Als Yoongi an diesem Nachmittag von der Schule nach Hause kam, fühlte er sich erschöpft, als hätte er ein ganzes Jahr in einem einzigen Tag durchlebt. Seine Beine fühlten sich schwer wie Blei an, als er die Treppe zu der Wohnung hinaufstieg. Seine gesamte Energie war aus ihm gewichen und er hatte Probleme, geradeaus zu schauen, ohne dass die Welt zu drehen anfing.
Yoongi seufzte leise, als er endlich im dritten Stock angekommen war und es trotz zitternder Hände geschafft hatte die Wohnungstür aufzuschließen. Es war niemand zu Hause, was hieß, dass er sich entweder eine Packung Ramen oder die Reste vom vorherigen Abendessen aufwärmen musste. Sein Magen knurrte leicht, doch das Gefühl war ihm unangenehm, und er beschloss, das Abendessen auszulassen. Er wollte einfach nur ins Bett, die Augen schließen und diesen Tag hinter sich lassen. Doch bevor er sich in die vertraute Umarmung der Decke werfen konnte, musste er sich umziehen. Die Schuluniform klebte unangenehm an seiner Haut, und das Gefühl der Enge verstärkte das Unbehagen in ihm nur noch mehr.
Yoongi schloss die Zimmertür hinter sich und warf seine Schultasche achtlos in die Ecke. Die Energie, die ihn noch am Morgen begleitet hatte, war nun vollständig verflogen. Müde zog er die Krawatte aus und warf sie auf den Stuhl. Dann folgte das Hemd, das er langsam aufknöpfte und schließlich ebenfalls achtlos zu Boden fallen ließ. Als er nur noch in seiner Boxershorts und dem Binder dastand, der seinen Oberkörper eng umschloss, hob er den Kopf und blickte in den Spiegel, der an der Wand gegenüber seinem Bett hing.
Das Bild, das ihn aus dem Spiegel anstarrte, traf ihn wie ein Schlag. Sein Körper war immer noch nicht das, was er sich wünschte. Nicht das, was er in sich selbst sehen wollte. Er sah kein junges Mädchen, das war klar, aber er sah auch keinen jungen Mann. Nur eine Gestalt, die zwischen den Welten hing, unfähig, sich in die eine oder andere Richtung zu bewegen.
Yoongi fuhr mit den Fingern über seinen flachen Bauch, wünschte sich, dass er mehr Konturen hätte, mehr Muskeln. Seine Gedanken wanderten unwillkürlich zu Hoseok, dessen Körper er erst gestern am Fluss gesehen hatte. Der Gedanke an Hoseoks muskulöse Arme, seine breite Brust und die Definition seiner Bauchmuskeln ließ eine Welle der Verzweiflung durch Yoongi rollen. Warum konnte er nicht so sein? Warum musste sein Körper ihn ständig daran erinnern, dass er nicht war, wer er sein wollte?
Tränen sammelten sich in seinen Augen, und bevor er sich versah, rollten sie seine Wangen hinunter. Der Anblick seines eigenen verzerrten Gesichts im Spiegel schnitt ihm tief ins Herz. Er fühlte sich verloren, gefangen in einem Körper, der ihm fremd war, der ihn verriet, immer wieder. Die Worte, die er so oft in sich hineingefressen hatte, hallten in seinem Kopf wider: Du bist nicht genug.
Ein leises Schluchzen entwich ihm, und er konnte sich nicht länger auf den Beinen halten. Yoongi sank auf den Boden vor dem Spiegel, seine Arme um sich geschlungen, als könnte er sich so vor der schmerzhaften Realität schützen. Nun saß er auf dem kalten Boden, zusammengerollt wie ein kleines Kind, das sich vor einem Monster verstecken wollte. Nur, dass das Monster diesmal in ihm selbst lauerte. Seine Schultern zuckten unter dem Gewicht der aufkommenden Verzweiflung, während die Tränen unaufhaltsam flossen. Die Leere in seinem Inneren fühlte sich wie ein schwarzes Loch an, das alles Licht und alle Hoffnung verschlang.
Er wünschte sich so sehr, dass es anders wäre, dass er anders wäre. Aber hier, alleine in diesem stillen Raum, fühlte er sich so verletzlich wie nie zuvor. In seinen Gedanken vermischten sich Bilder aus Erinnerungen und seine ohnehin schon verwirrten Gefühle miteinander. Er erinnerte sich an die Worte seiner Freunde aus Daegu, die Leichtigkeit, mit der Hoseok durch das Leben ging, die unerschütterliche Energie von Jimin – sie alle schienen etwas zu haben, das ihm fehlte. Etwas, das er niemals erreichen konnte. Yoongi fragte sich, wie sie es schafften, so zu sein, wie sie waren, ohne dass ihnen ständig dieser düstere Schatten folgte. Er fühlte sich wie ein Außenseiter, als wäre er in einer Welt gefangen, die nicht für ihn gemacht war.
Und dann war da noch die Schuld. Die überwältigende Schuld, die in ihm aufstieg, wenn er an seine Familie dachte. An seine Eltern, die nicht mehr da waren, die ihn aber geliebt hatten, wie er war. Yoongi konnte den Gedanken nicht ertragen, dass er ihnen solche Probleme bereiten würde, wenn sie noch lebten. Dass sie sich Sorgen gemacht hätten, dass sie ihn hätten trösten wollen, während er sich doch nur noch weiter in sich selbst verlor.
Er fühlte sich so wertlos, so unglaublich klein und unbedeutend. Es war, als ob jede Entscheidung, die er jemals getroffen hatte, falsch gewesen war, als ob er nur ein Fehler in einem großen, fehlerfreien System war. Ein störender Fleck, den die Welt gerne auslöschen würde.
Yoongi legte den Kopf auf seine Knie und zog sie noch enger an seine Brust. Die Dunkelheit, die ihn umgab, war allumfassend. Kein Lichtstrahl konnte sie durchdringen, kein Trost konnte ihn erreichen. Die Gedanken kreisten immer schneller in seinem Kopf, eine Spirale der Selbstzweifel, die ihn immer tiefer hinabzog.
Er wollte niemandem zur Last fallen. Doch in ihm machte sich das Gefühl breit, dass seine Existenz nur eine Last für diejenigen war, die ihn liebten. Die Liebe, die er von seinen Freunden und seiner Familie bekam, fühlte sich unverdient an, als ob er sie nicht wert wäre. Sie alle kannten ihn nicht wirklich, weil, wenn sie es täten, sie ihn sicherlich verlassen würden.
Yoongi wollte einfach nur, dass der Schmerz aufhörte. Er wollte nicht mehr dieses Gewicht tragen müssen, nicht mehr ständig gegen sich selbst kämpfen müssen. Aber er wusste nicht, wie. Er wusste nicht, wie er aus diesem dunklen, erdrückenden Loch herausfinden sollte, in das er gefallen war.
Die Minuten verstrichen, während Yoongi weiter auf dem Boden kauerte, unfähig, sich zu bewegen. Die Welt außerhalb dieses Raumes war weit entfernt, und er hatte das Gefühl, dass sie ohne ihn besser dran wäre. Jeder Atemzug fühlte sich an wie ein Kampf, den er nicht mehr gewinnen konnte.
Yoongi wünschte sich nichts sehnlicher, als einfach zu verschwinden, als ob er nie existiert hätte. Die Gedanken, die in seinem Kopf tobten, waren schwer und dunkel, und er fühlte sich machtlos, ihnen etwas entgegenzusetzen. Und so blieb er dort sitzen, gefangen in einem Wirrwarr aus Schmerz und Verzweiflung, während die Welt um ihn herum weiterging, als wäre nichts geschehen.

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»𝐍𝐨𝐭 𝐀 𝐆𝐢𝐫𝐥« ˢᵒᵖᵉ
Fanfiction⭑𝘭𝘢𝘶𝘧𝘦𝘯𝘥⭑ Yoongi ist kein Mädchen. Yoonji war ein Mädchen, aber nur äußerlich. Im Inneren war sie immer Yoongi, ein Junge. • • • Nach dem Tod seiner Eltern zieht Yoongi zu seiner Verwandtschaft nach Gwangju. Er muss mit vollkommen fremden M...