~ Elyanor ~
Seit mir Amelia berichtet hatte, dass sich Dashiell Midnight ausgeliehen hatte, saß ich auf der großen Fensterbank im Flur vor meinem Arbeitszimmer und sah aus dem Fenster nach unten in den Hof, in dem sich nichts rührte. Es dämmerte langsam und ich machte mir Sorgen.
Aber hätte ich Dashiell stoppen sollen? Ich wusste, wie viel Lillian ihm bedeutete. Ich hätte ihn niemals beruhigen können und er hätte sich auch nicht darauf eingelassen, untätig herumzusitzen.
Ich rieb mir über die Augen und sah auf das leere Schokoladenpapier und die zweite angebrochene Tafel daneben. Plötzlich tat sich unten etwas. Eine Kutsche fuhr durch das Tor. Saß Dashiell etwa darin? Immerhin war er mit Midnight losgeritten.
Die Kutsche blieb vor dem Eingang schließlich stehen und der Winkel war so dermaßen ungünstig, da ich so nicht sehen konnte, wer ausstieg. Aber zu solch später Stunde würde wohl kein Besuch mehr erwartet werden. Es konnte nur Dashiell sein.
Ich sprang auf und eilte den Flur entlang, die schmale Wendeltreppe in einer Nische, die eigentlich für Dienstboten gedacht war und die ich manchmal für meinen Schleichweg benutzte, hinunter und hatte die Eingangstür erreicht.
Ungeduldig wartete ich darauf, dass jemand auftauchte, doch ich wurde noch einige Momente auf die Folter gespannt, bevor die Tür schließlich nach innen aufschwang.
Dashiell. Er war es tatsächlich. Ich überwand die letzte Distanz zu ihm und fiel ihm in die Arme. Er hatte mich ebenfalls bemerkt und schloss mich nun in eine feste Umarmung.
„Ich habe mir solche Sorgen gemacht", murmelte ich an seiner Schulter. „Du warst auf einmal weg und ich..."
Meine Stimme versagte beinahe. „...ich hatte keine Ahnung, wo du hingehst und wann du wieder kommst."
Vorsichtig löste sich Dashiell wieder von mir. „Es tut mir leid, dass ich so plötzlich auf und davon war. Das kommt nicht mehr vor, das verspreche ich dir."
Er trat einen Schritt zur Seite. Mein Blick fiel auf ein kleines Mädchen, kaum elf Jahre alt, mit wunderschönen dunklen Locken und blauen Augen, die identisch zu denen von Dashiell waren.
„Du musst Lillian sein", sagte ich zu ihr, ging auf sie zu und hielt ihr meine Hand hin. Mit großen Augen sah sie erst mich und dann meine dargebotene Hand an. Dann nickte sie und ergriff meine Hand.
„Ich bin Elyanor", erklärte ich.
„Ich weiß, Dashiell hat mir schon von dir erzählt."
Lächelnd sah ich auf. „Nur Gutes, hoffe ich doch." Ich sah wie Lillian nickte und mein Lächeln erwiderte. „Wie sieht es aus? Wollen wir dir ein Zimmer aussuchen? Oder willst du bei Dashiell einquartiert werden?"
Dashiell sah mich mit einem Blick an, der mir sagte, ich sollte diesen Gedanken schnell wieder verwerfen, doch ich wusste, dass er es nicht ernst meinte und insgeheim froh war, seine Schwester wiederzuhaben. Ich hätte wirklich schon eher mit ihm reden sollen.
„Ich will diese Nacht erst einmal zu Dashiell", antwortete sie und sah ihren Bruder liebevoll an. „Aber ich fände es richtig toll, wenn ich mir morgen ein Eigenes aussuchen kann."
Ich nickte verständnisvoll. „Klar. Das kriegen wir hin", sagte ich. „Dann wünsche ich euch eine gute Nacht." Lillians Augen funkelten und sie drehte sich zu ihrem Bruder um, aufgeregt, ihr Nachtquartier zu beziehen.
Dashiell schwieg einen Moment, als würde er mir noch etwas sagen wollen. „Elyanor, ich..." Er räusperte sich. „Ich wollte dir sagen, dass ich..."
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Selection - Elyanor
FantasyEndlich ist es soweit. Die Selection der jungen Königin Elyanor von Arvandor steht bevor. Zweiunddreißig junge Männer sind in den Palast gekommen und kämpfen um ihr Herz. Aber nicht alles verläuft nach Plan und als Königin hat Elyanor noch ganz ande...