PLAZA

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Harry genoss es sichtlich, dass er mir New York zeigen konnte. Ich lief stauend mit ihm durch die Straßen, den Kopf meistens in den Nacken gelegt, und starrte hinauf zu den Wolkenkratzern, ich starrte die verrückten Menschen an, die in den ausgeflipptesten Klamotten herumliefen und ich starrte ihn an, wie er mich angrinste. Diese Stadt war der reine Wahnsinn. Da es in New York bereits geschneit hatte, waren wir gut verpackt mit Mützen und Schals und blieben Großteils auch unerkannt, es war unglaublich wie angenehm es sein konnte einfach durch die Stadt zu laufen und nicht dauernd verfolgt zu werden, Harry war so ausgelassen und fröhlich wie schon lange nicht mehr. So würde es wohl sein, wenn er ein ganz normaler Junge wäre. Wir würden einfach Urlaub in New York machen und verliebt durch die Straßen spazieren.
Am Abend überredete ich ihn zum Eislaufen. Vor dem Plaza Hotel war eine riesige Eisbahn aufgebaut.
„Ich bin schrecklich untalentiert im Eislaufen Babe.", murrte er, als ich ihn mit glänzenden Kinderaugen hinter mir her zog.
„Ich auch.", log ich und ging unbeirrt weiter. Tatsächlich hatten Mel und ich, als wir klein waren, im Winter stundenlang auf dem kleinen See, der in der Nähe von Mels Elternhaus war, Schlittschuhfahren geübt. Seitdem war es eine Art Tradition in den Weihnachtsferien aufs Eis zu gehen. Ich wurde ein bisschen wehmütig bei dem Gedanken an sie. Es war mein erstes Weihnachten ohne Mel, ich war mir nicht sicher ob ich sie anrufen konnte, da sie mich nach wie vor ignorierte.
Aber das musste Harry nicht wissen.
„Als Entschädigung kriegst du später einen heißen Kakao mit Marshmallows!", lockte ich ihn aus seiner Reserve. Sofort strahlten seine Augen. Bei heißer Schokolade war er noch immer wie ein kleiner Junge, der konnte er einfach nicht widerstehen.
Als wir uns Schuhe ausgeliehen hatten, setzten wir uns auf eine der Bänke um sie anzuziehen. Ein kleines Mädchen saß neben mir und starrte Harry unverwandt mit offenem Mund an. Harry hatte seinen Schal eigentlich bis zur Nasenspitze hochgezogen, doch da er nach vorne gebeugt da saß und sich mit dem Verschluss seiner Schuhe abplagte, war er ihm aus dem Gesicht gerutscht.
Ihr Blick wanderte zu mir, stirnrunzelnd sah sie mich an. Ich zwinkerte ihr zu und legte meinen Finger auf meine Lippen.
Fragend sah sie mich an und ich nickte in Harrys Richtung.
Ihre Augen wurden noch größer als sie bereits waren und sie nickte und legte zur Bestätigung ebenfalls ihren Finger auf die Lippen.
Ich lächelte ihr dankbar zu und widmete mich meinen Schuhen. Ich hatte mir ein altmodisches Modell zum Schnüren ausgesucht, so wie ich eines zu Hause hatte.
Ich schlüpfte hinein und wollte gerade beginnen meine Schuhe zu schnüren, als Harry neben mir zu Boden ging. Er kniete sich vor mir hin und grinste zu mir auf.

„Lass mich das machen.", sagte er und begann geschickt die Bänder fest zu ziehen.
„Oh, das ist wirklich kitschig Styles.", lachte ich und zog ihm die Mütze vom Kopf um ihm durchs Haar zu wuscheln.
Er zwinkerte mir zu und ich beugte mich hinunter um ihn zu küssen.
„Das ist unser erstes Weinachten, das muss doch kitschig werden.", flüsterte er in meinen Mund. Ich löste mich von ihm und seufzte leise, wenn er nur wüsste.
Wackelig richtete er sich auf und streckte mir seine Hand hin. „Komm mein kleiner Grinch, bringen wir das hier hinter uns.", lachte er. Ich nahm meine Hand und ließ mich hochziehen. Harry strauchelte kurz und ich nahm seine zweite Hand in meine um ihn zu mobilisieren.
„Du kannst das, oder?", fragte er mit säuerlichem Unterton.
Ich grinste ertappt und er verdrehte die Augen.
„Dann zeig mal was du kannst.", brummte er und ließ meine Hand los.
Elegant drehte ich eine kleine Pirouette und zwinkerte ihm zu. Er stand da, die Hände in die Hüften gestemmt, seine Nase und seine Wangen leuchteten rot vor Kälte und seine Augen funkelten mich an.
„Dafür krieg ich aber ganz sicher zwei Becher!", sagte er trotzig. Ich lachte laut und verschränkte meine Finger mit seinen.
„Komm schon du kleiner Schmollmund.", sagte ich und zog ihn mit mir.
Nach der zweiten Runde entspannte er sich sichtlich, er blieb stehen und zog mich an sich. Seine Augen wurden dunkel, als er zu mir herabblickte.
„Ich liebe dich.", sagte er leise und küsste mich auf meine kalte Nase.
„Und ich liebe dich.", antwortete ich und grinste zu ihm hoch.
Es war bereits finster und die Scheinwerfer gingen an, die Weihnachtsmusik im Hintergrund wechselte plötzlich und ein ruhiges Lied wurde gespielt. Es war wunderschön, melancholisch und ein bisschen traurig.
„Sara Bareilles.", sagte Harry leise.
„Was?", fragte ich verwirrt.
„Sie singt dieses Lied. Das ist ihr Wintersong.", er began leise den Text mitzusingen, "This is my winter song to you.The storm is coming soon. It rolls in from the sea.".
Das Lächeln auf meinem Gesicht erfror. Wie recht sie hatte mit diesen paar Zeilen.
„Alles okay?", fragte Harry und sah mich stirnrunzelnd an.
„Ja... ich.. mir ist bloß schrecklich kalt.", antwortete ich hastig.
„Mir auch. Zeit für Kakao!", sagte er freudig und wir fuhren zurück zur Bank am Rande der Bahn um unsere Schuhe auszuziehen. Das kleine Mädchen von vorhin saß wieder da, neben ihr ein älterer Mann, wohl ihr Großvater. Als wir auf die beiden zu fuhren, zupfte sie aufgeregt am Ärmel ihres Grandpas und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Sein Blick richtete sich auf uns und er sah sie fragend an.
„Harry, ich denke da sitzt ein kleiner Fan, der sich über ein kleines Weihnachtswunder freuen würde.", flüsterte ich ihm zu, er sah mich fragend an und ich deutete auf das Mädchen.
„Na los, sprich sie an, sie hat dich vorher schon erkannt und nichts gesagt.", drängte ich ihn. Er seufzte und nickte. Als wir an der Bank ankamen, ließ er sich neben ihr nieder und blickte zu ihr hinab. Ihr Mund stand weit offen und ihr Großvater musterte Harry verwirrt.
„Na kleine Lady, bist du auch schon fertig mit Eislaufen?", fragte Harry sie freundlich.
Sie nickte heftig und starrte ihn weiterhin an.
„Ich bin Harry, Sir.", er reichte ihrem Großvater die Hand.
„Das weiß ich bereits, anscheinend sind sie Popstar, soweit meine kleine Abby mir das berichtet hat.", die Stimme des Mannes war sehr tief und er sprach sehr langsam, doch seine Augen funkelten warm und freundlich. Er schüttelte Harrys Hand und blickte dann zu mir.
„Ich bin Ella.", stellte ich mich vor als ich seine Hand ergriff.
„Roger und das ist meine Enkelin Abby, die anscheinend unglaublich verliebt in ihren Freund ist.", sagte er lachend.
Die Kleine schnappte nach Luft und sah ihren Grandpa entsetzt an.
„Tut mir leid Abs, hätte ich das geheim halten sollen?", sagte Roger und sah sie zerknirscht an. Abby nickte heftig und wurde rot.
„Magst du unsere Musik Abby?", fragte Harry, sie nickte scheu.
„Warst du schon einmal auf einem unserer Konzerte?", fragte er unbeirrt weiter.
Abby schüttelte ihren Kopf: „Ich bin doch erst fünf.", piepste sie nervös, „Ich darf da noch gar nicht hin.".
„Weißt du, wir treten in einem Monat in New York auf,", begann Harry, Abby nickte heftig, „Wenn du möchtest, dann könntest du dir das Konzert doch einfach hinter der Bühne ansehen, so macht Ella das auch immer.".
Abbys Kinnlade fiel wieder hinunter.
„Wenn du mir deinen vollen Namen verrätst, dann könnte ich das für dich machen.", sagte Harry sanft.
„Abigail Wind.", antwortete Abby leise. Ich zuckte kurz zusammen, das war mein Nachname.
„Was für ein lustiger Zufall!", lachte Harry, er zog sein Telefon hervor und machte sich eine Notiz.
„Wenn du mir die Telefonnummer deiner Mum oder deines Dads verrätst, dann könnte ich mich darum kümmern, dass du im Jänner zu meinem Konzert kommen kannst.", sagte Harry und reichte Abby sein Telefon.
Ehrfürchtig nahm sie es entgegen und tippte die Ziffern in sein Handy.
„Das ist die Nummer von meinem Daddy.", sagte sie und reichte ihm das Telefon.
„Und wie heißt dein Daddy?", fragte Harry.
„Edward."
Ich starrte das kleine Mädchen entgeistert an. Das war der Vorname meines Dads.

Lost and found ( lost doesn't mean alone Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt