Die kalte Schulter des Eisprinzen

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Draco:

Missmutig saß ich im Aufenthaltsraum und erledigte die letzten Hausaufgaben, als sich von hinten zwei warme weiche, nach Rosen duftende Hände sanft über meine Augen legten. "Kuckuck! Rate, wer ich bin", lachte Melody. Ich wollte mich nur noch umdrehen und ihr in die Arme fallen, glücklich, sie gesund zu sehen. Doch als ich sie ansah, wie sie dastand, mit den blauen Flecken im Gesicht und dem schneeweißen Verband an der Stirn, da machte mir mein Gewissen schmerzhaft bewusst, wie sehr ich sie verletzt hatte, und sei es auch nur indirekt. Also fuhr ich sie nur forsch an: "Was willst du?". Sie sah mich an mit verzweifeltem Gesichtsausdruck an. Ihr Lächeln erlosch. Doch ich durfte mich nicht erweichen lassen. "Ich...wollte dir nur sagen, dass wir höchstens sehr sehr weit entfernt verwandt sind. Das heißt...", sie hob ihren Blick und es spiegelte sich so viel Hoffnung darin, dass mein Herz fast brach. "...wir können endlich wirklich zusammen sein, Draco", beendete sie ihren Satz und warf sich um meinen Hals. Erst wollte ich diese gute Nachricht einfach nur aufnehmen und sie freudestrahlend küssen. Aber dann dachte ich an ihren leblosen Körper in meinen Armen. Das durfte nie wieder passieren. Also schob ich sie nur grob von mir weg. "Aha", sagte ich, mit einem so perfekt gelangweilt klingenden Ton, dass es sogar mich selbst überraschte. "Draco? Ist alles ok?", fragte sie vorsichtig. "Wenn du mich endlich mal in Ruhe lassen würdest vielleicht!", schrie ich. Sofort bereute ich das wieder. Ich sah Tränen in ihren unglaublich blauen Augen glitzern. Dann setzte sie eine harte Miene auf. "Wenn das so ist", antwortete sie überheblich, "dann will ich den ehrenwerten Prinzen von Slytherin nicht bei seiner Arbeit stören". Mit diesen Worten rauschte sie davon. Zurück blieb ich als harter Eisklotz. Ein Sturm an Emotionen brach in mir aus. Trauer, Wut, Schmerz, Verlangen, Liebe und Verzweiflung brauten sich zu einem dicken Ball zusammen. Doch der Eisprinz von Slytherin hielt seine Fassade aufrecht.

Melody:
Schluchzend zog ich meine Bahnen über den nächtlichen Himmel von Hogwarts. Meine Schluchzer verhallten als leise Eulenschreie in der Nacht. Wieso war Draco nur so gemein gewesen? Wieso waren überhaupt alle so gemein? Das Leben war grausam. Wie sollte ich ohne Draco noch leben? Was hielt mich noch in Hogwarts wenn nicht er? Warum sollte ich mich weiterhin den Schlägen der Gryffindors hingeben, wenn ich es einfach beenden konnte? Es würde reichen, mich jetzt einfach fallen zu lassen. Knapp hundert, wenn nicht gar zweihundert Meter ging es von hier nach unten. Aber nein. Ich konnte mich jetzt nicht fallen lassen. Man würde sehen, dass es Selbstmord gewesen war. Wenn, dann wollte ich in Würde sterben. Einen leicht ironischen Unterton hätte es ja, wenn ich auf der Suche nach Sirius Black von ihm ermordet werden würde. Wenn sich am Ende herausstellen würde, dass das alles ein einziges Familiendrama gewesen war. Wenn die Eisprinzessin von Slytherin, eine reinblütige Zauberin plötzlich vom schwarzen Schaf der Familie abstammte und schlussendlich ermordet wurde. Zugleich wäre es ein Grund mehr, der Suche nach Black neues Feuer zu verleihen. Also warum nicht einfach meinen Vater finden und mich von ihm töten lassen? Da ist wohl jemand echt am Boden wegen seinem Lover... Melody? Was? Normalerweise hättest du jetzt so etwas gesagt wie: "Ach sei still!" oder "Stimmt nicht". Dir geht es echt nicht gut, oder? Wie soll es mir denn gehen, wenn mich Draco so behandelt? Was hat er denn getan? Er hat doch fast gar nichts gesagt. Eben! Er hätte mich wenigstens küssen können! Aber er war so kalt und abweisend. So ist er nun mal. Er ist der Eisprinz. Ach komm, Mädchen. Mach nichts dummes. Rede lieber nochmal mit deinem Onkel wenn dir das lieber ist. Aber tu nichts, was du vielleicht bereust. Du nervst. Na also. Es geht dir ja schon besser. Und jetzt zurück in den Schlafsaal. Wenn du unbedingt willst. Mit einigen weit ausholenden Flügelschlägen flog ich durch das Fenster in den Aufenthaltsraum. Wie gut es getan hatte, durch die finstere Nacht zu fliegen, die für Eulen nie ganz dunkel war. Wie scharf plötzlich alle Sinne wurden und wie das Rauschen des Windes einen beruhigen konnte. Als ich meinen eigenen Gedanken zuhörte, musste ich es einfach zugeben: Ich liebte meine Animagi-form. Mit ihr konnte ich frei sein. Etwas, das mir selbst in der magischen Welt nur selten begegnete. Aber wenn ich mir vorstellte, wie Muggel leben mussten, Eingepfercht in ihren Betonhöllen mit verpesterter Luft und unter ständigem Stress, dann kam mir selbst meine aktuelle Situation vor, wie das reinste Paradies. Wahrlich kein leichtes Leben hatten diese Muggel. Eigentlich hatten sie es verdient mit all ihrer Rücksichtslosigkeit gegenüber ihrer Umwelt. Aber sie deshalb gleich zu töten? Ich dachte so bei mir, ob mein Vater vielleicht einfach nur verrückt war, oder ob ein Motiv hinter seinen Taten gesteckt hatte. Du hast glaube ich mehr Probleme als der Rest der Slytherins. Als Eisprinzessin hat man es immer schwer. Ich bitte dich, wann warst du zum letzten Mal so richtig kalt? Angestrengt nachdenkend machte ich mich auf den Weg in den Schlafsaal. Ich holte mir, so leise wie möglich, Bertie Botts Bohnen jeder Geschmacksrichtung aus dem Koffer. Ich hatte sie letztes Mal in Hogsmeade gekauft, bevor Draco mich geküsst hatte. Eine nach der Anderen probierte ich, während ich über alles nachdachte. Wie sehr ich unter dem allen litt. Eine Bohne mit Kaffeegeschmack. Wie schön es doch war, endlich eine Familie zu haben, wenn auch keine große oder sonderlich gute. Die nächste schmeckte nach Kirschen. Und schließlich schweiften meine Gedanken, wie so oft zu Draco. Dreck. Diese Bohne schmeckte eindeutig nach Dreck. Witzige Parallele zu deinem Leben. Haha. Witzig. Du siehst nicht belustigt aus. Ich spuckte die braun-schwarze Bohne wieder aus und warf sie weg. Seufzend lehnte ich mich in meinem Bett zurück. "Wieso ist das Leben nur wie eine Tüte Süßigkeiten?", fragte ich laut. Süßigkeiten? "Ja. Man weiß nie, was man kriegt und manches sieht so einladend aus und ist am Ende dann doch eine Bohne mit Erbrochenem". Sehr philosophisch. Mit dem Gedanken, dass mein Leben gerade wie Grasbohnen schmeckte schlief ich ein und träumte merkwürdige Sachen über mich als Grashalm, wie jemand namens Draco Malfoy mich zertrat. Am nächsten Morgen wachte ich schweißgebadet auf. Erst war meine Laune ganz gut, doch dann dachte ich an Draco und plötzlich wollte ich einfach nur wieder einschlafen. Salazar knabberte an meinem Ohr herum. Grummelnd wollte ich ihn mit der Hand wegschubsen, da pickte er mich in den Finger. "Au!", beschwerte ich mich. Murrend öffnete ich die Augen. Salazar hielt mir sein Bein hin, an welches wieder ein Paket gebunden worden war. Diesmal ein deutlich größeres. Mein Kauz musste sich sehr angestrengt haben, um es mir überbringen zu können. Leicht streichelte ich über sein Gefieder und reichte ihm einen Eulenkeks. Während er zufrieden anfing, daran zu knabbern, öffnete ich das Paket einen Spalt weit. "Was zum...?", japste ich, als ich das Innere des Päckchens erkannte. Ungläubig riss ich das Papier weiter auf. Auf meinem Schoß lag es. Ein Kristallgefäß von unschätzbarem Wert. Dutzende kleine Edelsteine blinkten darauf. Ganz oben glitzerte ein Smaragd von dem schönsten Grün, das ich jemals gesehen hatte. Vorsichtig, ja fast schon andächtig öffnete ich den Deckel der Schale. Ein Häuflein Asche lag darin. Sonst nichts. Nur Asche. Dunkelgraue Asche wie von etwas verbranntem. Was sollte ich damit? Wer sollte etwas so wertloses in so etwas wertvolles verpacken? Und es mir dann schicken? Nur Fragen...


Eisprinz sucht Eisprinzessin (Draco Malfoy Fan-Fiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt