Yoongi schlenderte durch die dunklen, schmalen Gassen von Gwangju, die nur spärlich von den orangefarbenen Straßenlaternen erleuchtet wurden. Er hatte sich um 21:32 Uhr mit der Ausrede, noch schnell etwas für die Schule kaufen zu müssen, rausgeschlichen und streifte seit etwa einer halben Stunde durch die Stadt. Zuzugeben, dass er sich verlaufen hatte, würde er nicht. Sein Handy lag auf seinem Nachttisch und war dabei zu laden, weswegen er es dort gelassen und lediglich sein Portmonee und einen Haustürschlüssel mitgenommen hatte.
Die Stadt, die tagsüber so lebendig und voller Energie war, wirkte nun wie ein Schatten ihrer selbst. Es war, als hätte jemand die Lautstärke des Lebens heruntergedreht, und alles, was übrig blieb, war ein leises Summen im Hintergrund.
Die kühle Nachtluft ließ ihn frösteln, obwohl es noch Sommer war. Er wollte sich einfach in eine der stillen Ecken setzen und für eine Weile verschwinden. Doch kurz darauf drängte er diesen Gedanken sofort wieder weg. Er wusste, dass es nichts bringen würde, und trotzdem konnte er nicht anders, als sich von der Dunkelheit angezogen zu fühlen. Es war, als ob sie ihn einlud, in ihr zu versinken, um den Schmerz und die Verwirrung für eine Weile zu vergessen.
Er war sich nicht sicher, wie weit er inzwischen gelaufen war. Die vertrauten Straßen waren hinter ihm verschwunden, und er hatte das Gefühl, sich in einem Labyrinth aus Gassen und Hinterhöfen zu verlieren. Aber das war ihm egal. Vielleicht war es sogar genau das, was er wollte. Sich verlieren, weg von den Menschen und den Erwartungen, die er niemals erfüllen konnte.
Yoongi seufzte schwer und blieb stehen, lehnte sich an die kalte Ziegelwand eines verlassenen Gebäudes. Sein Atem war leicht beschleunigt, nicht von der Anstrengung des Laufens, sondern von der Angst und der Unruhe, die in ihm brodelten. Der Boden unter seinen Füßen fühlte sich instabil an, als ob er jeden Moment wegbrechen könnte und ihn in eine bodenlose Tiefe ziehen würde.
Yoongi senkte den Blick und sah seine eigenen Füße, die in abgetragenen Turnschuhen steckten. Die Schnürsenkel waren locker, schafften es nicht mehr zusammenzuhalten, genau wie er selbst. Alles in ihm fühlte sich so leer an, so erschöpft. Es war, als ob er keine Energie mehr hatte, um weiterzukämpfen. Um gegen die Gedanken anzukämpfen, die ihm ständig ins Ohr flüsterten, dass er nicht genug war, dass er niemals genug sein würde.
"Ist alles in Ord- Yoongi?" Eine verwirrte Stimme ertönte an Yoongis rechtem Ohr und er hob überrascht den Kopf. Er blinzelte überrascht und wandte den Kopf in Richtung der vertrauten Stimme. Vor ihm stand Hoseok, seine Stirn leicht gerunzelt, aber mit einem sanften Lächeln auf den Lippen. Seine warme Ausstrahlung schien den kalten Hauch der Nacht um sie herum sofort zu vertreiben. Hoseok trug eine bequeme, lockere Trainingsjacke und eine Baseballkappe, unter der seine Haare hervorquollen.
"Was machst du hier so spät?", fragte Hoseok, während er leicht den Kopf zur Seite neigte und ihn prüfend ansah. "Ich hab dich fast nicht erkannt. Es ist gefährlich, so spät noch allein rumzulaufen."
Yoongi wusste nicht, was er sagen sollte. Er fühlte sich ertappt, als ob jemand einen Blick in sein innerstes Selbst geworfen hätte, in die Teile von ihm, die er so verzweifelt zu verbergen versuchte. "Ich... äh...", stotterte er und fühlte sich plötzlich unbehaglich. Die kühle Nachtluft, die ihn vorher noch betäubt hatte, fühlte sich nun viel intensiver an, als die Realität auf ihn zurückprallte. "Ich musste... Ich wollte... nur etwas frische Luft schnappen."
Hoseok betrachtete ihn für einen Moment schweigend, als ob er versuchte, die Wahrheit hinter Yoongis Worten zu erkennen. Dann schüttelte er kurz den Kopf und sagte: "Es ist ziemlich spät, und du bist ganz allein unterwegs. Willst du vielleicht mit mir zum Supermarkt gehen? Ich wollte sowieso noch ein paar Sachen holen, und es ist nicht weit von hier."
Yoongi war versucht, abzulehnen und einfach weiterzugehen, aber etwas in Hoseoks Blick hielt ihn zurück. Es war keine aufdringliche Sorge, sondern vielmehr eine sanfte Aufforderung, die Yoongi das Gefühl gab, dass es in Ordnung war, nicht okay zu sein. Nach einem Moment des Zögerns nickte Yoongi langsam. "Okay... ich komme mit."
Die beiden Jungen machten sich auf den Weg, und obwohl sie nicht viel sprachen, war die Anwesenheit von Hoseok für Yoongi beruhigend. Es war, als ob die Nähe eines Freundes die Dunkelheit in seinem Kopf ein wenig lichter machte. Die Schritte der beiden hallten leise auf dem Asphalt wider, während sie durch die leeren Straßen gingen.
Hoseok war wie ein Anker in dieser unruhigen Nacht, und Yoongi war dankbar dafür, auch wenn er es nicht laut aussprach. Stattdessen konzentrierte er sich auf die Geräusche um sich herum – das leise Rascheln der Blätter im Wind, das entfernte Summen der Stadt und das rhythmische Geräusch ihrer Schritte auf dem Asphalt.
Als sie schließlich den kleinen Supermarkt erreichten, drückte Hoseok die Tür auf und hielt sie für Yoongi offen. Drinnen war es ruhig, nur das Summen der Kühlregale und das leise Piepen der Kasse durchbrachen die Stille. Hoseok griff nach einem Korb und begann, durch die Gänge zu schlendern, während Yoongi ihm stumm folgte.
"Was brauchst du eigentlich?", fragte Yoongi schließlich, mehr aus einem Bedürfnis heraus, die bedrückende Stille zu durchbrechen, als aus echtem Interesse.
Hoseok drehte sich zu ihm um und lächelte leicht. "Eigentlich nicht viel. Ich wollte nur ein paar Snacks und Getränke holen. Nichts Besonderes." Er griff nach einer Tüte Chips und warf sie in den Korb. "Aber weißt du, manchmal tut es gut, einfach mal rauszugehen und sich ein bisschen abzulenken, oder?"
Yoongi nickte langsam. "Ja, hast recht."
Und zu diesem Zeitpunkt war Yoongi noch nicht klar, wie viel hinter den Worten des anderen Jungen steckte.
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»𝐍𝐨𝐭 𝐀 𝐆𝐢𝐫𝐥« ˢᵒᵖᵉ
Fanfiction⭑𝘭𝘢𝘶𝘧𝘦𝘯𝘥⭑ Yoongi ist kein Mädchen. Yoonji war ein Mädchen, aber nur äußerlich. Im Inneren war sie immer Yoongi, ein Junge. • • • Nach dem Tod seiner Eltern zieht Yoongi zu seiner Verwandtschaft nach Gwangju. Er muss mit vollkommen fremden M...