6. Kapitel

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Seit diesem Tag waren fast drei Wochen vergangen. Nach unserem Gespräch im Taxi dachte ich eigentlich, unsere Beziehung hätte sich verbessert, doch dies war leider nicht der Fall. Gleich am nächsten Morgen ignorierte er mich knallhart. Selbst als ich fragte was los sei, ließ er mich abblitzen. Seien Worte, welche er in diesem Moment gesagt hatte, waren immer noch in meinem Kopf. "Ich dachte, wir hätten das gestern klar gemacht? Ich hasse dich, und der gestrige Tag hat da auch nichts dran geändert!"

Obwohl ich es nicht wollte, taten mir diese Worte weh. Ich wusste bis jetzt nicht, was ich für den älteren empfand. War es eine Hass-Liebe? Oder doch nur die Möglichkeit, meinen Ärger auszulassen? An diesem Tag war ich maximal verwirrt, und konnte Hyunjin nicht mehr in die Augen blicken. 

Von nun an wurde es immer schlimmer, jeden Tag wurden unsere Beleidigungen provokativer. Wir beide waren zu stolz um klein bei zu geben, und so kam es, dass wir uns immer mehr aufschaukelten. Bis zu dem Punkt, wo wir uns gerade befanden.

"Deine hässliche Visage will niemand mehr sehen. Warum tust du uns allen nicht den Gefallen und verschwindest wieder zu dem Ort, wo du her kamst?" Jep, das war Hyunjin. Wir standen mitten in der Cafeteria und uns schauten mindestens 100 Leute an... Doch es war mir egal, sollten sie halt wissen, dass wir uns nicht ausstehen konnten.

"Oh, tut mir leid, ich wusste nicht, dass du das Recht hast, über mich zu urteilen. Wer bist du? Gott?", feuerte ich gegen ihn. "Lebst du wirklich dein ganzes Leben so hoch und mächtig, dass du denkst, du könntest über das Leben anderer urteilen?" Seine Gesichtszüge wurden immer angespannter. Gleich hatte ich ihn da, wo ich ihn haben wollte. Beim explodieren...

"Weißt du noch, als ich dich nach deiner Meinung gefragt hab? Ich auch nicht." Hatte er nichts besseres drauf? "Bist du bald fertig mit deinem ganzen Drama? Ich brauch nämlich ne Pause von deiner Dummheit. Ich merke quasi schon, wie mir meine Gehirnzellen verbrennen, wenn du nur den Mund auf machst." Doch er lachte nur auf. "Welche denn? Deine nicht vorhandenen?"

Sollte ich ihn erinnern, dass er in eigentlich jedem Fach schlechter war als ich? "Wenn Blödheit leuchten würde, bräuchte ich jetzt eine Sonnenbrille." Eingeschnappt blickte er mich an. "Wenn Dummheit fliegen könnte, wärst du ein Spaceshuttle." Auf so ein niedriges Niveau konnte ich auch hinabsteigen. "Wenn Dummheit fahren könnte, müsstest du bergauf bremsen."

Wir machten noch ein bisschen so weiter, bis Hyunjin plötzlich auf Familie ging. "Sind deine Eltern Chemiker? Du siehst aus wie ein misslungenes Experiment." Obwohl es die dümmste Beleidigung war, die ich je gehört hatte, machte sie mich unglaublich wütend. Einfach weil ich jedes mal total gereizt reagierte, wenn es um meine leiblichen Eltern ging.

"Ich hab keine Ahnung, Hwang. Ich hatte leider nicht die Zeit gehabt sie kennenzulernen. Aber wenn es dich interessiert kannst du ja nach Australien fliegen und in einer Entzugsklinik nach ihnen suchen!" Plötzlich wurde es ganz still um mich herum und alle sahen mich mit geschockten Augen an. Fuck, ich hatte eindeutig zu viel erzählt...

"Ähm Felix, ich-", fing Hyunjin schon an, aber ich unterbrach ihn. "Fick dich doch, Hwang! Ich wünschte deine Eltern wären damals lieber fünf Minuten spazieren gegangen, dann müsste ich mich jetzt nicht mit dir unterhalten." Mit diesen Worten sprang ich auf und bahnte mir einen Weg durch die glotzende Menge. Ich brauchte jetzt unbedingt meine Ruhe. Zum Glück hatte mir Jisung letzte Woche gezeigt, wie man aufs Schuldach kam, dort war meistens niemand.

Gesagt, getan. Nur fünf Minuten später saß ich oben auf der Dachkannte und ließ meine Füße runterbaumeln. Wie gerne ich doch gerade bei Wooyoung wäre. Er würde mich fest halten, mir die Sicherheit geben die ich im Moment brauchte. Doch ich war alleine, mutterseelenalleine.

Als ich plötzlich Schritte und das Türöffnen hörte, dachte ich zuerst, mein Kopf würde mir einen Streich spielen. "Warum wusste ich, dass ich dich hier finden würde?" Verwundert schaute ich hoch, obwohl ich Jisung schon an seiner Stimme erkannt hatte. "Was machst du hier? Warum bist du nicht bei den anderen und himmelst Hyunjin an?" Könnte sein, dass ich ihn gerade unnötigerweise anpampte, doch ich war nun mal gereizt.

"Weil ich doch sehe, wie scheiße es dir geht. By the way, unsere Prinzessin wird übrigens von Chan gerade einen Kopf kleiner gemacht. Das was er gesagt hat, ging echt gar nicht." Ich nickte und war irgendwie doch froh, dass mein Twin nun jetzt hier war. Schweigend schauten wir zu den anderen Schülern runter. "Danke, dass du hier bist", sprach ich nun doch meine Gedanken aus.

Jisung rutschte bei meinen Wörten nur noch näher und umklammerte mich fast schon von der Seite. "Immer. Du bist jetzt für jeden Tag, bist du stirbst, ein Teil meines Herzens. Da lass ich dich doch nicht jetzt schon alleine Hocken, kaum dass es mal ein bisschen schwieriger wird." Ich lachte leicht über seine kitschigen Worte und  drückte ihm einen Kuss auf die Wange. "Lass dass ja nicht Lino hören!" Doch Jisung schüttelte nur den Kopf. "Mach dir da mal keine Sorgen, den hab ich unter Kontrolle!" Wer's glaubt...

"Und Felix?" Ich blickte ihn vorsichtig von der Seite an, ahnte schon, was jetzt kommen wird. "Ich hab immer ein offenes Ohr für dich. Selbst wenn du jetzt noch nicht reden magst, erinnere dich dran, ich bin nur ein Telefonanruf von dir entfernt." Gerührt von seinem Verständnis legte ich meinen Kopf auf seiner Schulter ab. Es bedeutete mir viel, dass er mich zu nichts drängte.

"Es wird langsam Zeit. Schaffst du den restlichen Tag, oder wollen wir zusammen schwänzen?" Ich würde mich auf keinen Fall von diesem eingebildetem Wichser unterkriegen lassen. "Nein, ich steh dass jetzt durch. Und danach gehen wir zusammen Bubble Tea trinken, okay?" Noch eine Sucht, die wir teilten. Begeistert nickte Jisung und zog mich an meiner Hand hoch. "Ich bin wahnsinnig stolz auf dich. Aber wenn es nicht mehr geht, sagst du Bescheid und wir erfinden irgendeine Ausrede oder so, verstanden?" Ich stimmte zu und wir machten uns Hand in Hand auf den Weg ins Klassenzimmer.

Kurz vor unserem Raum angekommen, verkrampften sich meine Finger, und es wunderte mich, dass ich Jisung's Finger nicht brach. Doch dieser nahm es ganz gelassen und streichelte sanft über meine Hand, versuchte mich so zu beruhigen. Tatsächlich brachte es was, und ich konnte meine Umklammerung ein bisschen lockern. Als wir dann eintraten lagen alle Blicke auf mir. Unwohl wand ich mich. Jisung, der dies bemerkte, versuchte mich mit seinem Körper zu verstecken. "Hört ihr mal auf ihn anzuglotzen, als sei Felix ein Museumsstück. Habt ihr ernsthaft nichts besseres zu tun, als euch über das Leben einer anderen Person zu unterhalten? Ihr seit echt solche Opfer!"

Leicht musste ich durch die Ansprache meines besten Freundes lächeln, allerdings nur solange, bis mein Blick den von Mr. Wang kreuzte. "Felix, ich soll dir ausrichten, dass du nach dem Unterricht zum Direktor sollst. Es geht um deine Auseinandersetzung mit Hyunjin. Niedergeschlagen nickte ich. Unser Streit zog also doch Konsequenzen mit sich...

Im Unterricht nahm der Lehrer Rücksicht auf mich und rief mich kein einziges Mal auf. Als die Doppelstunde Mathe vorbei war, rannten quasi alle aus dem Gebäude. Nur Seungmin, Jisung und ich ließen es etwas langsamer angehen. "Soll ich noch mitkommen, oder verschieben wir unser Date einfach auf morgen?", fragte Jisung mich. Doch ich wimmelte ihn nur ab, mit der Begründung, dass es länger dauern könnte und ich nicht wollte, dass er so lange auf mich warten musste.

Trotzdem begleiteten mich die beiden noch zum Büro des Direktors, bis wir uns mit einer Umarmung verabschiedeten. Nachdem sie außer Sichtweite waren, klopfte ich an und wurde mit einem sofort erklingendem "Herein!" angewiesen, einzutreten. "Oh hallo, Hwang Hyunjin ist schon da, dann können wir ja beginnen." Es war das erste mal, dass ich unseren Schuldirektor persönlich sah. Er galt als streng, aber auch fair. Eine gute Mischung, meiner Meinung nach.

Ich setzte mich auf den freien Stuhl neben Hyunjin, würdigte diesen allerdings nicht mal eines Blickes. Mr. Zhang ließ sich uns gegenüber nieder und schob erstmal ein paar Papiere zurecht, eher er zu uns aufschaute. "Was soll ich nur mit euch beiden anstellen?"

Princess ʰʸᵘᶰˡᶤˣ ᶠᶠWo Geschichten leben. Entdecke jetzt