Der Matheunterricht am nächsten Morgen zog sich wie Kaugummi, und die Erklärungen des Lehrers wurden von den meisten Schülern nur noch halbherzig verfolgt. Yoongi saß am hintersten Tisch und versuchte, sich auf die Gleichungen an der Tafel zu konzentrieren. Seine Gedanken schweiften jedoch immer wieder ab, bis der Lehrer plötzlich ein neues Thema ansprach, das die gesamte Klasse in Aufregung versetzte.
"Bevor wir weitermachen, möchte ich euch noch daran erinnern, dass in drei Wochen die Stufenfahrt nach Seoul stattfindet", sagte der Lehrer und klopfte mit seinem Zeigestock auf die Tafel, um die Aufmerksamkeit der Schüler zu gewinnen. "Für diejenigen, die es noch nicht abgegeben haben: Ihr müsst die Einverständniserklärung von euren Eltern unterschreiben lassen und spätestens übermorgen abgeben."
Ein murmelndes Gemisch aus Stimmen erfüllte den Raum, und die Schüler begannen aufgeregt miteinander zu flüstern. Für die meisten war die Aussicht auf die Fahrt nach Seoul das Highlight des Schuljahres.
Yoongi jedoch spürte, wie sich bei diesen Worten ein schwerer Knoten in seiner Brust bildete. Während die anderen begeistert über die bevorstehende Reise sprachen, rutschte ihm sein Herz in die Hose. Er konnte sich keine Einverständniserklärung von seinen Eltern einholen – er hatte keine Eltern mehr.
Neben ihm beugte sich Namjoon vor und flüsterte ihm aufgeregt zu: "Hey, stell dir vor, wir fahren alle zusammen nach Seoul! Das wird der Hammer!" Yoongi zwang sich zu einem Lächeln, obwohl er sich innerlich wie ein Außenseiter fühlte. "Ja, klingt cool", murmelte er zurück, ohne wirklich überzeugt zu klingen. Namjoon bemerkte seinen Ton nicht und redete weiter mit dem Jungen auf seiner anderen Seite.
Nach dem Unterricht trat Yoongi unsicher ans Pult heran zu Herrn Chang, der gerade dabei war, seine Sachen in seine Tasche zu räumen. "Ähm... Entschuldigung?", stammelte Yoongi unsicher und blickte zu seinem Lehrer, doch als sich dessen Augen auf ihn richteten, sah Yoongi schnell woanders hin.
"Was ist denn, Yoongi? Gibt es ein Problem?", fragte Herr Chang und zog die Stirn kraus, was Yoongi jedoch nicht sehen konnte.
"I-ich hab k-keine Eltern und- wer soll den Zettel unterschreiben?", ratterte Yoongi herunter und trat nervös von einem Bein auf das andere.
Herr Chang blickte überrascht auf und musterte Yoongi für einen Moment, bevor er sanft den Kopf neigte. "Ah, ich verstehe", sagte er mit einer nachdenklichen Miene. Er schob die Brille, die ihm auf der Nasenspitze saß, ein wenig nach oben und legte den Stift, den er in der Hand gehalten hatte, vorsichtig auf den Tisch. "Mach dir darüber keine Sorgen, Yoongi."
Yoongi fühlte, wie sein Herz in seiner Brust schneller schlug. Er hatte Angst, dass er nicht mit nach Seoul kommen könnte, nur weil er niemanden hatte, der für ihn unterschreiben konnte. Es war schon schwer genug, sich in der neuen Schule zurechtzufinden, und jetzt stand er vor einem weiteren Problem, das ihn wieder in die Rolle des Außenseiters drängte.
Herr Chang musterte ihn einen Moment länger, als ob er die Unsicherheit und die Angst in Yoongis Augen lesen konnte. Dann sprach er beruhigend: "Wir können das regeln, keine Sorge. Hast du einen Vormund, bei dem du lebst? Vielleicht ein anderes Familienmitglied?"
Yoongi nickte zögernd. "Ich lebe bei meiner Tante und meinem Onkel, aber ich weiß nicht..." Seine Stimme klang klein und unsicher.
Herr Chang verstand. "Ich werde mit der Schulleitung sprechen. Es gibt immer Lösungen für solche Situationen. Du wirst nicht wegen so etwas von der Fahrt ausgeschlossen, Yoongi." Er lächelte, um die Anspannung zu lösen. "Und falls es ein Problem gibt, klären wir das."
Yoongi spürte eine leichte Erleichterung, auch wenn der Knoten in seiner Brust noch immer nicht ganz verschwunden war. "Danke, Herr Chang", murmelte er leise und wandte sich dann ab, um das Klassenzimmer zu verlassen.
Draußen wartete Namjoon bereits auf ihn, lehnte lässig an der Wand und grinste, als er Yoongi kommen sah. "Na, was hat Herr Chang gesagt?", fragte er neugierig und schob sich seine Brille zurück auf die Nase.
"Nichts, alles gut", antwortete Yoongi, bemühte sich aber, ruhig zu bleiben. Er wollte nicht, dass seine Freunde sich Sorgen machten oder bemerkten, wie tief ihn das Thema wirklich beschäftigte.
Namjoon nickte zufrieden, nahm das scheinbar als Bestätigung und schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter. "Gut zu hören. Komm, die anderen warten schon draußen."
Yoongi folgte Namjoon durch die Flure der Schule, sein Kopf jedoch war noch immer mit Gedanken an die bevorstehende Fahrt nach Seoul gefüllt. Er wollte unbedingt mitfahren, wollte diese Erfahrung mit seinen neuen Freunden teilen und vielleicht endlich das Gefühl haben, dass er irgendwo dazugehörte. Aber die Sorge, dass doch noch etwas schiefgehen könnte, lastete schwer auf ihm.
Als sie das Schulgebäude verließen, sah Yoongi Hoseok und Jimin, die lachend bei den Fahrradständern standen und auf sie warteten. Hoseok winkte ihnen zu, sein Gesicht strahlte wie immer vor Freude. "Hey, da seid ihr ja! Seid ihr bereit für die beste Fahrt eures Lebens?", rief er ihnen zu.
Yoongi konnte nicht anders, als sich anzustecken lassen, zumindest ein wenig. Er zwang sich zu einem Lächeln, auch wenn der Knoten in seiner Brust noch immer nicht ganz verschwunden war. "Ja, klar", antwortete er und versuchte, so normal wie möglich zu klingen.
"Ich schlaf' mit Yoongi in einem Zimmer", kündigte Hoseok sofort an und warf einen Arm um den Kleineren. Yoongis Wangen färbten sich augenblicklich unwillkürlich rot und er schaute schnell zu Boden, um nicht aufzufallen. "Er ist mein Cousin. Ich will auch bei ihm im Zimmer sein!", beschwerte Jimin sich und verschränkte seine Arme vor der Brust.
"Ich geh' eh mit Tae und Jin auf ein Zimmer", sagte Namjoon und lächelte. "Ey, perfekt! Dann kommt Kook noch zu uns und dann sind wir voll!", freute Hoseok sich und zog den knallroten Yoongi in eine Umarmung.
Yoongi fühlte sich wie ein überhitzter Motor. Sein Herz raste, und seine Gedanken waren ein Wirbelsturm aus Verwirrung und Nervosität. So viel körperliche Nähe war er einfach nicht gewohnt, besonders nicht von jemandem wie Hoseok, der scheinbar keine Hemmungen hatte, seine Zuneigung offen zu zeigen. Yoongi spürte, wie seine Wangen noch heißer wurden, und er versuchte verzweifelt, ruhig zu bleiben.
Und in diesem Moment vergaß Yoongi alle Sorgen, die er sich um den Ausflug gemacht hatte, sondern freute sich darauf, was vielleicht auch daran lag, dass der Junge, der ihm den Kopf verdreht hatte, ihn umarmte und freiwillig auf seinem Zimmer haben wollte.

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»𝐍𝐨𝐭 𝐀 𝐆𝐢𝐫𝐥« ˢᵒᵖᵉ
Fanfiction⭑𝘭𝘢𝘶𝘧𝘦𝘯𝘥⭑ Yoongi ist kein Mädchen. Yoonji war ein Mädchen, aber nur äußerlich. Im Inneren war sie immer Yoongi, ein Junge. • • • Nach dem Tod seiner Eltern zieht Yoongi zu seiner Verwandtschaft nach Gwangju. Er muss mit vollkommen fremden M...