26. Kapitel

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Elias und ich schauen uns ratlos an. Es war scheinbar unmöglich, einen Überblick über die tausend Knöpfchen, blinkenden bunten Lichtern, Schalter und Hebel zu haben. Er atmet tief ein und begibt sich dann zu dem Drehstuhl, der vor dem Tisch steht. Er öffnet ein paar Schubladen und findet einen Plan. Einen Kontrollplan. Ein paar Minuten sitzt er nur da und studiert gelassen den Plan, dann sagt er:

"So, meine liebe Leo. Ich habe den Plan förmlich auswendig gelernt und weiß nun über jedes noch so kleine Knöpfchen Bescheid."

"Irre... wie geht das?"

"Fotografisches Gedächtnis und einen IQ von 110. So, wie lange ist sie denn schon... naja, wie sie jetzt ist?", will er wissen. "Wer?", frage ich verwirrt. "Mensch, Anne!", ruft er. "Äh, sagen wir mal... hm... zweieinhalb Stunden.", antworte ich. "Okay."

Elias tippte in ein kleines Feld einhundertfünfzig Minuten ein. "Äh, sag mal, was machst du da eigentlich?"

Genervt verdreht er die Augen. "Leo! Ich habe eben eine Bedienungsanleitung gelesen. Ich habe sie auch in der Schublade gefunden. Jedenfalls habe ich erfahren, wie der Rückbildungsprozess vonstatten geht: Also, zuerst soll man die Dauer der Verwandlung angeben, steht hier. Danach muss man das Alter eintragen, warum auch immer. Dann scannt man ein Foto der Person in ihrem jetzigen Zustand ein, die "zurück verwandelt" werden muss. Anschließend muss man ein Foto der Person einfügen, so, wie sie nach dem Prozess aussehen soll. Leo? Hast du überhaupt ein Foto von ihr?"

"Ja, ja... irgendwo werde ich schon eins auf meinem Handy auftreiben können...", sage ich.

"Hast du es bei dir?", will er wissen.

"Äh, ja. Moment, ich hole es schnell." Rasch renne ich die Treppe herunter, bis zu der Halle. Dann schnappe ich mir meine Tasche und fische das Handy heraus. Den Rucksack knalle ich einfach wieder in eine Ecke und renne die Treppe wieder hoch. Mit gestresster Mine durchblättert Elias das Beiheft. "Elias!", rufe ich und reiße ihn aus seinen Gedankengängen, "Hier ist es."

Erschrocken schaut er auf und antwortet: "Okay, dann such schon mal ein passendes, möglichst schlichtes Bild hervor."

Ich entsperre mein Handy und durchsuche die Galerie. Doch mit Schrecken stelle ich fest, dass alle Bilder weg sind! Kein einziges sehe ich. Schnell checke ich das SD-Karten Fach. Leider steckt dort keine Speicherkarte mehr! Ich muss sie verloren haben! Mist, Mist, Mist! Ich ziehe das Unglück wahrscheinlich magisch an.

"Äh, Elias...", sage ich zaghaft. "Wir haben ein kleines Problemchen..." Er verdreht die Augen. "Was ist denn jetzt schon wieder?!" Ich wedele mit meinem Handy in der Luft herum und erkläre dann: "Meine Speicherkarte ist weg. Ich muss sie verloren haben, als ich..." Elias fällt mir ins Wort: "Mensch, LEO!!!"

"Was machen wir jetzt?", jammere ich. Er vergräbt sein Gesicht in den Händen und ich denke auch nach. Nach einer gefühlten Minute blickt mein Elias mich hoffnungsvoll an: "Ich hab's!!", ruft er, "Ich habe eine Idee. Kingsley hat sie ja verwandelt. Das heißt, er muss auch ein Foto haben!"

"Wie bitte?!", frage ich verwirrt. Er atmet tief aus. "Leonie! Was ist heute nur mit dir los? Überleg mal. Kingsley hat im Grunde genommen nichts anderes getan als wir. Nur halt in umgekehrter Richtung! Kapiert?"

Ich nicke. Also beginne ich zu suchen und zu kramen. Ich durchsuche die Schubläden und hohen Schränke. Ich schaue auf den vielen Tischen und Schränkchen nach und suche auch im Mülleimer. Dann finde ich ein stark gefaltetes und zerknittertes Foto von Anne. Es lag unter einer Menge Papiermüll, Apfelstielen, Kaugummipackungen, alter Pizza und ... igitt... einem verschimmelten Donut. Ekelerregend...

Ich rümpfe die Nase. Der Geruch des alten Gebäckstückes erfüllt den ganzen Raum unterm Schreibtisch mit seinem strengen, ranzigen Duft. Schnell gebe ich ihm das Bild. Und er legt es  den Drucker zum Scannen. Das Foto musste aufgenommen sein, bevor Anne das Zeug getrunken hat. Anne schaute unglücklich und böse auf dem Bild aber besser als nichts, denke ich mir. Elias stellt erneut einhundertfünfzig Minuten ein, doch dann ertönt ein lautes: "Bing!"

Eine Computerstimme ist zu hören: "Es ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie es erneut." Wir wiederholten den Vorgang. Doch wieder: "Es ist ein Fehler aufgetreten. Versuchen Sie es erneut."

Noch einmal gibt Elias die Zahl ein. Doch uns antwortet nur die Stimme. "Verdammt! Warum geht das nicht?!", schimpft er und liest noch einmal. Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. "Wenn die Umwandlung länger als eine Stunde vergangen ist, ist die Zurückbildung nicht möglich!?", zitiert er böse.
Ich lasse mich den Boden sinken, ziehe die Knie an die Ohren und senke den Kopf.
Doch dann:
"Leo! Elias! Schnell!", Sophies schrille Stimme schallt durch die Halle.

KatzenaugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt