer momentan etwas Böses zu wollen schien, brachte sie heute die Kraft dafür nicht mehr auf. Ein Schimmer am Ende des Flures weckte ihre Aufmerksamkeit. Ohne zu überlegen ging sie in die Richtung des schwachen Lichtes, weg von dem Wohnzimmer.
Schon aus einiger Entfernung konnte Samia eine bodentiefe Fensterfront erkennen. Die Frau schon den Gedanken darüber, wie die Männer so eine hochmoderne Villa wohl finanziert hatten, beiseite. Stattdessen war sie vollkommen in den Bann gezogen, von dem Blick, der sich ihr hinter der Scheibe bot.
Der beinahe volle Mond spiegelte sich auf einem wunderschönen See, umringt von dunklen Bäumen. „Ohh!" entwich es der Studentin erstaunt. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie ließ sich vor dem Fenster erschöpft auf den Boden gleiten und ließ ihren müden Blick über die faszinierende Landschaft gleiten.

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