Kapitel 22

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Am nächsten Tag war die Schule wie immer ein chaotisches Durcheinander aus Stimmen, Gelächter und dem Geruch von Schweoß. Doch für Yoongi fühlte es sich anders an – als wäre er irgendwie abgekoppelt von allem. Seine Gedanken schweiften immer wieder zu Jimin und dem, was er ihm am Abend zuvor erzählt hatte. Die Wette, die Mädchengeschichten, Taehyung... es war zu viel. Und der Schmerz von den Verletzungen, die Jaehyun ihm zugefügt hatte, war auch noch nicht vollständig abgeklungen. Sein Rücken fühlte sich bei jedem Schritt steif an, und seine Rippen pochten mit jedem Atemzug.

In der Mittagspause ging er durch die leeren Flure, auf der Suche nach ein wenig Ruhe. Er wollte einfach nur einen Moment allein sein. Der Lärm der Cafeteria und die überfüllten Klassenräume schienen ihm den letzten Nerv zu rauben.

Als er die Tür zur Jungentoilette öffnete, hörte er es – ein leises, unterdrücktes Schluchzen. Yoongi blieb wie angewurzelt stehen. Das Schluchzen kam von der hintersten Kabine, und es war eindeutig der Ton eines Jungen, die versuchte, die Tränen zurückzuhalten.

Yoongi trat langsam näher, unsicher, was er tun sollte. "Hallo?", rief er leise, aber es kam keine Antwort. Stattdessen wurde das Schluchzen noch leiser. Yoongi seufzte und näherte sich weiter, bis er schließlich die Kabinentür halb offen stehen sah. Er spähte vorsichtig hinein und erkannte die schlanke Gestalt, die zusammengesunken auf dem Boden saß.

"Hoseok?" Yoongis Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Er hatte nicht erwartet, ihn hier zu finden – und schon gar nicht so. Hoseok, der immer so fröhlich und energisch wirkte, saß jetzt mit angezogenen Knien und tränenüberströmtem Gesicht in der Ecke der Kabine, als wäre er ein ganz anderer Mensch.

Hoseok hob den Kopf, als er Yoongis Stimme hörte, und wischte sich hastig über das Gesicht. "Yoongi..." Seine Stimme klang heiser und gebrochen, und er versuchte ein schwaches Lächeln, das jedoch sofort wieder verschwand.

Yoongi setzte sich neben ihn und legte vorsichtig eine Hand auf Hoseoks Arm. "Was ist passiert?"

Hoseok schluckte schwer und schüttelte den Kopf. "Es... es ist nichts. Ich... ich bin nur..." Doch die Worte blieben ihm im Hals stecken, und statt weiterzureden, brach er erneut in Tränen aus.

Yoongi wusste nicht genau, was er tun sollte. Hoseok war jemand, den er immer bewundert hatte – für seine Stärke, seine Leichtigkeit, mit der er durch das Leben ging. Aber jetzt, in diesem Moment, war er genauso verletzlich wie jeder andere. Yoongi wusste, wie es sich anfühlte, allein zu sein mit seinen Sorgen, also setzte er sich einfach neben Hoseok und ließ ihm die Zeit, die er brauchte.

"Du musst nicht reden, wenn du nicht willst", sagte Yoongi schließlich leise. "Aber du musst auch nicht allein hier sitzen."

Hoseok schluchzte noch ein paar Mal, bevor er sich langsam beruhigte. Dann lehnte er seinen Kopf gegen die Wand hinter sich und seufzte tief. "Es ist nur... es ist alles gerade so scheiße", murmelte er.

Yoongi nickte. "Ja, ich weiß, was du meinst."

Hoseok sah zu ihm herab, und ihre Blicke trafen sich. Für einen Moment war da etwas in Hoseoks Augen, das Yoongi nicht deuten konnte – vielleicht Dankbarkeit, vielleicht etwas anderes. Aber es fühlte sich intensiv an, als ob sie plötzlich eine Verbindung hatten, die tiefer ging als nur Freundschaft.

"Ich..." Hoseok zögerte, dann sprach er weiter. "Ich weiß nicht, ob du das verstehst, aber manchmal fühlt es sich an, als ob die ganze Welt von dir erwartet, dass du immer stark bist. Als ob du immer derjenige sein musst, der alle anderen aufheitert. Aber manchmal... kann ich das einfach nicht."

Yoongi sah ihn nachdenklich an. "Ja, ich verstehe das. Manchmal muss man einfach aufhören, stark zu sein. Man muss sich erlauben, auch schwach zu sein."

»𝐍𝐨𝐭 𝐀 𝐆𝐢𝐫𝐥« ˢᵒᵖᵉWo Geschichten leben. Entdecke jetzt