~ Elyanor ~
Ohne Anzuklopfen war ich eingetreten. Mein Blick fiel sofort auf Dashiell, der mit dem Rücken zur Tür im Krankenbett lag. Die Vorhänge waren zugezogen, um den Raum zu verdunkeln.
Bedacht darauf, kein Geräusch zu verursachen, umrundete ich das Bett und blieb schließlich auf der anderen Seite stehen, um sein Gesicht sehen zu können. Er schlief, was ich ziemlich unfair fand, da ich die klargrüne Farbe seiner Augen so mochte. Doch ich konnte sie nicht sehen.
Seine Decke war bis zum Kinn hochgezogen und seine hellbraunen Haare hingen ihm wie immer in der Stirn, sodass ich fast versucht war, sie ihm aus dem Gesicht zu streichen. Doch ich wollte ihn nicht wecken.
Ich trat einige Schritte zurück und sah mich nach dem Stuhl um, der sonst neben seinem Bett gestanden hatte. Ich entdeckte ihn bei dem Tisch unter dem Fenster. Eine Schwester musste ihn wieder aufgeräumt haben.
Als ich ihn unter dem Tisch hervorziehen und neben das Bett schieben wollte, durchbrach ein kratzendes Quietschen die Stille des Raumes und ich sah auf. Dashiell rührte sich und schlug die Augen auf. Er brauchte einen Moment, bis er sich in dem Raum orientiert hatte. Dann fiel sein Blick auf mich.
„Elyanor?", fragte er irritiert. „Was tust du denn hier?"
Nun, da er wach war, konnte ich ohne Sorge den Stuhl bewegen. Also schob ich ihn hinüber zu seinem Bett und setzte mich darauf. Ich sah ihn lange an und merkte wie müde ich langsam wurde. Die Unterzeichnung der Anerkennungserklärungen und die Abreise der einzelnen Delegationen hatte fast den ganzen Tag gedauert, sodass es bereits dämmerte.
„Ist etwas passiert?" Dashiell musterte meine Aufmachung.
Barfuß und mit zerzausten Haaren saß ich neben ihm und hatte vermutlich auch eine leichte Fahne von der halben Flasche Wein, die ich eben getrunken hatte. Der Geschmack lag mir immer noch unangenehm im Mund.
Dashiell sah mich erwartungsvoll an, als wollte er eine Antwort auf seine Frage. Doch ich sah ihn nur an. Stumm wartete er, dass ich etwas sagte. Doch meine Gedanken wanderten wieder zu Lucian.
Er hatte sich mein Vertrauen erschlichen, mir vorgegaukelt er würde etwas für mich empfinden, nur um mich dann hinterrücks zu verraten. Vermutlich war nichts davon echt gewesen. Eine Träne löste sich aus meinem Auge und kullerte über meine Wange
„Bist du auch ein Spion?", wisperte ich dann und sah Dashiell an.
Er richtete sich in seinem Bett auf, als hätte er nicht verstanden, was ich soeben gefragt hatte. „Elyanor, wovon redest du?"
Ich schüttelte den Kopf, wollte keine Gegenfrage akzeptieren, auch wenn sie nur rhetorisch gemeint war. „Gib mir eine Antwort. Bitte." Eine weitere Träne löste sich und fiel auf meine Hände hinab. Ich konnte es nicht ertragen, dass Dashiell womöglich ebenso ein Verräter war. Ich musste mir sicher sein.
„Natürlich nicht!" Er warf die Bettdecke zurück und setzte sich auf, sodass seine Beine von der Bettkante baumelten. Dann nahm er meine Hände in seine und strich mir mit einer über die Wangen.
„Was ist denn passiert?" Er klang ehrlich besorgt um mich.
Seine Hand fuhr wieder über meine Wange, als sich eine neue Träne löste. Und es blieb nicht bei einer. Der Damm brach. Schluchzend löste ich meine Hände aus seiner und vergrub mein Gesicht, in der Hoffnung, er würde einfach wegsehen.
Doch stattdessen hörte ich, wie er sich bewegte und kurz darauf zog er eine Hand ein Stück zur Seite, um mir ein Taschentuch anzubieten.
Dankbar nahm ich es an, wischte mir damit über die Augen und putzte mir die Nase. Aber das reichte nicht, um mich zu beruhigen. Als würde durch Dashiells Fürsorge alles nur noch schlimmer machen, weinte ich weiter und holte zwischendurch verzweifelt Luft.
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Selection - Elyanor
FantasyEndlich ist es soweit. Die Selection der jungen Königin Elyanor von Arvandor steht bevor. Zweiunddreißig junge Männer sind in den Palast gekommen und kämpfen um ihr Herz. Aber nicht alles verläuft nach Plan und als Königin hat Elyanor noch ganz ande...