Episode 15 || 4

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Stunden waren vergangen. Wieviele wusste ich gerade nicht genau, aber sie fühlten sich an wie Jahre. Nach zwei Stunden hatte ich bereits aufgehört, immer wieder auf meinen Handydisplay zu schauen, um die Uhrzeit zu überprüfen oder nachzusehen, ob es schon irgendwas Neues zu Suho und generell der Suche gab.
Doch egal wieviel Zeit verging, ohne dass etwas geschah, Ji wollte sich nicht von der Schaukel rühren. Wir waren schon mindestens 20 Mal um die Wette geschaukelt, hatten 30 Runden "Ich sehe was, was du nicht siehst" gespielt und ich war bestimmt schon um die 40 Runden um den Spielplatz gelaufen, nur um mich nach einer vollendeten Runde wieder luftschnappend neben Ji auf die Schaukel fallen zu lassen. Laufen half erstaunlicherweise sehr gegen die Langeweile und ich fühlte mich zumindest nicht nutzlos, immerhin tat ich irgendwas für meine Gesundheit. Das war auch bitter nötig und war ich meiner Gesundheit schuldig, so wie ich mich in der Kälte aufhielt.
Ji und ich redeten anfangs viel über alles Mögliche, doch mit der Zeit über nahm eine kühle Stille überhand. Würde Ji mir nicht nach jeder meiner Joggingrunden anerkennend zulächeln, ich würde sie für erfroren halten.
So wie sie da saß in ihrer Schaukel, sich nicht rührte und höchstens zu mir hoch sah, um wieder auf den Boden zu sehen, erinnerte sie mich an eine lebendige Eisskulptur.
Gerade drehte ich meine vielleicht 41.ste Runde um den Spielplatz. Die Strecke mit all ihren Rillen und Ritzen kannte ich schon auswendig und ich kam mir beim Laufen vor, als säße ich in einer Endlosschleife eines MP3 Players fest. Bloß dass das hier kein Lied war, welches sich immer wieder wiederholte, sondern ich, die Zeit und der Raum um mich herum. Alles wiederholte sich, immer und immer wieder.
Vor mir sah ich schon die letzte Ecke, ich musste nur noch dort abbiegen und ich würde wieder bei Ji an den Schaukeln ankommen. Sie würde mir wieder zu lächeln, ich würde mich wieder neben sie setzen und dort ein wenig bleiben, bis ich wieder losrannte. Ich beschleunigte meine Schritte, holte noch einmal tief Luft und gab alles für den Endspurt.
Plötzlich blieb ich stehen. Diese Runde war nicht wie die anderen Runden gewesen, es verlief nicht gleich und gleich ab. Etwas hatte sich verändert.
Und diese Veränderung hieß D.O, welcher mir entgegen kam und bei mir halt machte.
Kurz musterte er mich mit seinen großen Augen. Ich konnte an seinem Blick ablesen, dass ich mit meinen zerstrubbelten, roten Haaren, von der Kälte blauen Lippen und meinem Outfit nicht gerade hübsch aussah, doch glücklicherweise ersparte er sich jedes Kommentar zu meinem zweifelhaften Aussehen.
"Was genau machst du, Chris?", fragte er und ein leichtes amüsiertes Lächeln umspielte seine Lippen. Ich musste anscheinend ganz schön bescheuert wirken, so fühlte ich mich zumindest gerade.
"Ich vertreibe mir die Zeit mit Laufen", antwortete ich gelassen, als wäre es das Normalste auf der Welt. Erstaunlicherweise fiel mir Reden leichter als ich bei der Kälte gedacht hätte, mit Ji hatte ich schon seit einigen Runden kein Wort mehr gewechselt, wir hatten alle Themen aufgebraucht. Das meine Lippen noch nicht aufeinander festgefroren waren, grenzte an ein kleines Wunder.
"Soso, sehr vorbildlich und gesund", merkte D.O an, ohne dass sein belustigter Gesichtsausdruck in irgendeiner Weise wich. "Du wartest mit Ji, nicht wahr? Damit sie dort nicht so alleine ist?"
Ich nickte. Er hatte es erfasst, obwohl ich mich schon fragte, ob man es noch wirklich gemeinsames Warten nennen konnte, wenn ich die ganze Zeit durch die Gegend lief.
"Das ist wirklich sehr nett von dir", seufzte D.O und warf noch einmal einen Blick über die Schulter zurück in die Richtung, in der Ji saß. Anscheinend hatten die Beiden kurz miteinander geredet, doch wirklich sehr kurz, denn so lange dauerte eine Runde um den Spielplatz laufen nicht...
"Sie ist wirklich stur..."
Wieder nickte ich und sah D.O aufmerksam an. Dieser drehte sich sofort wieder zu mir, seufzte kurz und lächelte dann wieder.
"Aber keine Sorge, ihr werdet bestimmt nicht mehr lange warten müssen", fuhr er fort und senkte dabei seinen Blick auf den Boden. Bildete ich es mir ein oder klang er gerade traurig? Oder war es Müdigkeit? Oder die Kälte?
Oder war ich es, die vor Kälte und Müdigkeit langsam aber sicher durch drehte?
"Wir müssen nicht mehr lange warten?", fragte ich vorsichtig nach. Bedeutete das, dass Suho gefunden worden war?
"Ganz genau, wir haben Suho gefunden", bestätigte D.O nickend. "Es war gut, dass du Laura zur Suche gerufen hast. Sie hat ihn zusammen mit Chen am Fluss gefunden."
Verständnislos schüttelte D.O seinen Kopf und seufzte noch einmal.
"Was auch immer er dort am Fluss gesucht hat, aber was soll's. Ich werde ihn gleich fragen können...", fügte er murmelnd hinzu und hob seinen Blick wieder.
"Jedenfalls danke."
"K-keine Ursache", brachte ich stotternd vor Kälte hervor. Warum bedankte er sich nun? Ich hatte bei der Suche nicht geholfen, sein Dank müsste an Laura gehen?
"Ich muss dann mal weiter", D.O sah mich mit einem flüchtigen Lächeln an, dann nickte er mir zu. "Wie gesagt, lange dauert es nicht mehr. Chanyeol kommt bald."
Chanyeol kommt bald. Bald...
Nickend sah ich D.O noch hinterher bis er um die nächste Straßenecke aus meinem Sichtfeld verschwunden war, dann drehte ich mich um und ging zurück zu Ji.
Diese saß immer noch auf der Schaukel, nichts hatte sich verändert. Als sie mich bemerkte, sah sie nur kurz hoch, lächelte anerkennend und sah dann wieder auf den Boden.
Langsam ließ ich mich neben sie fallen. Dort saß ich nun, schweigend. Die Zeit verstrich.
Bald würde ich mein Vorhaben erfüllt haben, zusammen mit Ji zu warten. Bald würde die Endlosschleife enden.
Noch war alles wie schon die Stunden zuvor, doch eine Veränderung trat auf und riss mich aus der Endlosschleife. Rasch stand ich von der Schaukel auf.
"Viel Spaß euch Beiden", murmelte ich Ji noch zu und ging ein paar Schritte zurück, gerade rechtzeitig, als man Chanyeol in der Ferne auf uns zurennen sehen konnte.
Für einen Moment wollte ich bleiben, Ji und Chanyeol nicht einander lassen, doch ich wusste, dass es selbstsüchtig war. Ich konnte hier nicht dazwischen funken, es wäre falsch.
Noch einen kurzen Moment sah ich Chanyeol an, ließ ihn ein wenig näher rennen, dann drehte ich mich um, sah Ji kurz an und rannte davon.

EXO Next Door AUWo Geschichten leben. Entdecke jetzt