"Ich halte das nicht mehr aus!", fuhr Chanyeol fort, seinen Blick durchdringend auf Ji gerichtet. Seine ganzen Gefühle schienen wie in einem Staudamm angestaut und waren kurz davor auszubrechen. Ji ging beinahe unter seinem Blick unter, sah immer wieder vollkommen eingeschüchtert zu mir nach unten und bat mit ihren flehenden, verlorenen Blicken um meinen Beistand, doch selbst wenn ich gewollt hätte, ich konnte mich nicht rühren.
Wie festgefroren saß ich hier gegen den Schreibtisch gelehnt, nicht nur wegen den Temperaturen festgefroren, und sah nach oben, wo Chanyeol und Ji sich gegenüber standen. Von hier unten wirkte Chanyeol sogar doppelt so groß. Irgendetwas sagte mir, dass ich mich hier rauszuhalten hatte, ob es mir gefiel oder nicht. Die Ernsthaftigkeit, die in der Luft lag, größtenteils von Chanyeol ausgesendet, war packend und erdrückend zum gleichen Zeitpunkt.
"Habe ich dich nicht immer wieder gefragt, ob du mich kennst?", fuhr Chanyeol unbeirrt fort und versuchte Jis ganze Aufmerksamkeit zu erlangen, die sie im moment eher zwischen Chanyeol und mir aufteilte. Erfolgreich, Ji sah nicht mehr mich an sondern ihn.
Oder sie hatte einfach aufgegeben, meine Hilfe zu erlangen...
"Hast du", bestätigte sie und nickte dabei.
"Wieso kannte ich deinen Namen?", wollte Chanyeol wissen.
"Nun...", fing Ji an zu überlegen. "Das war zugegeben schon ein bisschen komisch."
"Sechs Jahre.", fuhr Chanyeol fort, ohne auf eine richtige Antwort oder zumindest eine Vermutung von Ji zu warten. Er schien sich wirklich schwer zurück zu halten.
"Ich habe dir sogar einen riesigen Hinweis gegeben! So viele Male! Und auch hier. Auch hier..."
Er hielt inne und holte tief Luft, hielt sich gerade so zurück.
"Weißt du nicht, wie man denkt?!"
Stillte trat auf. Ich wagte es kaum zu atmen, um sie nicht zu unterbrechen.
Ji dachte angestrengt nach. Die Zeit verstrich, alles schien wie eingefroren in der Kälte.
Doch da unterbrach Ji diesen unangenehm gedehnten Moment, indem sie einen Schritt nach vorne auf Chanyeol zutrat, ihre Hände bittend faltete und ihn mit großen Augen ansah.
"Bitte, noch ein Hinweis!", bat sie und legte bettelnd den Kopf ein wenig schief.
"Ich bin Chan!", platzte es da aus Chanyeol heraus.
Ich bin Chan.
"Chan?", verwundert hielt Ji inne, offensichtlich nachdenkend.
"Chan... Chan...", dachte sie nach. Chanyeols Spitzname schien nichts bei ihr ausgelöst zu haben, sie an nichts und niemanden zu erinnern.
"Das hier war das Haus von meinem Großvater! Ich bin Park Chan!", versuchte Chanyeol ihr weiter auf die Sprünge zu helfen. Sein Blick wurde von Moment zu Moment fordernder, doch die Anspannung war bereits raus.
Da riss Ji plötzlich ihre Augen ganz weit auf, sogar noch weiter als vorhin, wenn das überhaupt möglich war, und starrte Chanyeol mit einem ganz neuen, erstaunteren Gesicht an.
"Du bist...", brachte sie gerade so voller Unglaube hervor. Ihre Augen glichen ein wenig D.Os Augen und ich hätte über diese Tatsache eventuell gelacht, wenn mir danach gewesen wäre.
"Du bist wirklich..."
"Na endlich", seufzte Chanyeol. Eine große Last beziehungsweise ein großer Stein schienen ihm von seinem Herzen zu fallen. Er schien erleichtert.
Vorsichtig trat er einen Schritt an Ji vorbei und griff sich ein Laken, das über einem Möbelstück lag. Die Farbe war schwer zu erkennen, war es gelb oder doch ein längst vergangenes weiß? Verzweifelt versuchte ich mich und meine Gedanken irgendwie abzulenken. Für D.O, Sehun und Misa nachzufragen brauchte ich nicht mehr, ich hatte meine Antworten soeben erhalten.
Leicht biss ich mir auf die Unterlippe. Was sollte ich dazu sagen? Sollte ich generell etwas sagen?
Doch glücklicherweise erwartete Chanyeol, und Ji schon gar nicht, keine Reaktion von mir.
Lässig setzte sich Chanyeol wie zuvor neben mich und legte das Laken über sich und mich. Auch Ji kam hinzu, setzte sich zu Chanyeols Rechten, wie auch zuvor, und bekam ebenfalls etwas vom Laken.
Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen brauchte sie erstmal ein wenig, um das alles zu verdauern. Die Stille hielt sich konstant aufrecht, was mir ganz recht war.
Mit jeder schweigenden Minute, die verstrich, wurde ich müder. Doch hier schlafen konnte ich nicht. Zudem war mir überhaupt nicht nach schlafen.
Trotzdem schloss ich vorsichtig meine Augen. Die Dunkelheit war auf eine seltsame Art und Weise beruhigend. Ich genoss die Ruhe, jedoch leider nicht lange.
"Schläft sie?", flüsterte Chanyeol mir zu, seine Stimme war erstaunlich nahe.
Schnell riss ich meine Augen wieder auf und sah nach rechts. Doch Chanyeol saß immer noch mit gleicher Entfernung wie zuvor neben mir. Hatte ich mir die Nähe eingebildet? Drehte ich jetzt komplett durch?
Das musste der Schlafmangel sein, anders konnte ich es mir nicht erklären.
Vorsichtig, darauf achtend, nicht viel am Laken zu ziehen, beugte ich mich etwas vor, um einen Blick auf Ji zu erhaschen. Diese hatte tatsächlich ihre Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt, als wäre sie tatsächlich so schnell eingeschlafen. War sie wirklich eingeschlafen? Beneidenswert.
"Scheint so?", gab ich vorsichtig zurück und lehnte mich wieder zurück.
"Also wirklich. Wie kann man hier unten bloß einschlafen. Und vor allem gerade jetzt", murmelte Chanyeol vor sich hin, er schien wieder etwas genervt von Jis Aktion, aber das war mittlerweile nichts neues mehr.
"Wusstest du, das wir uns schon aus der Kindheit kennen?", fuhr er fort, diesmal nicht murmelnd und tatsächlich an mich gewandt.
Ich zuckte mit den Schultern.
"Nicht wirklich. Gestern kamen D.O, Sehun und Misa nur mit einer Vermutung...", gab ich ehrlich zu und hielt kurz inne.
"Eigentlich sollte ich nachfragen, aber das hat sich ja jetzt erledigt."
Ein Schmunzeln huschte über meine Lippen. Ja, die Angelegenheit hatte sich erledigt.
Langsam schloss ich meine Augen. Sobald wir hier raus waren, hatten die Beiden bestimmt eine Menge zu bereden, über die Zeit, in der sie sich nicht gesehen hatten. Ich sollte sie dann nicht stören und besser in Ruhe lassen, kein drittes Rad am Fahrrad sein.
"Chris? Alles in Ordnung?", unterbrach Chanyeol meine Gedanken.
Leicht hob ich meine Augenlider zu einem Spalt an und sah vor mich auf den Boden. Eine Träne enthuschte mir. Wann waren mir sie Tränen gekommen? Und wieso?
"Alles okay, was soll schon falsch sein?"
Lüge. Schon wieder.
Dieses beklemmende Gefühl in mir war ganz und gar nicht okay. Diese Leere war nicht okay. Diese Kälte war nicht okay.
Vorsichtig hob ich meinen Arm und wischte mir unauffällig die Träne weg. Den schwarzen Pullover hätte ich sowieso gewaschen zurück geben müssen.
"Schon gut... Muss ich mir eingebildet haben."

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EXO Next Door AU
Fanfiction"Viel Spaß euch Beiden", murmelte ich Ji noch zu und ging ein paar Schritte zurück, gerade rechtzeitig, als man Chanyeol in der Ferne auf uns zurennen sehen konnte. Für einen Moment wollte ich bleiben, Ji und Chanyeol nicht einander lassen, doch ich...