25. Kapitel

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Da liegt sie,  als Stephen Kingsley...

Was dann geschieht, grenzt an Magie. Aus Annes schlichter heller Jeans und ihrem bunt gemusterten T-Shirt kommen kleine glitzernde Funken heraus gesprüht. Mir bleibt der Mund offen stehen, als diese sich zu einem Wirbel formen und schnell um Annes Körper wehen. Dann leuchet helles Licht auf und aus ihrer Alltagskleidung hat sich ein dreckiges blaues Hemd mit einer Jeans und schwarzen Schuhen entwickelt.

"Hey, Leo! Sie sieht aus wie...", flüstert eine sehr bekannte Stimme. Sophie. Ich drehe mich um und versuche, sie an zu lächeln. Sie umarmt mich. "Das ist alles meine Schuld! Was ist wenn sie...?", jammere ich und vergrabe mein Gesicht in ihrem Haar, welches nach Himbeeren duftet. "Das ist nicht deine Schuld! Erzähl doch keinen Quatsch! Wenn einer Schuld hat, dann ich! Schließlich wurde ich geschnappt! Ich!", antwortet sie. "Nein!! Es war meine Idee, Anne nachzuspionieren! Und es war echt eine dumme Idee..."

"Hey, komm. Was geschehen ist, ist geschehen. Auch wenn wir jemandem die Schuld erteilen, macht das noch lange nicht rückgängig, was bisher passiert ist! Okay, es ist ziemlich viel Schlechtes passiert, aber betrachte doch mal die guten Seiten!", sagt sie. "Und die wären?", hake ich nach. Sie überlegt kurz und antwortet dann: "Na, Alia und Elias zum Beispiel!" Da muss ich ihr Recht geben.

Wie wir da so im Schneidersitz auf dem kalten Fliesenboden sitzten, alle schweigend in einem Kreis, breche ich die Stille: "Danke. Danke für eure Hilfe. Danke, dass ihr mir bei steht. Danke für alles!"

Sie lächeln mich an. "Gerne.", sagt Elias. "Dafür sind Freunde doch da, oder?", lacht Sophie. "Hey, du hättest das Gleiche für uns getan oder?", stellt Alia entschlossen fest und pustet sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich kichere leise, als die Strähne, kurz nachdem sie sie schon zum zweiten Mal hinters Ohr geklemmt hatte, wieder ins Gesicht fiel und Alia sich knurrend einen hohen Zopf bindet und ihn anschließend zu einem Dutt hochsteckt. Doch da, als würden ihre Haare sie ärgern wollen, fällt schon wieder eine Strähne ins Gesicht und hängt vor ihrer Nase. Wir lachen über das Eigenleben ihrer Haare und Alia stimmt, nachdem sie uns kurz fragend gemustert hat, schallend mit ein. Nach einer kurzen Weile krabbeln wir auf dem Boden in die Mitte des Kreises und umarmen uns, immer noch fröhlich lachend. Der Moment hätte perfekt sein können, wäre da nicht diese eine wichtige Sache...

Ich drehe mich um und starre Anne an. Es ist wieder Stille in der großen Halle eingekehrt. Wir alle betrachten nun Anne. Nach ungefähr einer Stunde passiert ein kleines Wunder:

Anne bewegt sich leicht und ihre Augenlider bewegen sich etwas. Ich stehe auf, um sie genauer zu sehen. Plötzlich schlägt sie langsam die Augen auf... meine Anne!

Doch kaum hat sie ihre Lider geöffnet, entgleitet mir plötzlich ein kleiner schriller Schrei.

"Was ist los?", fragt Sophie mich, doch ich kann nichts sagen. Als sie Anne sieht, geht sie auch einen Schritt zurück und das nicht wegen ihres Aussehens, sondern etwas anderes schockiert mich und scheinbar auch Sophie:

Annes Augen.

Normalerweise sind ihre Augen haselnussbraun, doch jetzt haben sie sich in giftgrün verwandelt! Anne gehörte nun also auch zu den Katzenaugen...

"Was willst du? Wer bist du?", spricht eine tiefe Stimme. "Anne...", antworte ich und lächle sie an. Ich betätige den Schalter an dem Stuhl und die Fesseln lösen sich. Dann setzt sie sich auf.

"Ich frage nochmal: Wer bist du und was willst du?", giftet sie.

"Ich weiß, dass du das nicht bist. Das ist nicht Anne. Nein. Nein. Wir helfen dir Anne, wir kriegen dich wieder hin.", flüstere ich mit zusammen gepressten Augen. Tränen laufen mir über die Wangen.

"Äh, ich hab eine Idee.", sagt Elias, "wenn ich mir das System auf den Computern ansehen könnte, könnte ich sie vielleicht wieder normal machen. Jedenfalls müsste ich dazu in die Schaltzentrale. Wer kommt mit?"

"Ich.", sage ich rasch. "Okay, dann komm. Sei vorsichtig, man weiß nie wann die Typen aufwachen.", warnt er und schon laufen wir zur Tür. Gerade, als ich sie öffnen wollte, ich hatte die Hand schon auf der Klinke liegen, ruft Sophie: "Wartet!" Und sie bringt uns schnell noch zwei Sauerstoffmasken. Wir sollen sie für alle Fälle aufsetzten. Wegen des Geruchs, hatte sie gesagt. Nun lege ich meine Hand wieder auf die Klinke und drücke sie vorsichtig runter. Mir bietet sich ein seltsames Bild: viele Männer liegen auf dem Boden, manche Frauen kauern vor sich hin und wiederum andere liegen kreuz und quer aufeinander gestapelt. Es sieht aus, als würden sie schlafen, was sie gewissermaßen auch tun. Ich muss leise kichern, als ich sehe, wie Kingsley mit dem Mund auf den Boden liegt und sein Hintern in die Luft gestreckt ist. Auch Elias lacht leise bei seinem Anblick.

Wir schlängeln uns durch die vielen Menschen und rennen dann die Treppen zur Zentrale hoch. Als wir sie betraten, murmelt Elias: "Das könnte schwerer werden, als ich es mir vorgestellt habe..."



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