Kapitel 37

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~ Elyanor ~

„Die Menschen von Ikrison haben das Recht, ihre eigene Zukunft bestimmen zu können, nachdem sie ihnen Jahrzehntelang aufgezwungen wurde", sagte Königin Seraphina von Creyca und ließ mit ihren Worten Hoffnung in mir aufkeimen.

Bevor sie jedoch weitersprechen konnte, schaltete sich plötzlich der Botschafter von Eswa ein. „Eure Majestät, mit allem Respekt." Er deutete eine Verbeugung an. „Ich kann dem nicht zustimmen. Ikrison ist ein Teil von Arvandor. Es gibt Bürger, die sich gegen eine Unabhängigkeit stellen. Eine Abspaltung könnte die Stabilität des Friedens gefährden. Wir sollten nicht zulassen, dass ein solcher Präzedenzfall geschaffen wird."

Königin Seraphina warf dem Botschafter einen scharfen Blick zu. „Eswa mag sich gegen die Unabhängigkeit aussprechen, doch wir müssen die Stimmen der betroffenen hören. Sie brauchen nicht noch eine Partei, die sich in der Bestimmung ihrer Zukunft einmischt."

„Auf Kosten der eigenen Sicherheit?", hakte der Botschafter wieder ein. „Wir müssen die Konsequenzen bedenken! Was ist, wenn sich Ikrison gegen Arvandor wendet?" Er sprach nun Rachel und Aiden an. „Was ist, wenn ihr eure Freiheit nutzt, um Unruhe zu stiften?"

Aiden trat vor, seine Kiefernmuskeln waren angespannt. Diesen Vorwurf wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Vorerst wollte auch ich nicht eingreifen. „Wir wollen keinen erneuten Krieg. Wir sind diejenigen, die aus erster Erfahrung von der Zerstörung und dem Unheil berichten können, das der Krieg über unsere Region gebracht hat."

Der Botschafter warf ihnen einen skeptischen Blick zu und wollte gerade etwas erwidern, doch Seraphina kam ihm zuvor, indem sie nun wieder das Wort ergriff.

„Meine Entscheidung steht fest", sagte sie und trat vor an den Schreibtisch, wo noch zwei Mappen mit der Anerkennungserklärung warteten. Sie nahm den Füllfederhalter in die linke Hand und setzte ihre Unterschrift auf die dafür vorgesehene Zeile.


*  *  * 

In Begleitung meines Wachmannes machte ich mich auf den Weg zu der Krankenstation, wo ich Amelia finden würde. Es bestand keine Chance, dass sie Calder von der Seite weichen würde und da ich nicht davon ausging, dass er nach dem Giftanschlag des gestrigen Abends bereits wieder auf den Beinen sein würde, war ich zuversichtlich, sie dort anzutreffen.

Vor dem Zimmer, in dem Calder lag, blieb ich schließlich stehen und nickte meinem Gardisten freundlich zu – das Zeichen, dass er entlassen war. Er deutete eine Verbeugung an und verschwand wortlos.

Ich wandte mich wieder um und klopfte an, aufgeregt, Amelia von den guten Neuigkeiten zu erzählen.

„Herein", kam es von drinnen und ich trat ein. Amelia saß auf einem Stuhl an Calders Bett, mit vielen Aktenmappen, die auf dem Boden verstreut und scheinbar ohne Ordnung herumlagen.

„Elyanor." Hastig schlug sie die Mappe zu, in der sie gerade gelesen hatte. Ihr Gesicht war blasser als sonst, vermutlich weil sie nicht viel geschlafen hatte. Sie stand auf und kam auf mich zu, darauf achtend nicht versehentlich auf eine der Mappen zu steigen.

„Wie geht es dir? Was gibt es neues?" Sie zog einen Stuhl unter dem tisch am Fenster hervor und bedeutete mir, mich zu setzen. Ich nahm das Angebot an und sah sie aufgeregt an. „Es gibt großartige Neuigkeiten. Setz dich doch."

Amelia winkte ab. „Nein, danke, ich habe in den letzten Stunden genug gesessen. Habt ihr es denn geschafft?"

Ich nickte enthusiastisch. „Ja, wir haben die Unterschrift der Königin von Creyca. Damit steht die Mehrheit der Staaten hinter uns und ich kann die Unabhängigkeit endlich in meinem Parlament durchbringen."

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