2

115 8 2
                                    

Mein Name ist April Schmidt. (April, dass ist die Kurzform für Aprilynne.) Ich bin 16 Jahre alt, und seit meinem achten Lebensjahr an den Rollstuhl gefesselt. Dies ist meine Geschichte.

Ich öffnete verschlafen meine Augen und schielte auf meinen Wecker. Viertel vor acht. Ich schloss wieder die Augen. Nur um sie dann einige Sekunden später wieder auf zu reißen. Mist, Mist, Mist! Heute war der erste Schultag. Und ich hatte verschlafen! Mühsam stützte ich mich auf die Ellbogen und zog mit der linken Hand meinen Rollstuhl heran. Nachdem ich mich hinein gehievt hatte, rollte ich in die Küche.

„Morgen Mama!"

„Guten Morgen, möchtest du ein Spiegelei mit Toaste, Aprilynne?"

Ich nickte und schlang in Windeseile alles herunter. Meine Mutter beäugte mich misstrauisch.

„Alles in Ordnung, Schatz?", fragte sie.

„Ja, ja alles bestens, bin nur spät dran."

Mit diesen Worten fuhr ich wieder zurück in mein Zimmer zur Kommode und zog dort die Schubladen auf. Was sollte ich nur anziehen? Es war mein erster Schultag an einer öffentlichen Schule, seit dem Unfall. Nach etwas Passendem suchend durchwühlte ich die Schubladen, konnte mich aber nicht so recht entscheiden. Aus Zeitdruck entschied ich mich am Ende dann für mein Lieblings T-Shirt und eine ausgefranste Jeansshorts. Im Badezimmer hatte ich noch Zeit für eine Katzenwäsche. Prüfend betrachtete ich mein Spiegelbild. Da ich fand, dass meine Haare schon zu fettig waren, zwirbelte ich sie mir zu einem hohen Zopf.

„Aprilynne? Kommst du?", rief mein Vater.

„Ja, komme schon."

                                                                                     # # #

Während der Fahrt zur Schule schwiegen wir einträchtig. Um ehrlich zu sein war ich froh darüber, ich war schrecklich nervös und wollte nicht, dass mein Vater es mitkriegte. Nur mit Mühe und Not hatte ich meine Eltern davon überzeugen können mich wieder auf einer öffentlichen Schule anzumelden. Die letzten neun Jahre war ich zu Hause unterrichtet worden. Das war meinen Eltern lieber gewesen, keine Schulausflüge, eine Gefahr weniger auf einen weiteren Unfall, der mich ihnen für immer nehmen könnte. Doch einen klitzekleinen Hacken hatte die Sache. Keine Schule mit anderen Kindern, keine guten Chancen Kids in meinem Alter kennenzulernen, um mich mit ihnen anzufreunden. Anders gesagt, ich hatte keine Freunde. Es lag nun wirklich nicht an mir, ich war immer nett zu anderen, wenn auch ein bisschen schüchtern, doch ich hatte noch nicht einmal die Gelegenheit dazu gehabt schüchtern zu sein! Alle machten sie einen Bogen um mich und meinen treuen Begleiter, meinen Rollstuhl. Mit der Zeit hatte ich mich regelrecht zu einem Bücherjunkie entwickelt. Kein Roman und kein Taschenbuch waren vor mir sicher.

„Bist du nervös?", versuchte mein Vater die Stille zu füllen.

„Ein bisschen.", antwortete ich knapp. Damit schien das Gespräch auch schon wieder beendet und ich starrte aus dem Fenster. Keine zehn Minuten später erschien in meinem Sichtfeld ein modernes Gebäude, auf das mein Vater zuhielt. Waren wir wirklich schon da? Unzählige gelbe Schulbusse nahmen den großen Parkplatz in Beschlag. Weiter vorne waren Lehrerparkplätze und ein Behindertenparkplatz, auf dem mein Vater sein Auto parkte. Augenblicklich blickten einige Schüler zu uns. Papa schien es nicht zu bemerken und wenn doch schien es ihn nicht zu interessieren. Er eilte zum Kofferraum und holte meinen Rollstuhl heraus, klappte ihn auseinander und schob ihn bis kurz vor meine Tür. Ich öffnete diese. Mein Vater wollte mich hochheben und in den bereitstehenden Rollstuhl setzen, doch ich wehrte ab.

AprilynneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt