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Jimin hatte Abends lange telefoniert. Zuerst mit Hoseok, er hörte ihm seit Tagen jeden Abend zu.
Danach mit Taehyung. Denn der Mann hatte sich erneut angeboten, vorrübergehend bei den Jeons einzuziehen, damit Jimin auch Zeit für sich bekäme.
Und zuletzt mit seinem Vater. Eigentlich wollten seine Eltern vor zwei Wochen angereist sein. Aber sie hatten keinen Flug erwischen können, sie würden erst nächste Woche anreisen. Und Jimin hatten die vielen Worte von seinem Vater sehr geholfen. Er wusste nicht, ob seine Mutter ebenfalls anreisen würde, sie hielt vom Ausland nicht viel. Aber sein Vater hatte gesagt, er würde alles tun, um eher anreisen zu können. Er fuhr täglich an den Flughafen in der Nähe und fragte nach einem Flugticket nach Korea, egal wo in Korea. Und Jimin liebte diesen Einsatz. Denn es zeigte, dass sein Vater jedes gesagte Wort genau so auch meinte.
Aber jetzt hatte er keine Zeit für die Vergangenheit oder ablenkende Gedanken.
Denn gleich würde Jungkook wach werden.
Er hatte beschlossen, als Pflegekraft im Raum anwesend zu sein. Falls Jungkook ihn nicht erkennen würde, wäre es in Ordnung. Denn dann konnte Jimin sich aus dem Raum entfernen, ohne dass es merkwürdig erscheinen würde. Zusätzlich bekäme der komatöse Mann keine Schuldgefühle für einen ihn fremden Mann.
Zusammen mit Jimin war eine weitere Pflegekraft im Raum, es kämen gleich zwei Ärzte dazu, die bis zum endgültigen Erwachen bleiben würden.
Jimins Hände schwitzten in einer Tour.
Genau so wie der Rest seines Körpers.
Das war schon das dritte Kasackoberteil, das er angezogen hatte, da es unter seinen Armen zu nass geworden war. Er wusste nicht, was er fühlen sollte. Oder wie er reagieren sollte, deshalb stand er ein wenig verloren in einer der Ecken im Raum.
Jungkook lag noch immer schlafend im Bett, aber mittlerweile hatte er alle Schläuche aus seinem Mund und seiner Nase entfernt bekommen, lediglich ein wenig Luft strömte durch eine Nasenbrille in ihn hinein.
Sogar die Betäubungsmittel waren abgestellt worden, es lief nur noch Kochsalz über den Zugang in seinem Hals.
Trotz allem war Jimin mehr als nur unruhig.
Er hatte schon mehrfach seinen Darminhalt in die Toilette entleert, seine Fingernägel waren abgekaut und tiefe Augenringe zierten sein Gesicht.
Er war mehr als froh, dass die Kinder hiervon nichts wussten.
Die Tür zum Raum ging auf und die beiden erwarteten Ärzte liefen in den Raum.
Und sofort begann das eingespielte Team, Jungkook langsam zurück in diese Realität zu holen.
Leise stellten sie ein Radio an, dimmten ein wenig das Licht, bis die Neurologin vorsichtig die Klebestreifen von Jungkooks Augenliedern entfernte. Danach schaute sie mit einer Pupillenleuchte in die Augen, ehe sie lächelte.
"Die Pupillen sind beidseits isokor und lichtreagibel, er wird wach."
Der Anästhesist stellte Jungkooks Sauerstoff komplett herunter, ehe er ihm die Nasenbrille aus dem Gesicht entfernte.
Jungkook lag wie schlafen in dem Bett.
Und für Jimin blieb die Zeit stehen.
Jungkook war gerade dabei, zu ihnen zurück zu kommen.
Jimin wusste nicht, wie viel von seinem Jungkook noch vorhanden war.
Er hoffte, dass er nicht von den Werten abrutschen würde.
Denn dann würde er sofort wieder ins Koma gelegt werden und alles wäre vergebens gewesen.
Er hatte Hoffnungen.
Sehr große Hoffnungen.
Vor allem, als Jungkooks Augenlieder plötzlich zuckten und er sie komplett öffnete.
"Guten Tag", begann die Neurologin sofort.
"Können Sie mir verraten, wie Sie heißen?"
Jungkook blinzelte erneut.
Und erneut.
Danach suchte er mit seinen Augen den Raum ab.
Und blieb dabei bei Jimin stehen.
"Jeon", kam es danach langsam und heiser von ihm.
"Jung-kook."
"Sehr schön Mr Jeon. Wissen Sie auch, wie alt Sie sind?"
Jungkook löste den Blickkontakt nicht von Jimin.
Jimin wollte einfach weinen.
Erneut blinzelte Jungkook mehrfach.
Und danach räusperte er sich laut.
"Ein-und-drei-zig."
Jungkook sprach verwaschen und langsam.
Sehr langsam.
Aber er konnte noch sprechen.
"Wissen Sie, wo Sie hier sind?"
Jungkook schüttelte langsam den Kopf.
Er konnte den Kopf bewegen.
"Sie sind im Seoul Hospital auf der Intensivstation. Sie lagen jetzt zwölf Tage im Koma. Sie hatten einen doppelten Schlaganfall. Sie haben eine Hirnblutung gehabt."
Die Neurologin sprach langsam und klar. Dabei schaute sie die gesamte Zeit über zu Jungkook.
Und dieser wandte zum erstem Mal den Blick von Jimin ab und schaute zu ihr.
"Wo-"
Es folgte eine Pause.
"Sind-"
Jungkook musste erneut nach Luft schnappen.
"Meine-"
Jungkook räusperte sich. Sprechen schien fürchterlich anstrengend. "Kinder?"
"Ihre Kinder sind in besten Händen, Mr Jeon." Die Neurologin zog Jungkooks Bettdecke bis an das Fußende. Und dananch nahm sie einen Reflexhammer aus ihrem Kittel.
"Spüren Sie das?" Langsam fuhr sie über Jungkooks Fußsohle. Und bei der Berührung bewegten sich alle Zehen nach unten. "Keine Babinski-Zeichen, positiver Plantarreflex beidseits", kam es von der Frau, während sie über Jungkooks Beine strich.
"Fühlen Sie das?"
Jungkook nickte.
Danach nahm die Neurologin Jungkooks rechtes Bein in ihre Hände, streckte es und hielt es in gebeugter Haltung über das Bett. "Halten Sie das Bein oben."
Jungkook schien sich anzustrengen, während das Bein losgelassen wurde. Es bewegte sich kaum, bis die Ärztin es zurück in die harte Matratze drückte. Das gleiche taten sie mit dem linken Bein, es fiel fast sofort in die Matratze zurück.
Es schmerzte in Jimins Herz.
Er würde für immer eine Lähmungserscheinung im linken Körper haben, zumindest was bis jetzt diagnostiziert wurde.
Das hatte Jimin doch alles nicht gewollt.
"Ich halte jetzt beide Ihrer Arme hoch, Sie schließen die Augen und behalten die Arme dort, wo sie gerade sind."
Und auch bei diesem Test sank Jungkooks linke Hand fast sofort ab.
"Welchen Monat haben wir heute?"
"Som-mer."
Die Ärztin schmunzelte.
"Die Jahreszeit stimmt. Heute ist der 25. Juni. Ein Donnerstag. Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern können?"
Jungkook schloss die Augen, danach schmatzte er laut. Und danach bewegte er zitternd seinen rechten Arm, ehe er ihn schwach fallen ließ.
Anscheinend hatte er sich durch das Gesicht streichen wollen, aber durch die fehlenden Bewegungen der letzten Tage hatte er so gut wie keine Kraft mehr. Seine Muskeln mussten erst wieder trainiert werden.
"Ich- war- in- meiner" Jungkook hustete trocken. Danach schüttelte er den Kopf. "Chan-hyun."
Jimin fiel ein Stein vom Herzen.
Sein Jungkook schien wieder da zu sein.
"Die-Vase."
"Können Sie sich an den Morgen erinnern? Der Tag nach dem Vasen-Vorfall?"
Jungkook schien angestrengt nachzudenken. Danach schüttelte er den Kopf.
"Okay. Wir werden Ihnen gleich noch einmal Blut abnehmen, Sie werden noch lange von uns untersucht werden. Die Pflege kümmert sich jetzt um Sie."
Die beiden Ärzte verließen den Raum, weshalb Jimin langsam an den Mann herantrat. Sein Kollege begann direkt, einige Schläuche umzustecken, während Jimin eine neue Infusion vorbereitete.
Denn die Infusion, die gerade in ihn lief, war fast leer. Und damit seine Zugänge verwendbar bleiben konnten, mussten sie durchgespült werden. Am besten funktionierte das mit Infusionen.
Jimin war gerade dabei die Infusion einzuhängen. Und dabei drehte er sich um.
"Jimin."
Jungkook hatte seinen Namen gesagt.
Er wusste, wer er war.
Zitternd drehte sich Jimin um.
"Jungkook."
Jungkook schaute Jimin tief in die Augen.
Und das war der Moment, in dem Jimin laut zu weinen begann.
Vorsichtig strich er Jungkook über die noch vorhandenen Haare, während er Träne um Träne unter Schluchzern entweichen ließ.
Ihm war speiübel.
Er schwitzte.
Ihm wurde kalt.
Er fing an, die Situation zu realisieren.
Und all die lange unterdrückten Gefühle kamen mit einem Schlag zurück.
"Du bist wieder da", weinte Jimin, während er mit seiner anderen Hand Jungkooks in seine nahm, wie so oft die letzte Tage. Mit dem Unterschied, dass Jungkook sanft seine Hand mit seinen kalten Fingern versuchte zu umschließen.
Jungkook war wieder Zuhause.
Sein Jungkook war wieder da.
"Ich liebe dich, Jungkook."
Jimins Tränen hörten nicht auf zu fließen.
"Jimin."
Es war ein sanftes Hauchen aus Jungkooks Mund. Er sprach nicht viele Worte, aber seine Augen sprachen Bände.
Er wollte ebenfalls weinen.
Er war nicht für seine Familie da.
Er hatte sie alle im Stich gelassen.
Er hatte nicht auf seinen Körper gehört.
Er machte sich fürchterliche Vorwürfe.
"Die Kids wissen nicht, dass du wach bist", schniefte Jimin, ehe ihm ein Wimmern entfloh. Seine Beine glichen Wackelpudding. Und sein Kollege bekam das mit, das er dem Mann einen Stuhl hinter ihn stellte. Jimin setzte sich sofort. Sonst wäre er gestürzt.
"Ich habe ihnen nicht noch mehr zur Last fallen wollen. Channie ist in der Schule. Und Danbi im Kindergarten. Wir waren jeden Tag bei dir. Die Kids haben diese Zeit geliebt. Sie lieben dich so sehr."
"Mein- Jimin."
Erneut begannen Jimins Augen stark zu tränen. Er konnte- und wollte, nicht aufhören zu weinen. Es half ihm.
"Ich habe so lange geweint um dich. Ich liebe dich, Jungkook. So, so sehr."
"Mein- Jimin."
Jungkook drückte seine Hand ganz fest, so fest er konnte. Es war nicht mehr als ein normaler Händedruck, für Jimin war es so viel mehr.
"Lie-be- dich."
"Ich liebe dich auch, Jungkook. So, so sehr."
Und danach sagte keiner mehr von beiden etwas.
Sie weinten gemeinsam.
Bis die ersten Untersuchungen beginnen sollten.
Jimin musste das Zimmer deshalb wieder verlassen, seine Schicht war noch lange nicht zu Ende.
Aber das Arbeiten lenkte ihn ein wenig ab, bis er heute Nachmittag allen von Jungkooks Erwachen erzählen würde.

Au Pair ^JiKook^Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt