Kapitel 05

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Yoongi und Jimin verließen die Wohnung und traten hinaus in die warme, sommerliche Luft von Gwangju. Der Himmel war strahlend blau, und eine sanfte Brise wehte durch die Straßen, die das Summen des Stadtlebens erfüllte. Menschen gingen geschäftig ihren Besorgungen nach, und die Geräusche der Stadt dröhnten in Yoongis Ohren. Er fühlte sich wie ein kleiner, unbedeutender Punkt in dieser großen, lauten Welt. Vielleicht war er das auch.

Jimin plauderte fröhlich neben ihm her und erzählte ihm alles über seine Freunde Hoseok und Taehyung. "Hobi ist ein richtig lustiger Typ", sagte Jimin und lachte. "Er bringt dich zum Lachen, selbst wenn du einen schlechten Tag hast. Und Tae ... na ja, er ist ein bisschen seltsam, aber auf eine coole Art. Er macht die verrücktesten Sachen mit mir, auch, wenn Hobi deswegen manchmal echt genervt von ihm ist."

Doch Yoongi hörte kaum zu. Er steckte die Hände tief in die Hosentaschen und starrte auf den Boden, während sie durch die engen Straßen gingen. Seine Schritte fühlten sich schwer und unbeholfen an, als ob er durch tiefen Schlamm watete. Jedes Mal, wenn sie an einem Schaufenster vorbeikamen, spähte er verstohlen auf sein Spiegelbild und fragte sich, ob man ihm ansah, wer er wirklich war. Konnte man sehen, dass er transsexuell war? War es offensichtlich? Er fühlte sich, als ob die Augen der ganzen Welt auf ihn gerichtet wären, obwohl die Menschen um ihn herum mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt waren und ihm keine Beachtung schenkten.

"Yoongi? Hörst du mir zu?", fragte Jimin plötzlich und riss ihn aus seinen Gedanken. Yoongi blinzelte und hob den Kopf, um Jimin anzusehen. Sein Cousin lächelte ihn an, und für einen Moment fühlte sich Yoongi etwas leichter ums Herz. "Ja klar", log Yoongi und zwang sich zu einem schwachen Lächeln. Jimin nickte zufrieden und erzählte weiter, aber Yoongi fiel wieder in seine Gedanken zurück.

Als sie schließlich an einem modernen Apartmentgebäude ankamen, blieb Yoongi stehen und starrte auf die Tür. Es war, als ob ein unsichtbares Band ihn davon abhielt, weiterzugehen. Die Nervosität kroch in ihm hoch wie eine kalte Hand, die sein Herz umklammerte.

Jimin bemerkte seine Unsicherheit und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Hey, es wird alles gut", sagte er sanft. "Tae und Hobi sind die besten. Sie werden dich mögen, da bin ich sicher."

Yoongi nickte stumm, konnte aber die Angst nicht abschütteln. Jimin führte ihn die Treppe hinauf und klingelte schließlich bei K. Jung & H. Kim. Es dauerte nur wenige Sekunden, bis das Piepen ertönte und die beiden das große Gebäude betraten. Im Inneren war alles in einem strahlenden Weißton gestrichen, doch Yoongi hatte nicht viel Zeit, um sich umzuschauen, denn Jimin zog ihn mit sich in den dritten Stock. Die Tür der Wohnung wurde geöffnet und ein großer, schlanker Junge mit einem strahlenden Lächeln und blauen, verwuschelten Haaren erschien im Türrahmen. Er trug ein buntes Hemd und eine Sonnenbrille, die er lässig auf den Kopf geschoben hatte.

"Jimin! Und ein Freund von Jimin! Kommt rein, Jungs!", begrüßte er sie mit überschwänglicher Freude. Yoongi war einen Moment lang sprachlos von der Freundlichkeit, die ihm entgegengebracht wurde, und er konnte nicht anders, als ein kleines Lächeln zu erwidern.

Der Junge führte sie in die Wohnung, die warm und einladend wirkte. Überall standen Pflanzen, und die Wände waren mit Kunstwerken und Fotos bedeckt. Im Wohnzimmer saß ein kleiner Junge auf dem Boden und malte mit leuchtenden Farben auf einem großen Blatt Papier. Sein Gesicht war konzentriert, aber als er aufblickte und die Gäste sah, breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus.

"Jiminie!", rief er und sprang auf. Er rannte auf Jimin zu und warf sich um dessen Beine. Seine Augen waren groß und strahlend, und er hatte ein ansteckendes Lächeln, das sogar Yoongis angespanntes Herz ein wenig lockerte. Dann wandte sich der kleine Junge an Yoongi und legte den Kopf schief. "Wer bist du?", fragte er schüchtern und versteckte sich hinter dem Bein des Jungen mit den blauen Haaren.

"Das ist mein Cousin Yoongi", sagte Jimin an der Stelle von Yoongi und dieser war ihm dankbar dafür, denn er war so nervös, dass er keinen Ton herausgebracht hätte. "Ich wusste gar nicht, dass du einen Cousin hast! Wie konntest du uns so einen coolen Typen verheimlichen?", rief der Blauhaarige, dessen Namen Yoongi immer mich nicht kannte, frustriert und schlug Jimin spielerisch auf die Schulter.

"KIM TAEHYUNG! WO HAST DU MEIN SHIRT VERSTECKT?", ertönte plötzlich eine laute Stimme, die Yoongi zusammenzucken ließ. Einen Moment später erschien im Türrahmen der heißeste Typ, den Yoongi jemals gesehen hatte. Er trug nur Boxer und hatte ein Handtuch lässig über die Schulter geworfen. Seine nassen Haare waren verstrubbelt und tropften ab und zu auf seine nackte Haut.

Im nächsten Moment flog das Handtuch auf den Blauhaarigen - das musste wohl Taehyung sein, dachte Yoongi - und dieser fing an zu lachen. Erst dann schien der frisch geduschte Junge Yoongi und Jimin zu bemerken. Letzterer betrachtete ihn amüsiert, während Yoongis Wangen einen hellen Rotton angenommen hatten und er zu Boden blickte.

"Ich hab dein T-Shirt nicht. Eomma hat es, glaube ich, in die Wäsche geschmissen", verteidigte Taehyung sich und lenkte somit die Aufmerksamkeit zurück auf sich. "Ugh, das hatte ich extra über meinen Stuhl gehängt", meckerte der andere Junge und drehte sich um, vermutlich, um sich etwas anderes anzuziehen. "Nicht mein Problem!", rief Taehyung ihm hinterher.

Als eine Tür zuknallte, wandte Taehyung sich wieder Jimin und Yoongi zu. "Das war übrigens mein Bruder Hoseok", erklärte er Yoongi und deutete grinsend in die Richtung, in die Hoseok verschwunden war. "Und der Kleine da ist mein kleiner Bruder Yeontan. Eigentlich hat Hoseok noch 'ne Zwillingsschwester, aber die lebt gefühlt bei ihrem Freund zu Hause", fügte er hinzu und verdrehte zum Schluss die Augen.

"Kommt rein, setzt euch. Fühlt euch wie zu Hause", sagte Taehyung und winkte ihnen, ihm ins Wohnzimmer zu folgen. Yoongi und Jimin folgten ihm, während Yoongi sich bemühte, nicht zu auffällig zu wirken. Er konnte das Bild von Hoseok, wie er in seinen Boxern da stand, nicht aus seinem Kopf bekommen. Hoseok war unglaublich attraktiv und wirkte so selbstbewusst, dass Yoongi ihn sofort bewunderte.

Im Wohnzimmer war die Atmosphäre entspannt. Yeontan setzte sich wieder auf den Boden und malte weiter, während Taehyung begann, von den neuesten Streichen und Plänen für den restlichen Sommer zu erzählen, die er und Jimin gemacht hatten. Yoongi lauschte mit halbem Ohr, aber seine Gedanken schweiften immer wieder zu Hoseok ab.

Plötzlich öffnete sich eine Tür zu einem Nebenzimmer, und Hoseok trat ein, diesmal in einer lässigen Jeans und einem engen T-Shirt. Yoongis Herz machte einen Sprung. Hoseok strahlte eine Energie aus, die den Raum erhellte, und Yoongi fühlte sich plötzlich unsicher, wusste aber nicht warum.

"Hey Chim", begrüßte Hoseok Yoongi mit einem warmen Lächeln. Dann wandte er sich an Yoongi. "Du musst Yoongi sein, oder? Schön, dich kennenzulernen." Er streckte Yoongi die Hand entgegen, und Yoongi ergriff sie zögernd, fühlte die Wärme und Freundlichkeit, die von dem anderen Jungen ausging, in Hoseoks festem Händedruck. "D-danke", stammelte Yoongi, während er versuchte, seine Nervosität zu verbergen. "Es freut mich auch, dich kennenzulernen." Er konnte nicht fassen, wie sehr ihn Hoseok beeindruckte. Aber er schüttelte diesen Gedanken schnell wieder ab und versuchte sich einzureden, dass er Hoseok einfach nur cool fand. Schließlich war er hier, um Freunde zu finden, und nicht um sich zu verlieben.

Hoseok setzte sich neben Yoongi auf die Couch und begann, sich mit ihm zu unterhalten. "Also, Jimin hat mir erzählt, dass du neu in der Stadt bist. Wie gefällt dir Gwangju bisher?" fragte er neugierig. Yoongi überlegte kurz, bevor er antwortete. "Es ist ... anders als Daegu. Größer und hektischer irgendwie." Er fühlte sich ein wenig wohler, als er merkte, dass Hoseok wirklich an ihm interessiert war.

Während des Gesprächs sprang Yeontan plötzlich auf und setzte sich auf die andere Seite neben Yoongi. "Du bist also Jimins Cousin? Das ist soooo cool! Was ist dein Lieblingsessen? Hast du Haustiere? Magst du Videospiele?" Die Fragen sprudelten aus ihm heraus, und Yoongi musste lachen.

"Langsam, Yeontan, eine Frage nach der anderen", sagte Hoseok und wuschelte seinem kleinen Bruder liebevoll durch die Haare. "Gib Yoongi auch mal eine Chance, zu antworten."

Yoongi lächelte traurig. "Mein Lieblingsessen? Bibimbap. Haustiere habe ich keine, aber ich mag Hunde und Katzen. Und Videospiele? Bin ich echt nicht gut drin."

Yeontan nickte eifrig und erzählte dann von seinem eigenen Hund, einem kleinen, wuscheligen Terrier, mit dem seine Mutter gerade Gassi ging. Yoongi merkte, wie sich die Anspannung in ihm allmählich löste. Diese Familie war so anders als die Menschen, die er in Daegu kannte. Sie waren offen, freundlich und akzeptierend. Vielleicht könnten sie die Freunde sein, die er nie hatte.

»𝐍𝐨𝐭 𝐀 𝐆𝐢𝐫𝐥« ˢᵒᵖᵉWo Geschichten leben. Entdecke jetzt