61 ~ Henkersmahlzeit

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Henkersmahlzeit.

Das letzte Abendmahl.

Abendessen.

Wie nennt man das?
Zu wissen, dass es die letzte Mahlzeit ist.
Das all das hier morgen für mich nicht mehr sein wird?

In den Filmen sind die ganzen Kämpfer und Piloten in jenen Momenten immer entschlossen und bereit.
Hier sitzen sie nur schweigsam und mit leeren Blicken vor ihrem Essen.

Ich kratze ausdruckslos ein Stück haarigen Pilz aus meiner Suppe und lade es bei Jumper neben mir ab. Er reagiert nicht darauf.
Sie alle reagieren nicht darauf.

Jeder fährt seinen eigenen Film.
Geht in Gedanken alles durch.
Vom Start,
über die Formation,
über den Befehl zum Angriff,
über den Kampf, den Stress, die Angst,
bis hin zum Tod.

Denn das ist es, was uns erwartet.
Kein Ruhm.
Kein Geld.
Kein Dank.
Keine Anerkennung, weil niemand mehr da sein wird, der sie uns geben könnte.

Morgen wird es alles endlich ein Ende finden.
Endlich. Wie das klingt.

Endlich schlafen.
Ewig, auf alle Zeit.
Nur noch diese eine Schlacht, und alles wird ein Ende haben.

Schmerzvoll kommen mir Angels Worte aus dem Korridor unten im Dungeon wieder ins Gedächtnis.

„Wir werden alles verlieren. Unsere Familien, unsere Freunde, unsere Erfahrungen,....unsere Träume. Was sind wir ohne unsere Träume? Nichts, denke ich. Alles, was wir noch machen wollen, wir werden es nie erreichen, wenn wir dort draußen verlieren."

Sie hat mich so angeschaut, wie ich es nicht beschreiben kann. Es gibt keine Worte für dieses Gefühl. Für nichts, was uns verbindet, gibt es ein Wort, dass es beschreiben könnte.

Ich werfe einen Blick über die Schulter und sehe die Asse drei Tische weiter. Keiner isst was. Die Gesichter zeugen von Verlust, Trauer und Verzweiflung.

Monster stochert in seinem Essen herum, Kickback starrt nur in die Leere und Midnight sieht mich mit müdem Blick an. Seine Augenringe und die Furchen auf seinem Gesicht lassen ihn wirken wie 50, auch, wenn der Junge gefühlt noch ein Teenager ist.
Und Bob, der sitzt nur stumm da und vergräbt das Gesicht in seinen Händen.

Wie in Zeitlupe drehe ich mich wieder dem Essen zu.
Es schmeckt nicht.
Ne, war nur ein Scherz, es schmeckt unterirdisch.
Als hätte Monster tagelang gekotzt und die Köche hätten das mit ein bisschen Salz, Pfeffer und abgelaufener Milch zusammengerührt.

Genauso schmeckt diese eklige braune Pampe da vor mir. Nicht besonders vorteilhaft, wenn man Emetophobiker ist. Was das ist? Die panische, krankhafte Angst vor Erbrechen. Ich beneide niemanden, der sich mit diesem Mist abfinden muss.
Ich hab meinen Weg hinausgefunden, aber Rückschläge gibt es schließlich nicht nur im Krieg, was?

„Ich glaube, es wäre besser, wenn wir alle schlafen gehen. Morgen wird ein langer Tag." Crimson seufzt und klopft im Aufstehen auf den Tisch. Wir tuen es ihm gleich.

Wir stehen auf, legen unsere vollen Tabletts in die volle, ranzige Ablage, verlassen den Raum und laufen den selben Weg, die selben Korridore, wie jedes Mal sonst auch. Nur, dass es dieses Mal das letzte Mal so sein wird.

Der Raum ist dunkel und kalt, als wir eintreten. Jumper wirft seine Bomberjacke in die verstaubte Ecke mit der Mäusefalle mit der Begründung, dass es ja eh niemanden mehr Jucken werde.

Blaster setzt sich auf den harten Stuhl und beginnt Abschiedsbriefe für Verwandte und Freunde zu schreiben, die er schon lange verloren hat.

Und ich ziehe mich einfach nur um, lege meine Stiefel und Fliegermontur einsatzbereit zusammen neben mein Bett, so, wie es uns beigebracht wurde.

Schwarz-Rot-Gold prangt auf der Schulter des braunen T-Shirts, dass ich mir überstreife. Lange liege ich einfach nur da, lausche den Schreibgeräuschen von Blaster und dem Zittern von Jumper.

Was sie wohl gerade denken?

Der große und starke Jumper liegt zitternd zusammengekauert auf seinem Bett und vergräbt sein Gesicht in seinem Kissen. Mit den Armen schmiegt er sich daran, als würde er sich verzweifelt an einem Menschen festhalten.
Weil er niemanden hat, der mit ihm das Bett teilt und bei ihm ist, um ihn zu trösten.
Er ist einsam.

Schweigend stehe ich auf und setze mich zu ihm auf die Bettkante.

Ein leiser Schluchzer entfährt ihm und seine braun-blonden Haare fallen ihm ins Gesicht.

„Was wird nur aus uns?" dringt es bebend aus dem Kopfkissen hervor.

„Ich weiß es nicht." antworte ich ehrlich und lege meine Hand auf seine Schulter.

„Das alles ist ein einziges Himmelfahrtskommando, Jungs." Der Jungspund und hyperaktive Blaster sitzt von Schatten überzogen im harten Stuhl am kargen Schreibtisch und schreibt Zeile nach Zeile, während sich seine Augen mit Tränen füllen.

Stumm nicken wir.
Natürlich nicken wir.
Jedem hier ist klar, dass unsere Chancen bestenfalls gering sind.
Es ist wie David gegen Goliath.
Nur, dass David mit seiner Steinschleuder einem Riesen mit Laserwaffen und fucking schwarzen Löchern als Schutzschilden gegenübersteht.

Selbst die stärksten konventionellen Waffen sind nichts als schlechte Türklopfer für einen Harvester.

„Ich-" Blasters Stimme bricht endgültig und er wirft frustriert den Stift in die dunkle, verstaubte Ecke, wo immer die Spinnen ihre Netze aufbauen, „Ich will das nicht man! Fuck!" Er tritt das Bein des Schreibtisches.

Resigniert lässt er sich auf sein Bett fallen und vergräbt das Gesicht in seinen Händen.
Lange sagt keiner was.
Niemand weiß, was man sagen könnte.
Weil es nichts gibt, was dieses Gefühl wegmachen könnte.

Könnt ihr euch das vorstellen?
Das Gefühl zu wissen, dass man morgen stirbt?
Das all deine Träume nie Wirklichkeit werden?
Das all die Menschen, die dein Leben bereichert haben, nichts mehr wert sein werden?
Jede Erinnerung, jede Tat, alles für Nichts.

„Ich weiß nicht, wie es mit euch aussieht..." wir drehen uns zu Jumper um, der sich mittlerweile aufgerichtet hat. Schweiß läuft ihm über den nackten Oberkörper. „Wenn ich morgen schon draufgehe, dann nicht ohne diesen verfickten Echsenwichsern nochmal einen Kampf zu bieten!"

Stumm nickt Blaster.
Stumm nicke auch ich.

Ich werde morgen bis zu 12 Raketen an Bord haben, je nachdem, was das Waffenlager noch hat.
Das sind zwölf Wichser, die ich töten kann.
Das sind zwölf Freunde, die ich retten kann.
Das morgen ist mehr als nur mein Ende.

Ich spiele nur einen winzigen Teil in all dem.
Ich bin nur einer von vielen.
Ich werde nur einer der Namen auf den Listen sein.

Wenn ich mich schon nicht retten kann, dann wenigstens diese Menschen, die mir so am Herzen liegen.
Für die ich alles geben würde.
Für die ich die Kugel fangen würde.
Und zwar jederzeit.

Denn so war es schon immer.

Die anderen zählen für mich.
Ich selber zähle für mich nicht.

Nur die anderen.
Nur sie.

10 Stunden bis zum Ende.

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⏰ Letzte Aktualisierung: 13 hours ago ⏰

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