Kapitel 33

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Yoongi lag auf seinem Bett, die Decke bis zur Brust hochgezogen, während die schwachen Sonnenstrahlen durch die Jalousien fielen und den Raum in ein gedämpftes Licht tauchten. Seine Atmung hatte sich endlich beruhigt, doch seine Gedanken schienen immer noch wie ein Wirbelsturm durch seinen Kopf zu schießen. Es war nicht das erste Mal, dass er so zusammengebrochen war, aber dieses Mal war es anders gewesen. Intensiver. Unkontrollierbarer.

Er hörte die Stimme seiner Tante, die aus dem benachbarten Wohnzimmer zu ihm drang. Seine Tante Soojin telefonierte. Mit wem wusste er nicht. Ihre Stimme war gedämpft und Yoongi spürte ein dumpfes Ziehen in seiner Brust. Sie hatte ihn eben von der Schule abgeholt, hatte sich auf der Arbeit abgemeldet, um sich um ihn zu kümmern.

"...Ja, es war schlimm. Er ist jetzt zu Hause. Ich mache mir Sorgen um ihn", hörte er Soojin sagen. Yoongi zuckte zusammen. Es ging offensichtlich um ihn. Er drehte sich auf die Seite und zog die Decke fester um sich, seine Stirn in Falten gelegt.

Plötzlich fiel der Name "Hoseok". Yoongis Herzschlag beschleunigte sich sofort. Hoseok. Was war mit ihm?

"Ja, Karo", fuhr Soojin fort, ihre Stimme wurde etwas lauter. "Als ich Yoongi abgeholt habe, habe ich mitbekommen, dass irgendwas los war mit diesem Jungen... Jaehyun, richtig? Jimin hat immer erzählt, dass der viel Ärger macht, aber Hoseok? Warum sollte Hoseok sich mit Jaehyun prügeln?"

Yoongis Augen öffneten sich abrupt und er starrte auf das Lattenrost von Jimins Bett über ihm. Hoseok hatte sich geprügelt? Mit Jaehyun? Warum? Wieso hätte Hoseok so etwas tun sollen? Ein unruhiges Gefühl kroch in Yoongis Magen, und er setzte sich vorsichtig auf, sein Kopf war plötzlich wie benebelt.

"...Was?! Er wurde suspendiert?", hörte er Soojin weiterreden, ihre Stimme klang jetzt angespannt. "Das ist so gar nicht seine Art. Karo, ich verstehe, dass du besorgt bist..." Es folgte eine kurze Pause, dann ein Seufzen. "Ja, natürlich. Ich werde mit Yoongi darüber sprechen, aber... ich glaube, er weiß noch nichts davon."

Yoongi konnte die Worte kaum verarbeiten. Hoseok war suspendiert worden? Was hatte er getan, dass es so weit gekommen war? Er erinnerte sich vage daran, dass Hoseok bei ihm gewesen war, als die Panikattacke ihn überwältigt hatte. Er erinnerte sich an Hoseoks zittrige Hände, wie er versucht hatte, ihn zu beruhigen, wie verzweifelt er gewesen war, Yoongi zu helfen. Und dann... Jaehyun. Jaehyuns Stimme, die höhnischen Bemerkungen, die ganze Situation in der Toilette. Yoongi hatte kaum mitbekommen, was danach passiert war, aber jetzt fügte sich alles zusammen.

Jaehyun hatte wahrscheinlich etwas gesagt. Etwas Gemeines. Etwas, das Hoseok auf die Palme gebracht hatte. Und Hoseok... war ausgeflippt.

Yoongi spürte ein Stechen in seiner Brust. Das war alles wegen ihm. Hoseok hatte sich wegen ihm geprügelt. Wegen seiner Schwäche, wegen seiner Unfähigkeit, mit seiner Panik umzugehen. Und jetzt musste Hoseok die Konsequenzen tragen. Suspendiert. Das war keine Kleinigkeit. Hoseoks Eltern mussten enttäuscht sein. Und alles nur wegen ihm.

"Ja, ich glaube, Yoongi braucht noch Zeit, um das zu verarbeiten", sagte Soojin, ihre Stimme klang nun wieder etwas ruhiger. "Ich werde nachher mit ihm reden. Karo, bitte grüß Hoseok von mir und sag ihm, dass er sich keine Sorgen machen soll. Er hat nur versucht, seinem Freund zu helfen, da bin ich mir sicher."

Yoongi hörte, wie seine Tante das Gespräch beendete, gefolgt von der plötzlichen Stille im Haus. Er atmete tief durch, seine Hände umklammerten die Decke, während seine Gedanken unaufhörlich kreisten.

Hoseok hatte alles für ihn riskiert. Er hatte sich geprügelt, weil Jaehyun sich über ihn lustig gemacht hatte. Hoseok hatte ihn verteidigt. Ein Gefühl von Schuld und Scham wuchs in Yoongi. Hoseok hätte das nicht tun müssen. Es war nicht Hoseoks Aufgabe, ihn zu beschützen. Und jetzt... jetzt musste er dafür büßen.

Yoongi biss sich auf die Lippe, sein Kopf dröhnte vor lauter Gedanken. Was sollte er jetzt tun? Er konnte Hoseok nicht einfach damit allein lassen. Aber gleichzeitig wusste er nicht, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Was konnte er überhaupt sagen? 'Es tut mir leid'? Würde das überhaupt etwas ändern? Wahrscheinlich nicht. Die Wut und Enttäuschung, die Hoseok jetzt fühlte, könnten dadurch nicht einfach verschwinden.

Er musste mit ihm reden. Er musste herausfinden, was genau zwischen Hoseok und Jaehyun vorgefallen war, und er musste sich irgendwie dafür entschuldigen.

Yoongi hielt das Handy in seiner Hand. Er starrte auf den leeren Bildschirm, sein Daumen zitterte über der Tastatur. Er wollte Hoseok eine Nachricht schreiben – irgendetwas, das ausdrückte, wie schuldig er sich fühlte, wie leid es ihm tat, dass Hoseok in diese Situation geraten war. Aber er wusste nicht, wo er anfangen sollte. Was sollte er schreiben? Nichts schien richtig oder ausreichend zu sein. Die Worte steckten in seiner Kehle fest, wie ein Kloß, der ihm das Atmen erschwerte.

Gerade als er begann, eine Nachricht zu tippen, hörte er Schritte auf dem Flur. Er versteifte sich und schob sein Handy schnell unter die Decke, als die Tür aufging. "Yoongi," begann Soojin sanft, "wie fühlst du dich?"

Er zwang sich zu einem schwachen Lächeln, obwohl seine Schultern sich anspannten. "Mir geht's gut", log er, obwohl er wusste, dass sie ihm nicht glauben würde. Sie kannte ihn gut genug, um die Wahrheit in seinen Augen zu erkennen, aber er wollte nicht, dass sie weiter bohrte.

Soojin ließ sich auf den Schreibtischstuhl sinken und beobachtete ihn aufmerksam. Ihre Augen musterten sein Gesicht, als suche sie nach einem Hinweis, was in ihm vorging. "Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst, oder?" Ihre Stimme war weich, fast mütterlich, aber Yoongi konnte das Mitleid darin hören. "Ich mache mir Sorgen um dich."

Yoongi wandte den Blick ab, seine Hände verkrampft in der Bettdecke. Er wollte nicht reden. Nicht darüber. Nicht jetzt. "Es ist wirklich nichts", murmelte er, seine Stimme kaum mehr als ein Flüstern.

Soojin seufzte leise. "Yoongi, ich habe mit Hoseoks Mutter gesprochen... Ich weiß, dass heute einiges passiert ist."" Sie machte eine kurze Pause, als ob sie auf eine Reaktion wartete, aber Yoongi starrte nur stur auf den Boden. "Ich verstehe, dass es dir schwerfällt, darüber zu reden. Aber es könnte dir helfen, alles zu verarbeiten."

Yoongi spürte, wie sich sein Magen verkrampfte. "Es ist wirklich okay", sagte er etwas lauter, aber nicht überzeugender. "Ich... brauche nur ein bisschen Ruhe, das ist alles."

Soojin seufzte erneut, diesmal tiefer, als ob sie wusste, dass sie ihn nicht zwingen konnte, zu reden. Sie musterte ihn einen Moment lang, bevor sie langsam aufstand. "Ich habe dir etwas zu essen gemacht", sagte sie schließlich und deutete auf den Teller, den sie auf den Nachttisch gestellt hatte, als sie hereingekommen war. "Es ist wichtig, dass du isst, auch wenn du dich nicht danach fühlst."

Yoongi warf nur einen kurzen Blick auf den Teller – eine Schüssel mit Reis und Kimchi. Doch allein der Gedanke ans Essen ließ seinen Magen sich umdrehen. Der Druck, den er die ganze Zeit gespürt hatte, schien ihn noch mehr einzuengen. "Ich habe keinen Hunger", murmelte er und wich ihrem Blick aus.

"Yoongi...", begann Soojin, doch er unterbrach sie schnell.

"Bitte... Es ist okay. Wirklich." Seine Stimme war schwach, aber fest genug, dass sie einen Moment lang zögerte, bevor sie resigniert nickte.

"Okay", sagte sie leise. "Aber ich lasse das Essen hier. Falls du doch Hunger bekommst, ja?" Sie legte eine Hand auf seine Schulter, verharrte einen Moment und verließ dann den Raum.

Sobald die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, atmete Yoongi tief durch. Die Enge in seiner Brust ließ kurz nach, aber nur für einen Augenblick. Dann kehrte sie mit voller Wucht zurück. Sein Herz klopfte immer noch unruhig in seiner Brust, und sein Kopf fühlte sich schwer an. Alles war so viel komplizierter geworden, und er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte.

Er zog das Handy wieder hervor und öffnete den Chat mit Hoseok, dessen Name sofort auf dem Bildschirm leuchtete. Der Text blinkte auf, die Worte schienen ihn anzustarren. Aber Yoongi konnte einfach nicht tippen. Jede einzelne Nachricht, die ihm durch den Kopf ging, erschien ihm nicht gut genug.

Sein Finger schwebte über dem Bildschirm, bevor er das Handy schließlich seufzend zur Seite legte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 23 ⏰

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»𝐍𝐨𝐭 𝐀 𝐆𝐢𝐫𝐥« ˢᵒᵖᵉWo Geschichten leben. Entdecke jetzt