3. Kapitel

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Ich musste sie retten. Was wäre ich für eine furchtbare Freundin, wenn ich sie einfach im Stich lassen würde? Aber was sollte ich tun? Vielleicht sollte ich zur Polizei gehen? Das wäre vermutlich das Beste. Ich ging zu dem Busch und holte mein Fahrrad darunter hervor. Sophies ließ ich liegen. Geschwind setzte ich mich auf den Sattel und bevor ich überhaupt richtig saß, trat ich schon in die Pedale. Dummerweise konnte ich die Polizei nicht telefonisch erreichen... mein Handy lag kaputt in meinem Rucksack. Zügig trat ich in die Pedale. 10 Minuten später stand ich schon vor der Polizei-Warte in der ziemlich verlassensten Gegend der gesamten Stadt... Mir klappte der Mund auf.

„Wegen Umbauarbeiten geschlossen. Erreichbar nur unter telefonischen Notrufen unter der Nummer: 110 und in der nächstgelegenen Polizeistation (Straße der Einheit 77a) . Vielen Dank für ihr Verständnis. Ihr Polizei-Team."

Na toll. Da brauch man diese Leute ein einziges Mal, da sind sie nur unter 110 erreichbar! Auch die nächste Polizei war 20km von hier entfernt... Soviel Zeit hatte ich nicht.

Wo war die nächste Telefonzelle nochmal? Ach ja. Kein Geld mit. Hm,... sollte ich versuchen, ein Auto anzuhalten, um um einen Anruf zu bitten?

Ich seufzte. Es gab wohl keine andere Möglichkeit. Neben mir fuhren viele Autos vorbei. Erst ein rotes, dann ein gelbes und ein schwarzes. Ich schaute in den Himmel. Plötzlich landete ein dicker, fetter weißer Batzen auf meiner Nase. Ich sah in ein Schaufenster, um mein Spiegelbild zu sehen. Ich begann leise zu fluchen, denn irgend so ein blöder Vogel hatte mir auf die Nase gekackt! Grrr...! Mithilfe eines Taschentuchs und Spucke wischte ich den klebrigen Brei von meiner Nase ab. „Ih... Au Revoir, Vogelkot. War nett dich kennenzulernen.", murmelte ich sarkastisch. Genervt stellte ich mich an den Straßenrand, streckte meinen Arm aus und hielt meinen Daumen in die Höhe. Das erste Auto fuhr teilnahmelos vorbei. Das zweite ebenso. Erst das achte Auto hielt an und ließ die Scheibe des schwarzen Volvos herunter. „Guten Tag!", begrüßte ich die Dame im Auto und setzte mein freundlichstes lächeln auf. „Äh, hallo, mein Kind", sagte die Frau ebenfalls freundlich. „Wissen Sie, ich brauch Hilfe. Meine Freundin ist verschwunden und ich würde gern mit der Polizei telefonieren. Aber dummerweise hab ich mein Handy verloren und Geld habe ich auch nicht dabei.", schluchzte ich. „Ihre Eltern, sie haben uns hier abgesetzt und wollten uns heute Abend gegen um sieben holen. Aber wenn ich bis dahin warte, wer weiß was diese Leute dann meiner Freundin angetan haben!", jammerte ich und quetschte ein paar Tränen heraus. Die Frau war anscheinend eine fürsorgliche Mutter eines Kindes, denn sie sah entsetzt aus. „Oh, wenn das so ist... bitte, mein Kind, nimm das Geld und hilf deiner Freundin! Viel Glück!", sagte die Frau und die Scheibe fuhr schon wieder hoch, bevor ich mich bedanken konnte.Okay. Nun hatte ich Geld. Ich strümte zur nächsten Telefonzelle. Wo war den bloß eine? Ah! Dort hinten neben dem Wohnblock. Gut 10m entfernt. Ich überlegte, ob ich mein Fahrrad mitnehmen solle, aber entschied mich dazu, gleich zum Telefon zu laufen. Es war eine alte, hässliche Telefonzelle. Überall standen irgendwelche Sprüche, die mit Edding hingekritzelt waren. Und hier und da befand sich eine komische Zeichnung.

,,110", gab ich ins Tastenfeld ein, warf dann die Münze in den Schacht und nahm den Hörer in die Hand. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal. Toll. Wenn sie nicht gleich rangingen, dann... Klick, machte es in der Leitung. ,,Guten Tag, Kruse mein Name. Polizeidienststellenleitungsbeauftragter Marko Kruse. Was kann ich für Sie tun?", meldete sich der Polizeistellendienst... nein...Dienststellenpolizeichef... ach egal. ,,Hallo, hier spricht Bleier. Leonie Bleier. Ich brauche Hilfe.", stellte ich mich vor. Ich hörte wieder diese Motorradgeräusche und drehte mich um. Das Motorrad kam mir bekannt vor. ,,Okay. Bitte sagen Sie uns ihren Namen, ihr Alter, wann und wo es passierte und was geschah.", forderte der Polizist. Während ich sprach, versuchte ich meinen Rucksack abzusetzten, um an den Zettel mit den Motorrad-Merkmalen zu kommen. Doch dann geschah mir wie letzter Nacht ein verhängnisvolles Missgeschick. Ich verhakte meinen Rucksackhenkel aus Versehen an der Telefongabel. Dann geriet ich ins Wanken, ruderte mit den Armen wie eine Verrückte in der Luft umher, um mein Gleichgewicht zurückzubekommen, verlor die Balance, setzte einen Fuß vor den anderen und als ich mit dem 2.Fuß nachrücken wollte, verknoteten sich meine Beine förmlich und ich knallte auf den Boden der harten Telefonzelle. Ich schaute nach oben. Dort sah ich den Hörer auf mich zu fallen, denn bei meinem Sturz warf ich ihn reflexartig nach oben in die Höhe. Dort kreiselte er ein wenig und kam dann auf mich zu. Ich schrie und hielt meine Arme über dem Kopf wie ein schützendes Dach. Doch das Dach taugte nichts. Es tat genauso weh. Ich hörte etwas ticken. Was war es bloß? Ich schaute mich um. Mein Blick blieb an dem Minutenzähler hängen, der in 10 Sekunden null anzeigen würde. Ich schnappte den Hörer und sprach: „Hallo? Hallo, Herr Kruse? Sind Sie noch dran? Hallo?", fragte ich schnell. „Ja, Frau Bleier. Was war denn da los?", wollte er wissen. „Piiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiiep", machte es in der Leitung.Ich seufzte und schlug meinen Kopf gegen die Zellentür. „Mist, Mist, Mist...", murmelte ich genervt. Ich hatte meine Chance verpatzt. Ich stand auf und schaute nach draußen. Der Mann mit dem Motorrad war noch da. Inzwischen war ich mir sicher, dass er es ist, denn ich hatte meine Liste aus dem Rucksack geholt und verglichen. Alles stimmte. Daher ich nun kein Geld mehr hatte, packte ich meine Sachen zusammen und verließ seufzend die Kabine. Dann schlich ich mich zu dem Motorrad und versteckte mich. Der Mann war in der Nähe. Ich versuchte herauszufinden, was er da tat und beobachtete ihn aufmerksam. Er ging über die Straße, an verschiedenen Gebäuden vorbei. Möglichst unauffällig versuchte ich ihm zu folgen. Neben mir sah ich wieder eine Telefonzelle stehen. Mister X, wie ich ihn taufte, blieb stehen und sah sich um. Ich drehte mich auch um und tat so, als würde ich mir das Werbeplakat für irgendwelche Kekse anschauen. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie sein Blick an mir haften blieb. Er musterte mich für einen scheinbar ewigen Moment und drehte sich schließlich um. Mit langen Schritten ging er weiter. Ich ebenfalls. Mister X ging gerade über die große Brücke, dann blieb er vor einem Schreib-, Büro- und Drogerie stehen. Was wollte er da?! Ich kramte aus meinem Rucksack einen großen blauen, mit Spitze verzierten Sonnenhut, um mein Gesicht etwas verdeckter zu halten. Ich zog ihn tief ins Gesicht, sodass man nur meine welligen Haarspitzen sah. Langsam schlenderte ich ihm tussimäßig hinterher und spähte unter der Krempe hervor. Mister X ging in das Geschäft, vor dem er eben stehen geblieben ist. Dasselbe machte ich dann. Ich schaute mich "interessiert" in der Buntstiftabteilung um, während er die Drogerieabteilung erforschte. Was wollte er mit einem ...Parfum?! Noch dazu war es haargenau das gleiche wie ich in Annes Zimmer gefunden habe. „Wähh", machte ein Baby, das in einem großen, weißen Kinderwagen von der Mutter durch die Gänge geschoben wurde. Wehe, die versperren mir jetzt die Sicht! Nein... jetzt standen sie genau in meinem Blickwinkel! Super! „Äh, entschuldigen Sie bitte, aber ich müsste mal dadurch", sagte ich freundlich. Keine Reaktion. „Entschuldigung!", bat ich schon etwas lauter. WIEDER keine Reaktion! Ich tippte sie an. Schnell fuhr ihr Kopf herum. ,,Bonjour", murmelte die Dame. Na super, eine Französin! Ich versuchte garnicht erst mit meinen Französich-Künsten zu kommunizieren, ich hatte schließlich nicht umsonst eine 5 in diesem Fach...

„Ich! Dadurch! Bitte!", erklärte ich und sprach mit der Frau wie mit einem nichts-verstehendem Kind. Dabei gestikulierte ich wild mit Armen und Beinen. Sie starrte mich an. Ich seufzte. „Tschüss", murmelte ich knapp und suchte mir einen anderen Weg. „Nein! Verdammter Mist!", fluchte ich leise, denn der Mann war weg. Ich flitzte zur Kasse. „Guten Tag! Was kann ich für Sie tun?", frage die Ladenverkäuferin. „Äh, ich hätte da mal eine Frage", flüsterte ich und beugte mich zu ihr über die Ladentheke. Sie sah mich verwirrt und abwartend an. „Würden Sie mir bitte verraten was so ein Mann, ungefähr eins achtzig groß, Anfang vierzig, muskulös, schwarzes Haar, eben bei ihnen gekauft hat?", fragte ich die Dame, auf deren Namenschild mit großen Buchstaben „KELLERMANN" gedruckt war. „Äh...", machte sie. „Bitte! Es ist wichtig! Lebenswichtig!", flehte ich eindringlich. Die Mine der Frau wurde verschreckt und ängstlich. „Sagen Sie es mir! B-I-T-T-E!", bettelte ich. „Warum willst du das wissen, Zwerg?!", brummte eine tiefe, männliche Stimme langsam. Ich erstarrte ebenfalls vor Schreck. Langsam und gewissenhaft drehte ich mich um. Da stand er. Er schubste mich heraus und brummte der Verkäuferin zu: „Das ist meine Tochter. Machen Sie sich keine Sorgen". Hat der sie noch alle? Wieso erzählte der denn ich sei seine Tochter? Ich glaube wohl, ich spinne!!! Ich ballte die Fäuste vor Wut. Dann wandte sich der Muskelprotz mir zu und ich wurde immer ängstlicher. Wütend und kalt starrte er mich an.

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